Springer verklagt Julian Reichelt: Sein Chatverlauf vor Gericht
Der Springer-Verlag verlangt von Ex-"Bild"-Chefredakteur Reichelt 2 Millionen Euro Abfindung zurück. Bei Gericht zeigt sich, worüber gestritten wird.
Ausgelöst wurde die Reichelt-Affäre durch den Vorwurf, er habe seine Machtstellung als Chefredakteur missbraucht. Immer wieder soll Reichelt junge, von ihm beruflich abhängige Kolleginnen gefördert und zugleich in sexuelle Beziehungen verstrickt haben. Manche von ihnen leiden darunter bis heute.
Springer führte deshalb im Frühjahr 2021 ein Compliance-Verfahren durch, bei dem eine Anwaltskanzlei die Frauen anhörte. Zur Kündigung Reichelts kam es aber erst im Oktober 2021. Begründung: Reichelt habe wiederholt Vorgesetzte darüber belogen, dass er eine private Beziehung im Unternehmen fortführte.
Um zu verhindern, dass Reichelt eine Kündigungsschutzklage erhebt, wurde mit ihm ein Abwicklungsvertrag geschlossen. Für den Klageverzicht wurde Reichelt eine Abfindung von zwei Millionen Euro versprochen. Als Nebenpflichten sah der Vertrag außerdem vor, dass Reichelt keine Bild-Mitarbeiter:innen abwerben darf und dass er Vertraulichkeit zu wahren hat. Zudem müsse Reichelt unternehmensbezogen Dateien löschen und Unterlagen zurückgeben.
Formal blieb Reichelt noch ein Jahr lang bis Ende Oktober 2022 Bild-Mitarbeiter, auch wenn er nicht mehr für Bild arbeiten durfte. Auch die Abfindung sollte erst im November 2022 ausbezahlt werden. Da Springer den Verdacht hatte, Reichelt biete anderen Medien Interna aus dem Verlag an, musste er vor der Auszahlung am 3. November noch einmal versichern, dass er alle Dateien gelöscht und Dokumente zurückgegeben hat.
Bei dieser Zusicherung habe Reichelt die Unwahrheit gesagt, wirft ihm Springer jetzt vor. Denn am 15. April 2023 hatte Reichelt dem Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, vertrauliche Dokumente angeboten, die er eigentlich nicht mehr haben dürfe. Friedrich informierte damals sofort Springer (was ihm ein Verfahren vor dem Presserat wegen mangelndem Quellenschutz einbrachte).
Springer klagt, Reichelt klagt zurück
Springer aber verklagte Reichelt sofort vor dem Arbeitsgericht Berlin auf Rückzahlung der Abfindung von zwei Millionen Euro. Außerdem verlangt der Verlag 191.000 Euro Vertragsstrafe, weil er gegenüber Friedrich die vereinbarte Vertraulichkeit gebrochen habe und weil er vier Bild-Mitarbeiter:innen für sein neues Unternehmen Rome Media abgeworben habe.
Parallel stellte Springer im April eine Strafanzeige wegen Betrugs gegen Reichelt. Dieser habe bei seiner Zusicherung im November 2022 Springer getäuscht und so die Auszahlung der Abfindung veranlasst, die Springer sonst zurückbehalten hätte. Inzwischen läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Reichelt.
Reichelt seinerseits hat gegen Springer vor dem Arbeitsgericht eine Widerklage erhoben, bei der er zunächst nur Auskunft darüber verlangt, welche Informationen der Verlag im Zuge des Compliance-Verfahrens von den betroffenen Frauen über ihn gesammelt hat. Nur so könne er sich gegen den fortdauernden „Reputationsschaden“ wehren.
Soweit die Vorgeschichte.
Verhärtete Fronten vor Gericht
Im Gütetermin beim Arbeitsgericht Berlin sollte es am Freitag eigentlich um eine gütliche Einigung gehen. Doch Richterin Anke Weyreuther hatte wenig Hoffnung: „Das Gericht hat keinen Vorschlag mitgebracht.“
Tatsächlich machte dann auch nur Reichelts Anwalt Stephan Pötters einen Vorschlag: beide Seiten könnten ihre Klagen zurücknehmen, wenn Reichelt zumindest in Umrissen erfährt, was ihm konkret vorgeworfen werde. Doch Springer-Anwalt Christian Hoefs lenkte nicht ein: „Wir vertrauen darauf, dass wir mit der Klage Erfolg haben.“
Dennoch wurden in der rund einstündigen Verhandlung die wesentlichen Argumente ausgetauscht. Reichelts Anwalt Pötters betonte, dass sein Mandant keine Pflichten verletzt habe. Dem Verleger der Berliner Zeitung habe er nur den Chatverlauf mit seiner Ex-Geliebten Johanna G. vorgelegt, mit dem er beweisen will, dass er keinen „Sex on demand“ gefordert habe, sondern die Initiative in der fraglichen Situation von ihr ausging. Der Chatverlauf sei aber nicht von seinen Löschungspflichten erfasst, weil es sich um private Daten handele.
Außerdem habe Springer gewusst, dass er den Chatverlauf noch habe, schon deshalb habe er den Verlag darüber nicht täuschen können, so Anwalt Pötters. Schließlich habe Springer Reichelt ausdrücklich aufgefordert, den Chatverlauf nicht zu löschen, damit sich der Verlag besser gegen eine Klage G.s in den USA verteidigen kann. Auch Springer-Chef Matthias Döpfner habe Reichelt aufgefordert, den Chatverlauf „sehr sorgfältig zu dokumentieren“, damit er gegenüber anfragenden Medien wie der englischen Times „auspacken“ könne.
Springer-Anwalt Hoefs wies jedoch darauf hin, dass Reichelt neben diesem Chatverlauf auch andere eindeutige unternehmensinterne Dokumente weitergeben habe. Reichelt-Anwalt Pötters sieht aber auch hier keine Täuschung Springers, schließlich sei Reichelt bis Oktober 2022 Mitglied einer Chat-Gruppe mit Springer-Führungskräften gewesen, in der über den Umgang mit den Vorwürfen diskutiert wurde.
War die Bild zu woke?
Pötters glaubt auch, die Abwerbevorwürfe entkräften zu können. So habe Ralf Schuler – einst Leiter des Bild-Parlamentsbüros, heute bei Rome Media – öffentlich erklärt, warum er bei Bild kündige. Er hielt das Springer-Blatt für zu „woke“ sei, es biedere sich zu sehr an die Queer-Bewegung an. Da habe Reichelt offensichtlich nicht abwerben müssen. Hier konterte Springer-Anwalt Hoefs nur vage: Man müsse jeden Einzelfall individuell ansehen.
Was für Springer auf keinen Fall in Betracht komme, so Hoefs, sei die Herausgabe der Unterlagen aus dem unternehmensinternen Compliance-Verfahren gegen Reichelt, man müsse Hinweisgeber:innen im Gegenteil schützen. Reichelts Anwalt Pötters sah hier durchaus Kompromissmöglichkeiten, etwa in dem die Namen geschwärzt werden.
Bis zu einer Entscheidung dürfte es noch dauern. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht wird erst am 15. November weitergehen. Dann werden möglicherweise erste Zeug:innen gehört.
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