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Sprache im PolitikbetriebAufs Maul geschaut

Wer in die Fresse hauen will, braucht einen guten Grund dafür. Andrea Nahles und die SPD sind nicht dazu da, Enthemmung voranzutreiben.

Nicht lustig, liebe Andrea, nicht lustig Foto: reuters

Der Abgeordnete der Deutschen Partei war deutlich genug geworden: „Ob das Mittel, die Juden zu vergasen, das gegebene gewesen ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Vielleicht hätte es auch andere Wege gegeben, sich ihrer zu entledigen.“

Als Wolfgang Hedler wenige Monate nach dieser Aussage am 10. März 1950 den Plenarsaal des Deutschen Bundestags betrat und meinte, den parlamentarischen Betrieb weiter nazistisch aufmischen zu können, reichte es der SPD. Herbert Wehner und einige seiner Fraktionskollegen verprügelten Hedler.

Die Episode ist deswegen interessant und erinnerungswert, weil hier alles stimmt: Ein Nazi bekommt in die Fresse, von Leuten, die selbst gelitten haben und kein Vertrauen in die von alten Kameraden durchsetzte Justiz und politische Kultur der jungen Bundesrepublik haben konnten – weswegen sie die Sache in die eigene Hand nehmen mussten.

Die neue SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hat nach der letzten Kabinettssitzung mit den Ministern der Union am Mittwoch gesagt, sie sei zwar ein bisschen wehmütig, aber „ab morgen kriegen sie in die Fresse“. Sie habe einen „Spruch“ gemacht, schob sie später nach, „und die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU haben darüber gelacht. Also, ich glaube, das ist klar als Scherz erkennbar.“

Beim Scherz ist wichtig, ob er lustig ist

Nun ist bei einem Scherz weniger wichtig, ob er als solcher erkennbar ist – das sind Furzkissen schließlich auch –, sondern ob er lustig ist. Gleichzeitig muss ein hoffentlich spontaner Spruch (bei ihrer Pippi-Langstrumpf-Gesangseinlage 2013 musste Nahles den Text ablesen), der einmal unter Kollegen funktioniert hat, nicht unbedingt ein zweites Mal vor laufender Kamera durchgehen. Sicherheitshalber lachte Nahles da auch gleich selbst am lautesten.

So weit die von mir aus auch geschmäcklerische Kritik am bräsigen Humor einer Gruppe von Menschen, deren harter Berufsalltag zwischen Aktenstudium und Statementgeben nicht viel Platz für gute Pointen lässt.

Wer jemandem in die Fresse hauen will, braucht jedenfalls einen guten Grund dafür. Wehner und Genossen hatten einen. Wer ankündigt, jemandem in die Fresse zu hauen, obwohl er gerade selbst zu Boden gegangen ist, kündigt nichts anderes an als den nächsten K. o. Die SPD hat aus der „Martin-Martin!“-Selbsthypnose offensichtlich nur den Schluss gezogen, es umgehend mit der nächsten Autosuggestion zu versuchen, anstatt gewichtige Aussagen wie die des ehemaligen BGH-Richters Thomas Fischer endlich ernst zu nehmen. Fischer hatte im Juli zur SPD befragt gesagt: „Diese politische Organisation hat ihren Löffel bereits vor langer Zeit abgegeben.“

Schauen wir aber, wie die Sozialdemokratie es doch eigentlich immer wollte, vorwärts – also zurück. Der Ursprung der mit zunehmender Panik diskutierten modernen Populismen liegt in Jörg Haiders Österreich – und vor allem in Italien, wo nach dem Zusammenbruch des Parteiensystems Anfang der Neunziger Jahre Silvio Berlusconi eine Allianz aus mafiösen Eliten, Separatisten und sogenannten Postfaschisten schmiedete.

Die SPD muss die Bauchlandung der AfD-Maniker ­beschleunigen

Mit ihr einher ging auch eine Verrohung der Sprache: Rassismus, Sexismus, Vulgarität, persönliche Abwertung des politischen Gegners sowie der Justizangehörigen gehörten plötzlich zum politischen Alltag. Dass man auf einmal Dinge sagen und teilweise auch tun durfte, die früher dem Gewissen oder einfach den guten Sitten zum Opfer gefallen wären, führte genau zu der euphorischen Enthemmung, die normale Bürger Steine auf kleine Kinder werfen lässt wie im sächsischen Clausnitz.

„Die Aggression und den Wunsch, andere Menschen zu erniedrigen, braucht man auf einmal nicht mehr zu unterdrücken, der Rucksack des Über-Ich ist abgeworfen, man fühlt sich frei, als ob man fliegen könnte. Da kommen andere dazu, die sind auch in dieser Stimmung, das steckt an. Das ist ein schönes Gefühl, gewiss“, hat der in Österreich lebende deutsche Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer diese trübe Gemengelage analysiert.

