Spaß für Fortgeschrittene: Sexshops werden schamfrei

Die Bremer Fun Factory wendet sich mit politisch korrekten Sex-Toys an ein aufgeklärtes Publikum, in Hamburg soll gar ein queerfeministischer Laden eröffnen.

Für Hipster: Ein Modeblog präsentiert einen Kunstporno in einem traditionellen Sexshop. Foto: Hannibal Hanschke/dpa

HAMBURG taz | Für geschäftige PassantInnen verbergen Werbebanner den Blick hinter die ausgeleuchteten Schaufenster. Doch lassen sie FlaneurInnen genug Raum, einen Blick ins Innere zu wagen. Es bedarf dieser Langsamkeit, um zu erkennen, was im Store der Fun Factory auf dem Ostertorsteinweg in Bremen verkauft wird. Denn die Außenstelle des Bremer Sextoy-Herstellers präsentiert sich als Lifestyle-Laden. Erst beim Schlendern fallen die bunten Dildos auf, die auf farblich abgestimmten Handtüchern dezent im Schaufenster platziert sind. Spielerisch und sauber ist hier der Sex. Als nötiger Blickfang sind drei Frauen abgelichtet, die ihre Dildos in die Höhe halten. Die Botschaft dahinter verrät ein Slogan: Never stop the fun.

Die Fun Factory hat wenig mit dem gemeinsam, was das Bild eines Sexshops prägte. Nichts erinnert an Zeiten, in denen Toys hinter abgeklebten Fenstern in Bahnhofsnähe verkauft wurden. Die düstere Erotik ist einer hellen und freundlichen Atmosphäre gewichen. Im Geschäft dominieren runde Formen und feminine Leichtigkeit. Während andere Läden Sex als Spektakel und Tabubruch vermarkten, wird er in der Fun Factory normalisiert.

„Von Anfang an“, erinnert sich Dirk Bauer, Gründer und Geschäftsführer der Fun Factory, „haben wir uns als Erotik-Lifestyle-Unternehmen definiert“. Triebfedern seien vor allem die Produktion mit „einwandfreien“ Material gewesen und die deutliche Distanzierung zur Pornografie. Im Store finden sich keine Filme oder Magazine, die Sexualität ausstellen oder Menschen, die beim Geschlechtsverkehr abgebildet sind. Selbst die Verpackungen zieren nur Fotos von ihrem Inhalt.

Umgangen wird damit neben einer Sensationalisierung auch eine eindeutige Zuordnung der Toys nach Geschlechtern, was für Bauer ein No-Go ist: „Es gibt keine Vi­bratoren für Männer oder Frauen, so wenig es welche für Schwule oder Lesben gibt.“ Soll die Geschichte des Sex als eine der Befreiung gelesen werden, die Fun Factory gäbe ein gutes Zeugnis dafür ab.

Doppelköpfige Befreiung

Doch die Liberalisierung des Sex hat etwas Janusköpfiges. Einerseits wurde die Lust aus den viktorianischen Schlafzimmern befreit, anstelle der Reproduktion zum neuen Zentrum des Sex. Für die tabulose Auslebung dieser Lust wird auch heute noch gekämpft.

Andererseits hat der französische Soziologe Michel Foucault analysiert, wie sich der Mensch mit der Befreiung der Sexualität einem neuen Zwang unterwarf: dem Zwang zum Geständnis. Zu sehen ist das in den sozialen Netzwerken, die ausschließlich über Bekenntnisse funktionieren. Für die Sexualität gilt, dass über Sex noch nie so viel gesprochen wurde wie in der Jetztzeit: „In unserer Gesellschaft wird Sex nicht mehr um seinetwillen betrieben […], sondern um ihn zu diskutieren und zu durchleuchten. Es herrscht nicht mehr die Lust an sich, sondern eine ‚Lust an der Wahrheit der Lust‘.“

Nach Foucault gestaltet sich die Sexualität des spät-modernen Menschen durch Rede und Bekenntnis. Gelüste und Vorlieben vollziehen sich über die Offenbarung des eigenen Begehrens. Sex ist nicht mehr nur Gesprächsthema, sondern Aushandlungsort der eigenen Identität. „Gestehe!“ heißt dann auch immer: Erkenne dich selbst!

Erst die Verschiebung des Privaten ins Öffentliche ermöglichte einen Sexshop wie die Fun Factory. Zugleich macht sich die Fun Factory diese Struktur gekonnt zu eigen. Das Ladeninnere ähnelt einer Boutique, in der ovale Formen überwiegen, was der ganzen Atmosphäre etwas Organisches verleiht. Die Toys stehen nicht verpackt im Regal, sondern sind wie kleine Kunstwerke auf Kisten oder Glas inszeniert. Das lädt zum Anfassen ein, und wie bei Kleidungsstücken befinden sich die KonsumentInnen in der Situation, entscheiden zu müssen, welches Toy zu ihnen passt.

Mehr lesen Sie im Schwerpunkt der gedruckten taz.am wochenende Seite 51–53

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