piwik no script img

Soziale UngleichheitSuperreiche werden noch reicher

Eine Oxfam-Studie vor dem Beginn des G7-Gipfels zeigt: Die soziale Ungleichheit nimmt zu. Schuld daran sind die großen Industriestaaten.

Das Armutsrisiko ist auch in Deutschland hoch: In Bremen ist fast jeder Vierte von Armut bedroht Foto: dpa

Berlin taz | Vor vier Jahren hatten die Vereinten Nationen einhellig beschlossen, dass es von 2030 an keine extreme Armut mehr geben soll. Einiges ist geschehen – auch schon vor diesem Beschluss. Die Zahl der Armen, die von unter 1,90 US-Dollar am Tag leben – die Definition der Weltbank von extremer Armut – ist auf unter 10 Prozent der Weltbevölkerung gesunken. Vor der Jahrtausendwende waren es noch knapp 30 Prozent.

Diese Entwicklung hat jedoch nicht dazu beigetragen, dass auch der Gegensatz zwischen Arm und Reich kleiner wird. Im Gegenteil: Die soziale Ungleichheit hat sich weltweit massiv verschärft. Und die sieben wichtigsten Industriestaaten (G7), deren Staatschefs sich am Wochenende im französischen Biarritz zu ihrem jährlichen Gipfel treffen, tragen nach Ansicht der entwicklungspolitischen Organisation Oxfam ganz entscheidend zu dieser Ungleichheit bei.

„Ungerechte Steuersysteme“ und „schädliche Steuerpraktiken“ würden vor allem Unternehmen und Einzelpersonen aus den reichen Industriestaaten „zu drastischen Gewinnen“ verhelfen, schreibt Oxfam in ihrem jüngsten Bericht „Die tödlichen Sünden der G7“. Entwicklungsländern würden auf diese Weise wichtige Steuereinnahmen vorenthalten, die jedoch dringend notwendig wären, etwa für Bildung, Gesundheit, technologische Entwicklung und soziale Sicherheit.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will die soziale Ungleichheit in den Mittelpunkt des zweitägigen Gipfels rücken, der am Samstag beginnt. Die G7 bestehen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA.

Deutschland blockiert

In dem mehrseitigen Bericht nimmt Oxfam konkret auch Deutschland ins Visier, zweitgrößter Exporteur und die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die Deutschen würden nicht ausreichend gegen Armut und soziale Ungleichheit vorgehen, kritisiert die Organisation. So würde die Bundesregierung Steuertransparenz „nach Kräften“ blockieren, die Konzerne dazu verpflichten würde, öffentlich zu berichten, in welchen Ländern sie wie viel verdienen und welche Steuern sie darauf zahlen. Die Bundesregierung tue auch nur wenig dafür, dass deutsche Unternehmen in Entwicklungsländern höhere Steuern zahlen.

Und auch bei der Entwicklungshilfe tut sich nur wenig. Seine Verpflichtung, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in Entwicklungshilfe zu stecken, hat Deutschland nicht erfüllt. 2018 waren es lediglich 0,61 Prozent. „Deutschland wird seiner Verantwortung im Kampf gegen die weltweite Armut nicht gerecht“, kritisiert Oxfam. Außer Großbritannien habe kein G7-Land das 0,7-Prozent-Ziel erreicht. Keines der G7-Länder unternehme auch nur annähernd genug, um den Klimawandel zu begrenzen und arme Länder zu unterstützen, sich den Folgen anzupassen.

Zahl der Milliardäre hat sich verdoppelt

Die entwicklungspolitische Organisation hat bereits zu Jahresbeginn darauf hingewiesen, dass die soziale Schere weltweit immer weiter auseinanderklafft. 26 Milliardäre besäßen genauso viel wie die ärmere Hälfte zusammen. Diese ärmere Hälfte habe allein im vergangenen Jahr Einbußen von 11 Prozent erlitten, während das Vermögen der Superreichen im gleichen Zeitraum um 12 Prozent zugenommen habe. Die Zahl der Milliardäre habe sich seit der Finanzkrise vor zehn Jahren mehr als verdoppelt. Gleichzeitig könnten sich immer weniger Menschen aus extremer Armut befreien. Das Tempo, in dem extreme Armut abnimmt, habe sich seit 2013 halbiert, schreibt Oxfam.