Die SPD ist nicht dazu da, bei diesem schönen Gefühl der Enthemmung mitzumachen. Sondern sie muss die nach Ottomeyer früher oder später eintretende „Bauchlandung“ der im Rassismus ihr Heil suchenden AfD-Maniker beschleunigen. In der Opposition hat sie nun vielleicht letztmalig Gelegenheit, sich als Volkspartei neu zu definieren. Im Moment weist darauf allerdings genau nichts hin.

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23 Kommentare

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  • Wertegemeinschaften

     

    Danke an Ambros Waibel für den Hinweis auf das Polit-Gebilde „Deutsche Partei“, einer der vielen Vorgängerprojekte der AfD in den Goldenen Fünfzigern. Auch sie wollte ja nichts anderes als der „Erneuerung Deutschlands aus geistig-moralischer Krise und innerer Zerrissenheit dienen und die wiedergewonnene nationale Einheit nach innen und außen festigen helfen“, orientierte sich an „bürgerlich-konservativen Werten“, selbstredend auf der „Basis des Grundgesetzes“, von nichts anderem getrieben als von „einem von christlichen humanistischen Wertvorstellungen geprägten freiheitlichen Menschenbild“. Wie die AfD hegte auch die DP eine pan-deutsche Vorstellung von der Nation, verstanden als eine durch Sprache, Geschichte, Kultur und Religion geprägten politischen Gemeinschaft aller Deutschen.

     

    Diese humanistischen Wertvorstellungen waren offensichtlich kein Hindernis für diese Partei, solche Leute wie den einstigen Stahlhelmer, Hakenkreuzler und Banker Wolfgang Hedler in ihre offenen Arme zu schließen und gleich in den Bundestag zu schicken, einen Mann, für den die Widerständler des 20. Juli nicht als Vaterlandsverräter waren und Hitler völlig unschuldig in den 2. Weltkrieg schlitterte. Äußerungen Hedlers wie die in diesem Artikel zitierte, für die er zu Recht von Herbert Wehner im Bundestag eins in die Fresse gekriegt hatte, reichten damals allerdings nicht für eine Verurteilung vor dem Landgericht Kiel wegen Verleumdung und Verunglimpfung, besetzt mit Richter-Krähen, die aus dem gleichen Schoß gekrochen waren und natürlich der anderen Krähe kein Auge aushacken wollten.

     

    Immerhin war das alles kein Hinderungsgrund für die CDU, diese Partei mit ihren Lichtgestalten wie dem Industriellen Hans-Christoph Seebohm, der sich durch Arisierung jüdischen Eigentums eine goldene Nase verdient hatte, bis 1960 zum Kabinettstisch zu bitten. Ganz so weit ist es mit der AfD noch nicht. Was nicht ist...

    • @Reinhardt Gutsche:

      Korrektur:

      Natürlich muß es heißen „...einen Mann, für den die Widerständler des 20. Juli nichts als Vaterlandsverräter waren“

      Sorry!

  • Innerhalb der SPD pusht man sich gerade in die Höhe, die die Niederlage erträglich machen soll. Selten kann man im Politbetrieb solche euphorische Stimmung nach einem Tiefflug erleben. Der ganze Wahlkampf muss für die SPD in einer Art Psychose verlaufen sein; In der Verkennung der Realität. Nun lassen die Allmachtsphantasien daraus abermals die Realität außen vor. Dazu macht Macht oft süchtig. Wie kann also ein derart Abhängiger den Zustand der Ohnmacht aushalten. Er sagt so etwas wie Nahles.

    Ich schätze es ist der Slang, der gerade innerhalb der SPD des öfteren obenauf ist. Die Nahles hat nur diese Gruppenmotivation versehentlich nach außen getragen.

    Ihr "auf die Fresse" ist also mehr ein Symptom einer sehr kranken SPD und speziell einer Politikerin, der man das Spielzeug weggenommen hat, weniger eine Frechheit.

    Mir sieht das alles nach Aufstieg des Phönix aus der Flasche (der Selbstbesoffenheit) aus.

    • @lions:

      Dazu mal Widerspruch aus dem teefaxbeutel -;)

       

      "Anamolie: " Ihr "auf die Fresse" ist also mehr ein Symptom einer sehr kranken SPD und speziell einer Politikerin, der man das Spielzeug weggenommen hat, weniger eine Frechheit. "

       

      Anna psychologisiert gern. Ich kann ihr nicht zustimmen. Das Blubbern von Nahles halte ich für ihr Naturell. So ist die, so isst die und so sabbelt die. Hat nix mit "gewonnen oder verloren" zu tun. Kann auch gar nicht, denn die gewinnt immer."

