piwik no script img

Soziologe über Massentourismus„Teneriffa steht vor dem Kollaps“

17 Millionen Besucher im Jahr, bewässerte Golfplätze, rationiertes Wasser für Einheimische – so geht es nicht weiter, sagt Soziologe Eugenio Reyes.

Protest gegen den Neubau eines Hotels am Strand von La Tejita und gegen die Ferienanlage im kleinen Hafen von Adeje auf Teneriffa am 11.04.2024 Foto: Europa Press Canarias/dpa
Reiner Wandler
Interview von Reiner Wandler

taz: Herr Reyes, unter dem Motto „Die Kanaren stoßen an ihre Grenze“ protestieren am Samstag Dutzende Umweltorganisationen, Parteien und Bürgerinitiativen auf allen sieben bewohnten Kanarischen Inseln gegen die Auswirkungen des Massentourismus. Warum jetzt?

Eugenio Reyes: Wir warnen seit den 1990er Jahren vor den negativen Auswirkungen des Massentourismus. 2002 sammelten wir 120.000 Unterschriften unter einem Volksgesetzesentwurf, der vom kanarischen Parlament angenommen wurde. Es wurde ein Baustopp für touristische Infrastruktur erlassen. In den letzten Jahren wurde er aufgeweicht. Vor vier Jahren wurde das Baugesetz schließlich so geändert, dass große Ländereien, die bisher als ländlicher Raum galten oder gar unter Landschaftsschutz stehen, urbanisiert werden können. Der endgültige Funke sind zwei riesige Touristenkomplexe mit Hafen in geschützten Gebieten auf der Insel Teneriffa. Die Inselregierung hat nach jahrelangen Auseinandersetzungen grünes Licht gegeben.

Bild: privat
Im Interview: Eugenio Reyes

Soziologieprofessor an der Uni in Las Palmas de Gran Canaria. Vorsitzender der Umweltschutzorganisation ASCAN, Sprecher des kanarischen Umweltschutzdachverbandes Ben Magec.

Die spanische, aber auch die ausländische Presse spricht von „Tourismophobia“…

Darum geht es nicht. Alle Umfragen zeigen, dass die Menschen auf den Kanaren nichts gegen die Touristen haben, Wir leben seit 150 Jahren mit und von Besuchern. Es geht darum, was die Folgen eines unkontrollierten Massentourismus sind.

Die da wären?

2008, vor der Eurokrise, hatten wir 8 Millionen Besucher pro Jahr, 2019, vor der Covid-Pandemie, waren es 16 Millionen. Das heißt, in zehn Jahren hat sich der Tourismus verdoppelt. Mit der Pandemie kam die Hoffnung, dass das Modell des Massentourismus Vergangenheit ist. Dem war nicht so. Dieses Jahr werden 17 Millionen Menschen erwartet. Bei den Protesten geht es nicht nur um Hotelkomplexe. Es geht auch um Luxussiedlungen, die überall entstehen, mit Rasen, Parks, Swimmingpools – und das auf Inseln, die nur wenig Wasser haben.

Welche Insel ist besonders betroffen?

Teneriffa. Über 30 Prozent aller Urlauber, die auf die Kanaren kommen, fahren nach Teneriffa. Die Insel ist dem Kollaps nahe. Lange Staus, Schlangen vor überfüllten Lokalen. Trotzdem wird in Teneriffa weiter gebaut, und die Insel ist für die anderen so etwas wie ein Vorbild.

Wie wirkt sich der Klimawandel aus?

Die Inseln sind trockener denn je. Im vergangenen Sommer wurde das Wasser für die Bevölkerung im Süden Teneriffas rationiert, während es in den Hotels weiterhin Wasser gab, die Pools gefüllt und die Golfplätze besprenkelt wurden.

Der Tourismus bietet 40 Prozent der Arbeitsplätze und generiert 35 Prozent des BIP auf den Inseln. Wollen Sie die Kuh schlachten, von der Sie leben?

Aber wir machen doch schon genau das. Die negativen Auswirkungen des Massentourismus betreffen nicht nur die einheimische Bevölkerung, sondern auch die Touristen selbst. Wem gefallen Staus und Schlangen im Urlaub? Wir wollen unendlich weiterwachsen in einem Gebiet, das endlich ist.

Aber die Menschen auf den Kanaren leben von diesem Tourismus.

Das ist nicht ganz so einfach. Viele Menschen leben nicht von Hotel- und Gaststättengewerbe, sondern davon, ständig neue Infrastrukturen aus dem Boden zu Stampfen, vom Bau.

Wie sind die Arbeitsbedingungen in der Tourismusbranche?

Überstunden werden häufig nicht bezahlt, die Löhne sind oftmals so gering, dass es angesichts der hohen Benzinpreise für viele gar nicht mehr rentabel ist, lange Anfahrtswege in Kauf zu nehmen. Deshalb bleiben trotz Arbeitslosigkeit viele Stellen unbesetzt. Hinzu kommt ein neues Phänomen: Die Langzeitvermietung von Ferienwohnungen in den Wintermonaten in den Städten. Es wird immer schwerer für die Einheimischen, erschwingliche Wohnungen zu finden. Der Reichtum, der durch den Tourismus erwirtschaftet wird, kommt der Bevölkerung nicht zugute. Die Kanaren sind mit 36 Prozent der Bevölkerung an oder unter der Armutsgrenze die ärmste Region Spaniens. Wir haben hier eine strukturelle Armut, aus der nur schwer wieder herauszukommen ist.

Wie sähe denn ein guter Tourismus für die Kanaren aus?

Wir haben hier über 15 Millionen Touristen, die im Schnitt sieben bis zehn Tage bleiben. Damit haben wir 150 Millionen Übernachtungen pro Jahr, so viele wie nirgends sonst. Nicht einmal Paris hat das. Wir brauchen einen klimaneutralen Tourismus, dafür müssen wir investieren. Wir sind eines der wenigen Reiseziele, das keine Übernachtungssteuern wie eine Kurtaxe erhebt. Nur ein Euro pro Nacht ergäben 150 Millionen Euro pro Jahr. Damit könnten wir investieren. Und wir müssen in die Zukunft schauen. Warum nicht gezielt Menschen anziehen, die länger bleiben, weil sie von hier aus online arbeiten können? Digitale Nomaden, Design- oder Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen? Sie könnten die Hotelanlagen auslasten, bei weniger Flugreisen und CO2-Ausstoß. Gleichzeitig würden Touristen mit hohem Lebensstandard kommen und die lokalen Wohnungsmärkte entlastet. Das wäre ein Tourismus für das 21. Jahrhundert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Viele Leser der TAZ haben sich sicher auch schon vorgestellt (so war's bei mir in den 90ern), wie schön es wäre auf Gomera ein klitzekleines Häuschen zu haben und dort zu leben - und ab und zu nach D zu fliegen wenn das Heimwehr drückt oder der Inselkoller kommt... Zeit sich ehrlich zu machen, dass das kein Konzept ist, welches der Planet verträgt. Den Kurzurlaub der vielen mit Flugreisen schon gar nicht.

    Bei den angesprochenen digitalen Nomanden denke ich and die zahlreichen Nachhaltigkeits-Influencer, die immer wieder plötzlich auf einem anderen Kontinent sind ...

    Um die Welt kennenzulernen, sollte die Menschheit zum Auswanderungsschema des frühen letzten Jahrhunderts zurückkehren: man wandert aus und ist dann auch mal für 10 Jahre (oder für immer) woanders.

  • Mit einem Small Modular Reactor (SMR) könnte mit der Entsalzung des Meerwassers das Problem gelöst werden. Sie müssen es einfach nur machen wie Marokko 400km entfernt an der Atlantikküste. Allerdings wird dort ein großes Kernkraftwerk für die Meerwasserentsalzung gebaut.

    • @Pi-circle:

      Nix Lösung: u.a. was machen Sie mit der Brühe daraus.



      Zu Atom: Wie teuer und mit Nachwirkungen versehen ist ein solcher Reaktor? Dass in Marokko auch die Sonne intensiv scheint, ist auch bekannt? Atom macht man nur, wenn man die Bomben-Option möchte; sonst ist dieser Drops gelutscht, aus reinen Kosten-Rechnungen bereits.

  • Digitale Nomaden, Design und Entwicklungsabteilungen - wohlhabende Touristen!



    Schon klar, der gemeine Handwerker wird nur noch zum "buckeln" geduldet!

    • @Eulenauge:

      Ja, der Fokus auf Wohlhabende stört mich auch etwas. Ist ja von anderen Inseln und Ferienregionen hinlänglich bekannt. Aber es werden immerhin auch Golfplätze kritisiert.

      Vielleicht wäre Beachgolf ein Kompromiss? Könnte man ja zu Desertgolf abwandeln ...

  • Es ist das gute Recht der Tinerfeños die Touristenmengen und Anlagen so zu bestimmen und begrenzen, wie sie das für nötig halten.



    Da aber der Tourismus alleine schon rund 40% der Arbeitsplätze ausmacht wird es zum Eiertanz zwischen dem Erhalt ihrer Kultur und Natur und dem lieben Geld. Einen Tanz, den sie nur selbst bestimmen können.



    Allerdings finde ich solche Touri Hotspots wie Los Americanos grauenhaft, so was muss nicht sein.