Doch auch innerhalb Deutschlands klafft die soziale Schere immer weiter auseinander. Die deutschen Milliardäre konnten ihr Vermögen im vergangenen Jahr um 20 Prozent steigern. Das reichste Prozent der Deutschen verfügt damit über ebenso viel Vermögen wie die 87 ärmeren Prozent.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • Lieber User, solche geographisch-physikalisch (Wo ein Supermarkt ist, kann kein anderer sein.) angehauchten Fragen stellen sich nicht. Soweit Sie mich damit beschämen wollten, nehmen Sie das Thema doch bitte ernst.

  • Die Zahl der Armen, die in Deutschland von unter 1,90 US-Dollar am Tag leben dürfte 0% betragen.



    Ähnlich wird es in den anderen Industriestaaten aussehen.

    Um die weltweit vorhandene extreme Armut zu bekämpfen bedarf es einer massiven Umverteilung von Resourcen und Finanzen aus den Industriestaaten in die ärmsten Staaten.

    Und das wird nicht so einfach funktionieren, indem man Aldi enteignet und die Supermärkte dorthin transferiert.

    • @Rudolf Fissner:

      Umverteilung ist kein zuverlässiges Mittel, die kann ja jederzeit abgeschafft werden und Entwicklungshilfe ist ein zweischneidiges Schwert, dass oft mehr schadet als nützt.

      Helfen tut hingegen eine ordentliche Industrie vor Ort, die vernünftige Jobs schafft. So machen es die Chinesen in Afrika aus Eigennutz. Der Abbau der Armut ist dabei ein positiver Seiteneffekt.

      • @Januß:

        Man könnte auch Besitztitel umverteilen. Aldi könnte einem der ärmsten Länder der Welt gehören, beispielsweise Burundi.

        • @Rudolf Fissner:

          Find' ich einen guten Vorschlag. Ich will wirklich nicht stänkern, aber dann bliebe ja auch wiederum alles andere beim Alten (zB Ausbeutung von Menschen und [übriger] Natur), nur die "Gewinne" würde woanders zufließen.

          Letztlich bezahlt man nicht in Geld, sondern in Gütern. Hier meine ich in erster Linie, nennen wir es einmal so, lebenswichtige Konsumgüter. Aber es reichte mE auch nicht, dann am Ende Lebensmittel und Medikamente von den Gewinnen zu kaufen, wenn dies, was krank machte, erhalten bliebe.

          Kurz: das ganze (System) muss wieder vom Kopf auf die Füße. Lebensmittel und Medikamente kann man ja dennoch außer Konkurrenz schicken.

  • Kathi , Moderator
    • @Kathi:

      Danke!

  • Gibt es einen Link auf die Studie?

  • Zitat: „Die Zahl der Armen [...] ist auf unter 10 Prozent der Weltbevölkerung gesunken. [...]



    Diese Entwicklung hat jedoch nicht dazu beigetragen, dass auch der Gegensatz zwischen Arm und Reich kleiner wird. Im Gegenteil: Die soziale Ungleichheit hat sich weltweit massiv verschärft.“

    Na, hauptsache, die Zahl der Millionäre wächst! Es ist schließlich die Hoffnung, die die meisten Menschen antreibt.

    Vermutlich hat die o.g. gegenläufige Entwicklung damit zu tun, dass sich die Reichen jedes kleine Zugeständnis teuer abkaufen lassen. Wo ein Armer einen Cent mehr haben will, lassen sich die Reichen mindestens einen Dollar schenken. Nur unter dieser Bedingung verzichten sie darauf, ihre Macht gegen den Armen (und ihre Vertreter) einzusetzen.

    Die Staatschefs der „sieben wichtigsten Industriestaaten (G7)“ wissen das genau. Sie finden es entweder völlig in Ordnung oder sie sind schlicht unfähig, etwas dagegen zu tun. Lieber lassen sie sich selbst kaufen: So lange sie noch Erfolge vermelden können beim Erreichen des 1,90-Dollar-Ziels, ist ihnen die wachsende Ungleichheit völlig egal.