       

      Seh ich genauso.

      • @Lowandorder:

        Ach, ich kann Ihnen auch was von der kindlichen Entwicklung eines Mädchens unter Eindruck eines Übervaters und defizitärer Identifikation mit der Mutter unterjubeln. Alles Psychologie!

        • @lions:

          Nu. Wenn auch in etwas anderem Zusammenhang - Newahr!

          "Hört auf - Rumzupsychologisieren!"

          Dr. Kurt Tucholskys!;)

  • Frau Nahles hat in einem Gespräch mit einem Journalisten beim Verlassen einer Veranstaltung diesen Gag losgelassen. NICHT im Rahmen einer offiziellen Rede. Gut so, diese Formulierung hat Kampfeswillen gezeigt und Mut. Nicht immer alles so steril und uneindeutig formulieren. Aber halten wir uns in Dirkussionen ruhig daran auf, welche Nebensätze jemand äußert, dann können wir die wichtigen Probleme wunderbar außen vor lassen. Dann masturbiert doch lieber....

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Noch einer.

     

    Nun lasst es mal gut sein und seid froh, dass nicht ständig alles Gesagte sensationslüstern dokumentiert und gegen einen verwendet wird...

  • So mein erster Kommentar

    Ich hoffe ich bekomme nicht sofort "in die Fresse" aber heist es nicht eigentlich "auf die Fresse"

    • @Human Kapital:

      Beides okay...äh nicht okay!

      In die Fresse - in das Ziel, also Präzisionsakt.

      Auf die Fresse - eher grobschlächtig, auftragend.

      So vielleicht!

    • @Human Kapital:

      Das kommt ganz auf die Region an.

      Das Perfekt von "stehen" und "sitzen" z.B.wird im Standarddeutschen mit "haben" gebildet, in weiten Teilen Süddeutschelands und in Österreich jedoch mit "sein".

      So gibt es Gegenden, in denen "in die Fresse" gehauen wird und solche, wo es "auf die Fresse" heißt. Ob es da eine Standardisierung gibt, weiß ich nicht.

      • @Joba:

        & "langs Muul" nich vergessen!

        Hoher Norden - klar!;)

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @Lowandorder:

          Tiefer Südwesten:

          "Oina auf d' Gosch haua."

          Oder: "Du kriagsch jetz nau d' Gosch voll."

          Auch klar, gell?

  • Wirklich dumm gelaufen, Andrea Nahles!

     

    Das beifallheischend aufgesagte Sprüchlein hat sich unerwartet als Bumerang erwiesen. Schwer zu sagen, warum. An anderer Stelle, zu anderer Zeit oder von einer anderen Figur abgesondert wäre es bestenfalls der Knaller gewesen oder schlimmstenfalls unbeachtet verpufft.

     

    Anbiederung ist manchmal halt ein schwieriges Geschäft. Aber keine Sorge wegen dieser unwichtigen und schnell vergessenen Kleinigkeit, Frau Nahles, das wird schon wieder!

  • Dieser sprachliche Rülpser von Andrea Nahles, mit dem sie sich auf das Niveau der AfD begibt, zeigt die nckte Verzweiflung in dieser Partei. Ist ja auch verständlich. Die traditionelle Klientel läuft weg: die Arbeiter und Arbeitslosen zur AfD und die mehr oder wneiger Intelektuellen zu den Grünen. Da bleibt dann nicht mehr viel übrig, Und die derzeitige Führungsriege der SPD ist erbärmlich, wenn man sie mit Wehner-Brandt-Schmidt oder auch noch Vogeö-Steinbrück vergleicht.

  • Stimmt! Es finden sich eben immer wieder Gründe, anderen „in die Fresse zu hauen“. Schenk ein, schenk ein ...

  • "Der Abgeordnete der Deutschen Partei war deutlich genug geworden..."

     

    Am 10 März 1950 war Hedler nicht mehr Abgeordneter der Deutschen Partei. Er wurde im Januar des gleichen Jahres aus der Partei und Fraktion (wg. "pronazistischer und antisemitischer Äußerungen" - Wikipedia) ausgeschlossen.

     

    Bei Frau Nahles handelt es sich weder um eine Verrohung der Sitten noch um bewussten "Angriffsmodus", sondern, wie der Autor selbst an einigen Stellen durchblicken lässt, um gewisse intellektuelle Schwächen.

