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taz FUTURZWEI

Sozialpolitik von Union und SPD So nicht!

Bundeskanzler Merz hat einen „Herbst der Reformen“ zur Neuaufstellung des Sozialstaates angekündigt. Dies läuft aber nur auf ein konzeptionsloses Herumfuhrwerken in den Systemen hinaus.

Orientierungslos in der Regierung: Die SPD-Spitze um Klingbeil (links), Bas (rechts) und Klüssendorf (hinten) verpasst es, bei der Sozialpolitik progressive Akzente zu setzen. Foto: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

„Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“

Bundeskanzler Merz am 23. August

taz FUTURZWEI | Etwa 200 Milliarden Euro, fast die Hälfte des Bundeshaushalts in Höhe von 483 Milliarden Euro, fließen in die sozialen Sicherungssysteme, die Renten, die Gesundheitsversorgung, die Pflege und anderes.

Die Milliarden aus den Steuereinnahmen decken die Defizite in den Einzelsystemen, die durch die Beiträge nicht auskömmlich finanziert werden können. Sie finanzieren darüber hinaus Transferleistungen, etwa das Bürgergeld oder auch das Wohngeld.

Bild: privat
Über den Autor

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Jetzt sei es mal genug, die konsumptive Sause der letzten Jahrzehnte sei vorbei, der Schlendrian oder das ambitionslose „Weiter so“ müssten aufhören, tönt es in den Medien. Der Sozialstaat habe sich schon lange von seinem subsidiären Grundgedanken verabschiedet, nämlich der Unterstützung von Hilfebedürftigen nur dort, wo es aus eigener Kraft überhaupt nicht mehr geht.

Stattdessen habe er sich zu einem bürokratischen Monster entwickelt, das von Arbeitsscheuen, Sozialschmarotzern und nicht integrationswilligen Flüchtlingen missbraucht würde.

Philosophisch klingende Bürgerbeschimpfung

Dann gibt es noch eine eher philosophisch klingende Variante dieser Bürgerbeschimpfung. „Bindet man die Demokratie an den Wohlstand als Voraussetzung, bindet man sie an das Reich der Notwendigkeit zurück. Und dies steht im Konflikt mit der Freiheit.“

In der Bundesrepublik glaube man daran, dass „die eigentliche Existenzsicherung der Republik darin bestehe, eine Wohlstandsmaschine zu sein“, schrieb der Publizist Thomas Schmid in der Zeit.

Wohlstand, soziale Sicherheit werden hier als Einschränkung der Selbstverantwortung jedes Einzelnen, sowie des Weltgestaltungswillen der innovativen CEOs gesehen, von deren freier Entfaltung in diesem Denken die Zukunft des Kapitalismus, der Demokratie und des Sozialstaates abhängen.

Diese freie Entfaltung des Kapitals soll nun mit den Leistungskürzungen bei den Transferleistungen befördert werden.

Mit einem Mix aus diesen Kürzungen am Sozialstaat, aus Steuersenkungen für die Unternehmen, aus der Deregulierung der angeblich überbordend bürokratisch geregelten Verfahren in der Umwelt-, Wirtschafts- und Energiepolitik und mit staatlichen Subventionen in neue Technologien auf Schuldenbasis, soll der Unternehmerfreiheit eine Schneise geschlagen werden, selbstverständlich im Interesse der gesamten Gesellschaft.

„Die Struktur des Sozialstaates soll gestrafft, das Wohngeld und das Kindergeld ins Bürgergeld einbezogen und als selbständige Sozialleistung abgeschafft werden.“

„Steuern, Beiträge und Gebühren sollen so ausgestaltet werden, dass möglichst wenige Verzerrungen privater Investitions-, Arbeitsangebots- und Konsumentscheidungen auftreten“, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Lars Feld in der FAZ.

Streichen, kürzen, abschaffen

Die Ausgaben für das Bürgergeld, die Grundsicherung für alle Arbeitsuchenden, sollen mit strengeren Sanktionen, bis hin zu völliger Leistungsverweigerung, um 6 Milliarden Euro gesenkt werden. Der Vermittlungsvorrang von Fördermaßnahmen für jeden Einzelnen soll abgeschafft werden. Zumutbare Arbeit soll verpflichtend werden, unabhängig von den Ausbildungsvoraussetzungen des Arbeitssuchenden. Die Karenzzeit von Vermögen in den Familien der Arbeitssuchenden in Höhe von 80.000 Euro soll gestrichen werden.

Die Struktur des Sozialstaates soll gestrafft, das Wohngeld und das Kindergeld ins Bürgergeld einbezogen und als selbständige Sozialleistung abgeschafft werden. Die Verrechnung von Löhnen, was bisher das Bürgergeld mindert, soll abgeschwächt werden, was das Arbeiten mit Billiglöhnen stärkt, die Rückkehr in dauerhafte Beschäftigung aber behindert.

Bei den Renten werden vorerst direkte Kürzungen ausgeschlossen. Im Gegenteil, der bisher geltende Demographie-Faktor in der Rentenformel, der die Zunahme der Renten dämpft, soll bis 2031 ausgeschaltet werden. Die Mütterente wird zum dritten Mal erhöht, was insgesamt Mehrkosten aus dem Bundeshalt in Höhe von 14 Milliarden Euro jährlich zur Folge hat.

Eine Erhöhung des Renten-Eintrittsalters steht bisher nicht auf der Agenda. Für die Finanzierung dieser Rentenpolitik werden allgemeine Steuerhöhungen erwogen. Dieses Vorgehen verwundert nur deshalb nicht, weil hier wohl die überproportionale Dominanz der Alten im Elektorat entscheidungsleitend berücksichtigt wird.

In der Krankenversicherung sollen weitere Beitragssteigerungen vermieden werden. Deshalb müssen die Kosten des Gesundheitssystems sinken, was nur mit Leistungsbeschränkungen und höheren privaten Beteiligungspflichten der Kranken an den Kosten, die sie verursachen, möglich wird.

Zur Absicherung der Finanzierung der Gesundheitskosten wird die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze diskutiert, was die CDU aber strikt ablehnt.

In der Pflege ist die Idee einer Ausweitung über die aktuelle Teilkasko-Pflegeversicherung hinaus hin zu einer Pflege-Bürgerversicherung für alle in der Diskussion. Zu ihrer Finanzierung sollen alle und alle Einkommensarten herangezogen werden, was trotzdem zu höhere Beiträgen für die Pflegeversicherung führen wird. Zusätzlich sind pflichtige private Zusatzpflegeversicherungen im Gespräch.

Und die SPD?

Dieses von Bundeskanzler Merz großspurig als „Herbst der Reformen“ angekündigte Programm zum Neuaufstellen des Sozialstaates kann als konzeptionsloses Herumfuhrwerken in den Systemen des aktuellen Sozialstaates qualifiziert werden.

Das Ziel, damit die Sozialleistungen so zu kürzen, dass die Wirtschaft daraus wesentliche Einsparungen für ihre Investitionen generieren kann, wird ebenso wenig erreicht, wie das dringend notwendige Neujustieren des Sozialstaates für die nächsten Jahrzehnte.

Diese Neujustierung ist aber auch ohne substantielle Kürzungen der Leistungen, nur moderaten Erhöhungen der Beiträge und der Fortsetzung des Defizitausgleichs aus dem Bundeshaushalt möglich, wenn die Strukturen des Sozialstaates nutzerorientiert und evidenzbasiert effektiv neu aufgestellt würden.

Wie das funktionieren kann, hat Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat mit seiner Krankenhaus-Reform gezeigt, der Schließung von viel zu kleinen Krankenhäusern bei gleichzeitiger Verbesserung der Versorgungsqualität gezeigt. Die SPD hat ihren primär strukturpolitisch denkenden Vorzeige- und Fach-Minister Lauterbach ohne Not in der zweite Reihe geschickt.

„Was die SPD zu Kompromissen mit der CDU zwingt, die sich dann doch nur als ordinäre Sozialkürzung erweisen.“

Sie signalisiert damit, dass sie ihre Sozialpolitik weiter auf eine monetäre Absicherung der Höhe aktueller Sozialleistungen ausrichtet und sonst nichts. Was sie zu Kompromissen mit der CDU zwingt, die sich dann doch nur als ordinäre Sozialkürzung erweisen.

Beispiel: Sozialministerin Bärbel Bas hat bereits eine zweite Nullrunde, das meint den Verzicht auf einen Inflationsausgleich beim Bürgergeld angekündigt.

Die Arbeitenden in der Bundesrepublik haben in vielen Jahrzehnten mit ihren Gewerkschaften einen soliden, keinesfalls luxuriösen Sozialstaat erkämpft. Warum statt einer Effizienzrevolution des Sozialstaates sie nun Verschlechterungen ihrer sozialen Versorgung hinnehmen sollen, zugunsten der Investitionen von Unternehmern und deren Profitabilität, ist überhaupt nicht nachzuvollziehen.

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