Spitzel beschäftigte NSU-Mann: Die „einzig relevante Quelle“
Ein V-Mann soll Uwe Mundlos beschäftigt haben, der NSU-Ausschuss im Bundestag wird aktiv. Der Vorsitzende sieht eine „neue Dimension“ der Affäre.
Heute dürfte der Verfassungsschutz weniger euphorisch über seinen früheren V-Mann sprechen. Denn just dieser „Primus“ soll Anfang der nuller Jahre den NSU-Terroristen Uwe Mundlos in seiner Zwickauer Abrissfirma beschäftigt haben – während dessen Untergrundzeit und der laufenden Mordserie, der am Ende zehn Menschen zum Opfer fielen.
Damit steht der Geheimdienst nun wieder im Mittelpunkt der NSU-Affäre – und im Fokus des Untersuchungsausschusses im Bundestag. „Wir werden uns mit dem Fall zügig beschäftigen“, sagte deren Vorsitzender Clemens Binninger (CDU). „Wenn sich das so erhärtet, wäre das eine neue Dimension.“
Was war geschehen? Hinter „Primus“ steckt die frühere Zwickauer Neonazigröße Ralf Marschner, in der Szene „Manole“ genannt. Ein stämmiger Typ mit Glatze, Musiker in Rechtsrockbands, bestens vernetzt, Hang zur Gewalt. 1991 soll er an einem Angriff auf eine Zwickauer Asylunterkunft beteiligt gewesen sein. Ein Jahr später wird er V-Mann des Bundesverfassungsschutzes. Zehn Jahre dient er dem Amt als Top-Quelle. Monatliches Salär: rund 600 DM.
Am Spitzbart erkannt
Parallel betrieb Marschner mehrere Geschäfte, von 2000 bis 2002 auch eine Abrissfirma. Dort nun soll Uwe Mundlos angestellt gewesen sein, als Vorarbeiter, unter dem Decknamen Max-Florian Burkhardt. Die Welt berichtete darüber als erstes.
Ein früherer Bauleiter bestätigte am Donnerstag der taz, dass er sich „100 Prozent sicher“ sei, dass es Mundlos war, der für Marschner arbeitete. Auf Fotos habe er ihn „ohne Zweifel“ erkannt, am damaligen Spitzbart und den kleinen Warzen oberhalb des Auges.
Petra Pau, Linke
Tatsächlich lebte das NSU-Trio damals in einer Wohnung in Zwickau und Mundlos hatte einen Ausweis unter dem Namen „Max-Florian Burkhardt“. Der Mann war ein früher Helfer des NSU: dem Trio stellte er eine Wohnung, später auch Papiere zur Verfügung.
Der echte Max-Florian Burkhardt war am Donnerstag nicht erreichbar. Der Welt aber versicherte er, er habe nie für Marschner gearbeitet und legte entsprechende Angestelltennachweise für die Zeit vor.
Der Ex-Spitzel taucht am Donnerstag ab
Was also sagt Marschner? 2007 war er aus Zwickau verschwunden. Heute betreibt der 44-Jährige in Liechtenstein einen Antiquitätenhandel. Dort taucht er am Donnerstag nun wieder ab. Ans Telefon geht er nicht, E-Mails bleiben unbeantwortet. Die Facebookseite seines Ladens ist plötzlich gelöscht.
Der frühere V-Mann stand schon länger im Fokus. Im Vergleich zu anderen Spitzeln aus dem NSU-Umfeld aber blieb er eher unbeachtet. Vor einen Untersuchungsausschuss wurde er nicht geladen, im Münchner NSU-Prozess war er kein Zeuge. Dabei gab es Fragezeichen.
Schon länger bekannt war die Aussage eines früheren Geschäftspartners: Der behauptete, Beate Zschäpe habe einige Jahre später in einem Geschäft mit Szenemode von Marschner gearbeitet. Die Polizei befragte mehrere Zeugen: Die Geschichte ließ sich nicht erhärten.
