Soziale Fragen und grüne Klimapolitik: Das ist also richtiger Urlaub
Wer kann es sich leisten, mit teuren Zugreisen die Welt zu retten? Und sich dabei moralisch über Mallorca-Pauschalurlauber zu erheben?
A n die ersten Schulstunden nach den Sommerferien erinnere ich mich gut. Immer gab es diese Runde, in der man erzählen sollte, wo man die sechs Wochen verbracht hatte. Durch die Reiseberichte der anderen lernte ich neue Orte kennen: Korsika, Sardinien, Algarve. Mich und ein paar andere fragte der Lehrer nur pro forma, weil wir die sechs Wochen entweder mit täglicher Kickerei auf der Schwäbischen Alb verbrachten oder die Familie der Eltern in der Türkei besuchten. Wenn es in die Türkei ging, dann mit dem Auto. Fliegen war zu sechst zu teuer.
„70 Euro mehr für einen Mallorca-Flug können sich Besserverdienende locker leisten, für so manche Familie aber kann das den Traum vom Sommerurlaub beenden“, hat Armin Laschet gesagt. Ich musste an eine Mitschülerin denken, eine Industriellentochter, die in der Stunde nach den Ferien auch mal von Mallorca berichtet hat.
Laschet geht es natürlich nicht um Familien mit wenig Geld, es geht ihm um Wahlen. Er muss den Grünen, die Kurzstreckenflüge überflüssig machen und Langstreckenflüge vermindern wollen, etwas entgegensetzen. Trotzdem hat er, der antisozialere Kandidat (keine Steuererhöhungen, keine Mindestlohnerhöhung), einen wunden Punkt getroffen.
Dass Klimapolitik und Kapitalismus zusammengehen, das demonstrieren die Grünen mit ihrer Rede von der sozial-ökologischen Marktwirtschaft; die Grünen, die von den Joe Kaesers des Landes geliebt werden, weil auch die Joe Kaesers begriffen haben: Die Zukunft des Kapitalismus ist grün.
Noch nicht geklärt ist der Zusammenhang zwischen sozialen Fragen und grüner Klimapolitik. Laschet ist das egal. Aber den Grünen scheint es das auch zu sein. Oder wie glaubwürdig ist eine Partei, die progressive Sozialpolitik neben progressiver Klimapolitik behauptet, zugleich das Ende von Hartz IV mit lächerlichen 50 statt 200 Euro mehr Grundsicherung einläuten will?
So drängend die Frage des Klimawandels auch ist, ein paar Fragen müssen wir klären, bevor wir kollektiv die Welt retten: Wer soll sie für wen retten? Und was haben die einen von der Weltrettung, wenn die Welt für sie auch danach eine Zumutung bleibt? Das Thema Urlaub kann man dabei in einer Welt, die von Lohnarbeit und alltäglicher Disziplinierung regiert ist, nicht wichtig genug nehmen: Wer kann es sich leisten, mit teuren Zugreisen die Welt zu retten? Und sich dabei moralisch über Mallorca-Pauschalurlauber zu erheben?
Seit meinem Auszug von zu Hause bin ich nicht mehr mit meinen Eltern in die Türkei gefahren. Ich wollte mal diesen richtigen Urlaub ausprobieren, von dem die anderen erzählt haben. Den ersten habe ich mit dem Semesterferienjobgeld finanziert: Spanien und Portugal. Weil der Wille allein nicht reicht und das Geld knapp war, bin ich getrampt und habe auch mal auf einer Parkbank geschlafen. Für die Geschichten, die ich nach den Sommerferien erzählen konnte, war das gar nicht so schlecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen