Spätfolgen des Kolonialismus: Kein Asyl für Sahrauis in Spanien
35 Aktivisten aus der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara wird Schutz verweigert. Sie sitzen am Madrider Flughafen fest.
„Bei zehn von ihnen wurden die Asylanträge abgelehnt. Die anderen warten auf eine Entscheidung“, erklärt Anwältin Fatma El Galia von der Vereinigung Sahrauischer Anwälte in Spanien, die die Betroffenen rechtlich betreut. Fernando Grande-Marlaska, Innenminister der Linksregierung, hat angekündigt, sie im Falle einer Ablehnung schnellstmöglich nach Marokko abzuschieben. 12 der 35 sind deshalb seit knapp einer Woche im Hungerstreik.
„Die 35 laufen Gefahr, in Marokko inhaftiert und misshandelt zu werden“, sagt El Galia. Alle seien sahrauische Aktivisten. Die meisten stammen aus der sahrauischen Studentenbewegung, die immer wieder in den marokkanischen Universitätsstätten in Rabat und Marrakesch gegen die Besatzung protestieren. Die spanischen Behörden jedoch betrachten sie als marokkanische Staatsbürger, denen sie kein Asyl gewähren.
„Alle 35 haben ihre ihnen aufgezwungene marokkanische Staatsangehörigkeit abgelegt, als sie in Spanien ankamen“, widerspricht El Galia. Schon deshalb müssten sie als Staatenlose aufgenommen werden. Diese Forderung unterstützt auch ACNUR, die Abteilung des Hohen Flüchtlingskommissars der UNO in Madrid.
„Sie behaupten nicht einfach, dass sie Sahrauis seien, sie können das belegen“, sagt El Galia. Sie alle stammten aus Familien, die in einem von den Vereinten Nationen erstellten Zensus für ein nie abgehaltenes Referendum über die Zukunft der Westsahara erstellt wurde. Diese Listen wiederum stützen sich auf einen älteren Zensus der spanischen Kolonialverwaltung. Einige der 35, so die Anwältin, waren im Gefängnis und wurden dort gar misshandelt.
Mangelnde ärztliche Versorgung und schlechte Hygiene
„Die Situation auf dem Flughafen ist unerträglich“, sagt El Galia. Die Hygiene lasse zu wünschen übrig, eine adäquate ärztliche Versorgung gebe es weder für die beiden Kleinkinder, von denen eines an schweren Allergien leide, noch für die Erwachsenen, von denen einer krebskrank sei.
Die Weigerung des Innenministeriums, die 35 aufzunehmen, hat mittlerweile politische Folgen. Während der große Koalitionspartner, die Sozialisten von Ministerpräsident Sánchez, Innenminister Marlaska unterstützen, stellt sich das Linksbündnis Sumar hinter die Sahauris. „Sie dürfen auf keine Fall nach Marokko abgeschoben werden“, erklärt Tesh Sidi, Sumar-Abgeordnete und selbst Sahraui, nachdem sie nicht zu den Asylbewerbern vorgelassen wurde.
„Die Westsahara wird Spanien verfolgen, solange die Dekolonialisierung nicht abgeschlossen ist“, so Sidi. Neben Sumar verlangen auch die linksalternative Podemos sowie die baskische Bildu und die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) ein Bleiberecht für die 35. Bildu und ERC haben im Parlament einen Antrag gestellt, damit Marlaska vor die Plenarsitzung geladen wird. Alle drei Parteien unterstützen die Minderheitsregierung Sánchez.
Marokko verhindert Referendum über Westsahara
Seit in den 1990er Jahren ein Waffenstillstand zwischen der Befreiungsbewegung Polisario, die 20 Prozent der Westsahara sowie Flüchtlingslager auf algerischem Gebiet verwaltet, und Marokko zustande kam, versuchen die Vereinten Nationen vergebens, ein Referendum über Westsaharas Zukunft abzuhalten. Dies scheiterte bislang an der Haltung Marokkos.
2022 vollzog die spanische Regierung unter Sánchez eine Kehrtwende. Sie erkennt seither de facto Marokko als rechtmäßige Verwaltung über die besetzten Gebiete an. Ein Autonomiestatus innerhalb des marokkanischen Königreiches sei angeblich die einzige Lösung.
Dies befreit Madrid jedoch nicht von seiner internationalen Verantwortung, denn solange es kein Referendum und damit keine Dekolonialisierung gibt, ist Spanien für die UNO offiziell die Verwaltungsmacht des umstrittenen Gebietes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist