Staatsbesuch in Tschechien: Neun Demos gegen Merkel
Trotz gemeinsamer Interessen in Wirtschaft und Wissenschaft: Die Flüchtlingsfrage überschattet den Besuch der Kanzlerin in Prag.
Die hat Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik – so bringen zumindest rund 80 Prozent der Tschechen in verschiedenen Umfragen immer wieder zum Ausdruck – schon im letzten Sommer überschritten. Im homogenen Tschechien möchte man keine Flüchtlinge oder Migranten aufnehmen.
Und noch weniger möchte man, dass über die tschechische Flüchtlingspolitik par ordre du Mutti entschieden wird. Genau das wollen viele Tschechen während des heutigen eintägigen Besuchs der Kanzlerin klar machen.
Ganze neun Anti-Merkel Demonstrationen sind am Donnerstag in Prag geplant. Schon im Vorfeld des Besuchs gaben sich die Demonstranten kreativ: „Die tschechoslowakische Nation wird es dir sagen und dich wegen Verrats an den Galgen bringen, du bist wie ein Vampir, der von Blut lebt, aber wir fürchten uns nicht vor dir, du Ungeheuer“, lautet ein Gedicht, dass anlässlich des Besuchs der Kanzlerin gedichtet wurde.
Letzter Prag-Besuch vor vier Jahren
In den sozialen Medien wird Merkel mal als „Reichskanzlerin“, mal als „Mutter Terroresia“ oder „Hells Angela“ verhöhnt. Sprüche, die ausdrücken, was die Statistik schon länger weiß. Wurde Angela Merkel bis Sommer 2015 in Tschechien verehrt, ist ihr Beliebtheitsgrad heute von einst 72 auf 18 Prozent abgesackt.
Inzwischen gilt die Sympathie der meisten Tschechen auf dem internationalen Parkett Wladimir Putin. Mit einem besonders freundlichen Empfang, wie bei ihrem letzten Prag-Besuch vor vier Jahren, wird Angela Merkel in ihrer alten Studienstadt Prag nicht rechnen dürfen.
Anti-Merkel-Gedicht
Da hilft es auch nicht, dass Angela Merkel sich auf ihre eigenen persönlichen „Willkommensklatscher“ freuen darf – eine Pro-Merkel Demo will die Kanzlerin schon bei ihrer Ankunft auf dem Václav-Havel-Flughafen begrüßen und sie fähnchenschwenkend auf ihrem Weg durch Prag begleiten: Vom Flughafen auf das Regierungsamt am Moldauufer, wo Merkel zu einem Vieraugengespräch mit ihrem tschechischen Amtskollegen Bohuslav Sobotka zusammenkommen wird, bis auf die Prager Burg, wo sie von Präsident Miloš Zeman („Flüchtlinge sind Invasoren“) empfangen werden wird.
Zwischen all den politischen Gesprächen, die sich erwartungsgemäß um Flüchtlinge und – mit Blick auf den EU-Gipfel im slowakischen Bratislava am 16. September – um die Zukunft der EU drehen werden, wird Merkel sich die Zeit nehmen, die vielen gemeinsamen Interessen zwischen Deutschland und Tschechien voranzutreiben. Da liegt der Schwerpunkt vor allem auf einer Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft.
Lange und erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ein großes Thema für beide Seiten liegt in der Digitalisierung der Industrie. Denn auch wenn Tschechien ein kleines Land ist, stellt es für Deutschland als hochindustrialisierten Exportstaat einen wichtigen Partner dar. Wenn Angela Merkel am Donnerstagnachmittag die Technische Universität in Prag besucht, um einem Kooperationsvertrag zwischen den tschechischen Tüftlern und dem deutschen Zentrum für künstliche Intelligenz Pate zu stehen, dann knüpft sie dabei an eine lange und erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder an.
Trotz aller positiven Entwicklungen und Gemeinsamkeiten, die sich im deutsch-tschechischen Verhältnis seit der Wende 1989 aufgetan haben, trotz eines gemeinsamen „strategischen Dialogs“ auf Regierungsebene und trotz der viel gelobten historischen Aussöhnung zwischen Deutschen und Tschechen wird der Besuch von der Flüchtlingsfrage überschattet bleiben. Die derzeitige sozialdemokratisch geführte Regierung ist Angela Merkel und ihrer Politik positiv gesinnt und versucht immer wieder, Merkels Standpunkt unter ihren Wählern zu kommunizieren.
Ob die tschechischen Sozialdemokraten nach den Wahlen 2017 noch viel zu sagen haben werden, muss man bezweifeln.
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