  • Fahrts halt mit dem Rad zum Wann- oder Chiemsee, die Temperaturen sind inzwischen fast soweit, es ist gesünder und hilft der Umwelt auch.

    Auch Tourismus sollte seine vollen Kosten endlich tragen.

  • Massentourismus bedeutet fast immer zuviele Menschen zahlen zuwenig für den Aufwand, den sie für die Menschen vor Ort verursachen. Aber gleichzeitig bedeutet es eben auch, viele können reisen, die sonst davon ausgeschlossen wären und ohne viele Touristen hätten die meisten Menschen vor Ort auch nicht mehr zum Leben und würden wohl eher ihre Inseln verlassen (müssen). Insofern ist der Trend zu höherpreisigem, nachhaltigerem Reisen eine prinzipiell gute Entwicklung, wird aber viele Reiseziele für viele Mitbürger aus Kostengründen eher wieder unerreichbarer werden lassen.

    • @vieldenker:

      Wenn die Menschen sich mehr auf die Welt (oder im Fall Deutschland: auf Europa) verteilen würden beim Reisen, wäre das Problem wesentlich kleiner.

      Die Kanaren sind halt ein Hotspot, weil es der einzige Ort in einem "europäischen Land" (eigentlich bikontinental, aber egal) sind, in der man auch mitten im Winter sommerliche Temperaturen hat.

      Vielleicht könnte sich das Problem lösen, wenn die Türkei sich in 5 Jahren dank Imamoglu wieder der EU annähert. Dann hätte man die Strände der türkischen Südküste, die wesentlich länger ist als die Kanarenküste, als fast vollwertige Alternative. (Ich kann verstehen, warum einige in der derzeitigen Situation nicht in die Türkei wollen.) Marokko soll auch ganz nett sein.

  • Wir waren gerade 10 Tage da. Aber das Hotel nicht verlassen. Von daher keinen gestört und ordentlich Geld dagelassen. Win Win.

    • @hartmood:

      Das Hotel hatte sicher seine eigene Meerwasserentsalzungsanlage, oder? ;-)

      • @argie:

        Das kann gut sein. Der Pool hatte jedenfalls ziemlich salziges Wasser.

  • Der Mobilitätswahn sprengt alle Schranken...sprich es ist "die Wirtschaftsform in der man mit Geld Geld verdienen kann" Pispers meint den ausufernden Kapitalismus, der " die Resourcen des Planeten hemmungslos ausbeutet, entzieht uns unsere eigenen Lebensgrundlagen"...Der Massentourismus ist nur eine andere Abart der Ausbeutung ( 10000 !!! Kreuzritter auf einer schwimmenden Stadt)...

  • Danke. Es ist sooo einfach.

    Teneriffa könnte die Zahlung von 50 oder sogar 100 Euro pro Flug-Tourist bei Landung am Flughafen Teneriffa an "Insel-Eintrittsgebühr" anordnen/verfügen.

    Und dieses wirklich viele Geld direkt der einheimischen Bevökerung, für z.B. Sozialwohnungen/KiTa's/Pflegeheime/etc. zukommen lassen.

    Einheimische sind natürlich ausgenommen von jeglicher "Touristeuer". Klaro!

    Es ist sooo einfach für seine Bevölkerung zu sorgen.

    Müssen nur wollen... . :-()

  • Am Einfachsten wäre es doch, die Anzahl der Übernachtungsmöglichkeiten zu reduzieren. Ja, Hotels abreißen.

    Ach, dann fehlen Einnahmen? Guck an.

    Wozu stellt man - in zeittypischer Manier - den "Verbraucher" an den Pranger?

    Und vielleicht weiß jemand zu erklären, wie klimaneutraler Tourismus geht? Der Urlauber rudert selber und hat einen Stapel Solarpaneele dabei?

  • Der Overtourism ist doch längst ein Killer jeglicher Erholung und Urlaubsfreude geworden. Ich habe also nichts verpasst, weil ich noch nie auf einer der Urlaubsinseln oder Mallorca war.

    • @aujau:

      Oh, die Kanaren sind wunderschön. Lanzarote hat(te) mit César Mqnrique einen, der das kommen sah und dagegen eigentlich recht erfolgreich arbeitete. Aber man weicht die Regeln auf.



      Dass Leute in Bettenburgen sitzen bleiben ist ja hie und da schonender als allüberall superindividuell sich einzunisten. Da ist ja La Gomera ein gutes Beispiel. Los Cristianos ist in seiner biotopen Hässlichkeit durchaus mal einen halben tag zu besichtigen.... Wo man nun überall weiterbauen will, ja, das müssen die Insulaner unter sich ausmqchen.



      Und Mallorca, es gibt nicht nur Playa de Palma...

      Dass das immer mehr nun vielerorts doch an Grenzen stößt,