Ein anderer Zeuge wiederum sagte, er habe Marschner 1998 auf einem Fußballturnier gesehen, in Begleitung von Mundlos und Uwe Böhnhardt. Marschner habe nach Waffen gefragt. Der sagte bei einer Befragung, er könne sich nicht daran erinnern.
Verdächtige Auto-Anmietungen
Zudem waren just am 13. Juni 2001 und 29. August 2001 von Marschners Baufirma Autos angemietet. In dieser Zeit soll Mundlos dort gearbeitet haben und an beiden Terminen gab es NSU-Morde: an dem Nürnberger Abdurrahim Özüdoğru und dem Münchner Habil Kılıç. Die Autos wurden mit hohen Kilometerständen zurückgegeben. Marschner aber gab sich auch hier unwissend: An eine Anmietung könne er sich nicht erinnern, erklärte er. Im anderen Fall hätten Mitarbeiter den Wagen genutzt.
Direkt nach den Untergetauchten befragt, hatte Marschner schon 1998 behauptet, diese nicht zu kennen. Nach dem Auffliegen der Terrorgruppe 2011, und nochmals vom BKA vorgeladen, blieb er dabei.
Die Fülle der Hinweise aber machte schon länger stutzig. Und Marschner räumte immerhin ein, mehrere NSU-Helfer aus dem militanten „Blood&Honour“-Netzwerk und den Zwickauer André E. zu kennen. Letzterer war bis zum Schluss engster Vertraute des NSU-Trios und ist heute Angeklagter im Münchner NSU-Prozess. Nur von den Untergetauchten will Marschner im kleinen Zwickau nichts mitbekommen haben?
Die Anstellung von Mundlos ließe seine Rolle nun anders aussehen. Wusste Marschner, wen er da beschäftigte? Informierte er darüber den Verfassungsschutz? Letzteres wäre mehr als ein Skandal. Denn der NSU mordete ungehindert weiter.
Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen bestreitet, dass sein Amt etwas gewusst habe: „Nach unserer Erkenntnislage und nach den Auskünften der damals dafür zuständigen Mitarbeiter haben wir keine Anhaltspunkte dafür, dass es so war.“
V-Mann-Führer war im NSU-Ausschuss
Damit aber will sich der NSU-Ausschuss im Bundestag nicht zufrieden geben. Schon im Mai 2013 wurde Marschners V-Mann-Führer, Decknahme Richard Kaldrack, in der ersten Ausschussrunde befragt. Er beteuerte, seine Quelle habe nichts über das Trio berichtet. Informationen hätte „Primus“ in jedem Fall weitergegeben, schließlich hätte das eine „erhebliche Sonderprämie“ bedeutet.
Schon damals aber, erinnert sich der heutige Ausschussvorsitzende Clemens Binniger, blieben Zweifel. Nun stünden neue „schwere Fragen im Raum“. „Wer wusste tatsächlich alles vom Aufenthaltsort des Trios? Und warum ist dieses Wissen nie zu den Fahndern gelangt?“
„Alles auf den Tisch“
Andere belassen es nicht bei Fragen. „Die Bundesregierung muss jetzt dafür sorgen, dass alle Akten auf den Tisch kommen“, fordert die Linken-Obfrau Petra Pau. „Es geht jetzt nicht mehr um das Wohl der Regierung, sondern um das Staatswohl. Das müssen sie endlich begreifen.“ Auch der SPD-Obmann Uli Grötsch forderte, alle Verfassungsschutzsakten über Marschner „unverzüglich dem Ausschuss zur Verfügung zu stellen“. Der Verdacht gegen das Amt „wiegt schwer“.
Noch im Februar hatte die Linksfraktion eine Anfrage an die Bundesregierung zum Spitzel „Primus“ gestellt. Das Innenministerium lehnte eine Antwort ab: Zu V-Leuten gebe man „aus Gründen des Staatswohls“ keine Auskunft.
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