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Spanien vor entscheidenden WahlenOffen nach ganz rechts

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Spaniens Konservative haben keine Hemmungen, mit Rechtsextremen wie der VOX zu kooperieren. Aber das überrascht nicht, schaut man auf ihre Geschichte.

PP-Parteichef Feijoo driftet nach rechts Foto: reuters

S paniens Partido Popular (PP) sieht sich vor einem neuen politischen Zyklus. Die stärkste rechte Oppositionspartei, der seit einem Jahr der Galicier Alberto Núñez Feijóo vorsteht, hofft bei den Regional- und Kommunalwahlen am kommenden 28. Mai, stärkste Kraft zu werden.

Die Konservativen wollen ihre kommunale und regionale Macht ausbauen und den Grundstein für einen Sieg bei den Parlamentswahlen Ende des Jahres legen. Die Regierungsbeteiligung scheint zum Greifen nahe. Doch dazu braucht Feijóo die Unterstützung der rechtsextremen VOX.

Bislang schwankt Feijóo zwischen Zentrum und rechtem Rand hin und her. Zum einen umwirbt er die politische Mitte, zum anderen versucht er, die extreme Rechte zu bedienen, mit deren Unterstützung seine PP bereits in mehreren Regionen und Gemeinden regiert – im zentralspanischen Castilla y León gar in einer gemeinsamen Koalition.

Ziel ist, die verlorene Hegemonie im rechten Spektrum zurückzugewinnen. Zumindest so weit, dass eine Aussicht auf eine starke Minderheitsregierung ohne Minister aus der VOX besteht.

Resistenter als gedacht

Lange vereinte die PP das gesamte rechte Spektrum Spaniens unter ihrem Dach. Die PP bzw. ihre Vorgängerorganisation Alianza Popular entstand nach Ende der Franco-Diktatur 1975 aus einem Teil der franquistischen Eliten. Sie sahen in Europa weniger ein politisches als ein wirtschaftliches Vorbild.

Die AP unter dem Vorsitz eines ehemaligen Ministers der Diktatur ging pragmatisch vor, nahm die Reste gescheiterter liberaler und christdemokratischer Kräfte auf und ließ die PP dann zur alleinigen Kraft rechts der Mitte werden.

Mit starker territorialer und unter José María Aznar und Mariano Rajoy staatlicher Macht hatte die PP allen etwas zu bieten. Im wahrsten Sinne des Wortes: Keine Partei bediente sich so wie die PP.

Mit Korruption und Eurokrise kam dann auch die Krise des spanischen Zweiparteiensystems. Auf der Linken bekamen die Sozialisten Konkurrenz von Podemos, auf der Rechten geriet die PP zuerst durch Ciudadanos, dann durch die rechtsextreme VOX unter Druck. Aus dem Zweiparteiensystem wurde das System zweier Blöcke.

Ciudadanos ist nach einer Reihe strategischer Fehlentscheidungen – unter anderem, sich von der Mitte weg ebenso zum rechtem Rand hinzubewegen – kein Jahrzehnt nach größter Ausbreitung schon wieder so gut wie Geschichte. Die meisten ihrer Wähler fanden den Weg zurück zur PP, andere zur rechtsextremen VOX, die sich als resistenter erweist, als viele dachten.

VOX, im Grunde ein Stiefkind der PP, mit Politikern wie Santiago Abascal, die schon bei der PP Karriere gemacht hatten und von parteinahen Stiftungen lebten, eroberte nach dem Einzug ins andalusische Regionalparlament 2018 die spanische Politik im Handumdrehen. Mittlerweile ist sie im Parlament die drittstärkste Kraft.

Sie besetzt die üblichen rechtspopulistischen Themen: Anti-Feminismus, Kampf gegen Abtreibung und sexuelle Minderheiten, Verteidigung der Traditionen, hier mit den spanischen Besonderheiten wie Jagd und Stierkampf. Hinzu kommt ein aggressiver, zentralspanischer Nationalismus, der sich gegen die Regionen richtet, die mehr Eigenständigkeit oder gar die Unabhängigkeit wollen.

Seit dem Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien 2017 macht VOX erfolgreich Stimmung gegen alles, was ein homogenes Spanien in Frage stellt.

Entstanden ist sie aus einem Konglomerat von kleineren rechten, oft ultrakatholischen Organisationen, die jahrelang von der herrschenden PP benutzt wurden, um die Ablehnung eines Friedensdialogs mit der baskischen ETA oder den Widerstand gegen unliebsame linksliberale Inhalte wie ein modernes Familienkonzept, mehr Frauenrechte oder die Homoehe auf die Straße zu bringen. Diese Gruppen waren es irgendwann leid, nur ein Spielball der PP zu sein. Sie wollten Resultate sehen.

„Kleine, feige Rechte“ schimpfen VOX-Politiker die PP mittlerweile gerne. Mit zwei – wenn auch gescheiterten – Misstrauensanträgen gegen die Linkskoalition unter dem Sozialisten Pedro Sánchez gelang es ihnen, innerhalb der Rechten die Initiative zu ergreifen und der PP den Rang abzulaufen.

Bei vielen Themen gibt VOX inzwischen den Ton an, PP und Ciudadanos laufen nur noch hinterher. VOX sagt offen, was die meisten PP-WählerInnen bloß denken. In mehreren Regionen ist die Partei damit längst hoffähig geworden.

In Castilla y León sitzt sie mit im Kabinett, in Murcia ist die PP-Regierung von VOX abhängig, ebenso wie der PP-Bürgermeister in Madrid oder die PP-Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso in der Hauptstadtregion. Anders als in Deutschland, wo die „Brandmauer nach rechts“ (noch) steht, ist für Spaniens Konservative eine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten kein Tabu. Sie speisen sich schließlich aus denselben Quellen.

Spanien! Oder die Regierung!

Mehr noch: In der Hoffnung, verlorene Wählerschaft zurückzugewinnen, rückt die PP selbst immer weiter nach rechts. In der Region Madrid wird das besonders deutlich. Die dort regierende Ayuso wettert gegen ein Gesetz, das Transsexuellen mehr Rechte einräumt, sucht nach Gesetzeslücken, um Schulen zu fördern, die nach Geschlecht getrennten Unterricht anbieten.

Feijóo beschwört ein Szenario herauf, in dem es gelte, zwischen der Regierung und Spanien zu entscheiden. Die Koalition aus Sozialisten und Linksalternativen sei die Regierung der „Feinde Spaniens“, da sie von katalanischen und baskischen Parteien unterstützt wird, so Feijóo. Gemeinsam mit VOX ging die PP schon gegen den „Kommunisten und Vaterlandsverräter Sánchez“ und „für Spanien und die Verfassung“ auf die Straße. Feijóo lässt keinen Zweifel an seiner nach ganz rechts offenen Flanke. „Wir werden regieren, mit wem wir können“, sagt er.

Sollte sein Kalkül aufgehen, könnte die extreme Rechte in einem weiteren wichtigen EU-Land zumindest mitregieren.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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