  • Ach Gott, da wird im Sekundentakt faschistisches Nazi-Geschreie von der AFD rausgehauen - man lese nur die LTI von Klemperer - und wegen so ein im Scherz gesagtes von Nahles wird gleich als "Enthemmung" hochstilisiert. Da lese man einfach nur die Einlassungen der FDP, CDU, CSU gegenüber Ströbele im Laufe seiner Abgeordnetenzeit. Habe ich da irgendwann in diesem Blättle eine Empörung der heutigen Art gelesen? Nein, da wird doch locker lustig diskutiert, ob man zu den Rechtsnationalisten im NaziSprache Nazis sagen darf! Ja wo bin ich denn in dieser Zeitung inzwischen gelandet? Man lese die Landtagsprotokolle von Gauland und Höcke und die der Nationasozialisten 1930-33. Braucht es da noch irgendeine geschichtliche Nachhilfe für die TAZ`ler?

    • @SUDEK:

      Offensichtlich ja. Offensichtlich braucht es da noch eine Nachhilfe, wenn auch nicht zwingend für „die TAZ’ler“. Wobei es mit der Geschichte allein wahrscheinlich nicht getan ist.

       

      Ich weiß ja nicht, wie Sie das sehen, werter SUDEK, aber ich möchte auch morgen noch unterscheiden können zwischen einer Frau Nahles von der SPD und einem Herrn Gauland von der AfD oder einem Herrn Goppel von der CSU. Und zwar nicht, in dem ich die Frisuren miteinander vergleiche oder die Anzahl der Falten im Gesicht. Ich möchte Menschen, die gewisse Werte vertreten, anhand ihrer Aussagen von solchen unterscheiden können, die das nicht tun. Und wenn das hier so weiter geht, wird das wohl demnächst schwierig werden.

       

      Nein, lustig ist das wirklich nicht. Es ist eher ein Zeichen für ihre zunehmende Überforderung, wenn sich Spitzenpolitiker nicht anders zu helfen wissen, als mit derartigen Bemerkungen. (Ich bin kein Psychologe, sonst könnte ich das ganz genau erklären.) Wenn aber die stärkste linke Oppositionspartei von einer Frau geführt wird, die schon überfordert ist, bevor sie überhaupt angefangen hat mit dem Oppositionsein, gefällt mir das überhaupt nicht. Ihnen vielleicht? Ich meine: Viel leichter wird es wohl nicht werden in der nächsten Zeit.

       

      Mir geht es nicht um Anstand oder Sitte. Mir geht es um Demokratie. Frau Nahles darf im Bundestag anargumentieren gegen die AfD. Sie ist schließlich gewählt worden. Ich darf es nicht. Ich hab nicht einmal zur Wahl gestanden. Ich muss mich also drauf verlassen können, dass Frau Nahles mich vertreten kann, wenn die Debatte los geht. Nein, nicht mit der Faust. (Dass sie das könnte, glaube ich ihr gern.) Mit Argumenten. Und wie es ausschaut, muss ich daran leider zweifeln.

      • @mowgli:

        Nahles ist "machtgeil" und mittlerweile auch unberechenbar. Es gibt einige andere weibliche kompetente SPD-Politikerinnen, die mir wesentlich sympathischer sind: Dreyer, Schwesig, Hendricks...

         

        Nahles ist der weibliche Schröder.

        • @Hanne:

          Man braucht kein studierter Psychologe zu sein, um zu erkennen, wes Geistes Kind Frau Nahles ist:

          einfach Machtgeil (aber in primitiver Form) und unberechenbar Dummschwätzend statt fundierter Aussagen. Oder hat sie schon mal etwas dazu gesagt, warum es mit und durch ihren ÜBER-ÜBER-ÜBERversorgten Schröder und Ihrer "Lieblichkeit" zwar Armutsrenten gibt, aber keine Armutspensionen!?

          Auch sie wird niemals eine Armutspension treffen. Auch ohne evtl. Posten bei Putin.

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @Hanne:

          Nahles folgt auf Oppermann.

          Ist Ihnen der lieber?

          Ja?

      • 3G
        39167 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        Da gibt es viel zu zweifeln, nicht nur bei der SPD.

        Eine aus der zukünftigen Regierungsfrauschaft macht sich auch nicht sehr beliebt. Sie heizt das Klima tüchtig an. http://realerirrsinn.de/katrin-goering-eckardt-von-den-gruenen-redet-hirnlosen-bloedsinn

         

        Die Ossis haben Migrationshintergrund,.Das ist doch mal eine Aussage, die ich eher als Ansage verstehe. Das wird die Ossis aber freuen.

        Kann mir mal einer erklären, was diese Frauen für ein Problem haben?