    Die meisten ihrer Wähler stören sich schließlich auch nicht daran, so lange sie nicht mit 1,90 US-Dollar am Tag auskommen müssen. Vor allem die Deutschen können sich offenbar nicht einmal ansatzweise vorstellen, sie selbst könnten irgendwann mal nicht mehr zu den „Siegern der Geschichte" gehören. Man ist ja schließlich schon mal wer gewesen. Und wenn man dann doch irgendwann mal mit zu wenig Geld auskommen muss (z.B. weil die 1,90 Dollar von jeder Inflation unberührt stehen bleiben), hat man auch andere Sorgen als ausgerechnet die weltweite Gerechtigkeit. Dann muss man nämlich wie ein Irrer um sich schlagen und auf jeden eventuellen Zuwanderer einhassen, der einem angeblich was wegnehmen will.

    Ziemlich unsouverän, der deutsche Souverän, nicht?

  • Das ist auch ein Ergebnis der Politik von Merkel, Schäuble und Co., was leider wenig Würdigung bei der Bewertung beider findet.



    Im Grunde scheint das sogar deren Hauptanliegen abesits der Sonntagsreden.

  • "Die deutschen Milliardäre konnten ihr Vermögen im vergangenen Jahr um 20 Prozent steigern. Das reichste Prozent der Deutschen verfügt damit über ebenso viel Vermögen wie die 87 ärmeren Prozent."

    Noch Fragen, Kienzle?!

    • @Gerhard Krause:

      Jepp. Was soll mit den ganzen Supermärkten von Aldi geschehen? Wie kommen die Ärmsten der Welt an das Supermarktvermögen?

      • @Rudolf Fissner:

        Lieber User, solche geographisch-physikalisch (Wo ein Supermarkt ist, kann kein anderer sein.) angehauchten Fragen stellen sich nicht. Soweit Sie mich damit beschämen wollten, nehmen Sie das Thema doch bitte ernst.

  • na logo, wenn die Zinsen sinken, steigen Aktien und Immobilien und wer viel hat den helfen niedrige Zinsen

    • @Bernhard Hellweg:

      Nur halb richtig. Wenn die Zinsen steigen, dann helfen sie auch dem, der viel hat. Das ist die andere Hälfte.

      Kräht der Hahn auf dem Mist...

      Das einzige, was dagegen hilft ist, dass die, die wenig haben einig dagegen vorgehen.

    • @Bernhard Hellweg:

      Ja, da haben Sie recht. Dennoch Ergänzung:



      1.) Eine weltweite extreme Armut sofort auf DE zu spiegeln halte ich für nicht opportun. Wir haben in DE inakzeptable Zustände und wieder bezug nehmend auf das Aufmacherbild: Obdachlosigkeit. ...jedoch derlei Probleme auf eine globle Stufe zu stellen halte ich für letztlich inhuman.



      2.) Die Ungleichheit hat ihre Wurzel auch in der ungleichen Verteilung von Kapital. Kapitalbeteiligungen anzustreben (sei es eigene Firma gründen, oder Firmanteile an die Mitarbeiter zu geben, oder Aktienbesitz, Staasfonds gründen...) ist in DE ein schwieriges Unterfangen. Wir haben hier betreff Erkenntnisgewinn in der Bevölkerung erheblichen Nachholbedarf, insbesonder bei eher links eingestellten Menschen. Ist aber schwer diskutierbar, da das alles Teufelszeug ist bei vielen, so auch in meinem Bekanntenkreis. Kapitalbeteiligungen könnten zumindest helfen die UNgleichverteilung etwas aufzuheben.

      • @Tom Farmer:

        In allen Ehren, ich bin als " linker Ökonom" gegen leistungsloses Einkommen und Kapitalbeteiligung. Dazu sehe ich im Übrigen eine schnuggelige Vermögenspreisinflation, zudem ein Nullsummenspiel. Ja und wo soll das Ausgangseinkommen oder bzw -vermögen herkommen?

      • @Tom Farmer:

        Auch wenn nun jeder einen oder ein paar Anteile erhielte, würde die ungeliche Verteilung ja nicht wirklich angekratzt.



        Abgesehen davon, dass die allermeisten eben nicht die Mittel haben, um Kapital zu bilden, wenn schon für das nötigste die Rücklagen fehlen.



        Sinnvolle Mechanismen sind Finanztransaktionssteuer, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer.

      • @Tom Farmer:

        Selbst wenn jetzt jeder einen oder ein paar Anteile erhält. Die grundlegende extrem ungleiche Verteilung wird nicht angekratzt.



        Das einnzige, was effektiv hilft sind Ver