Sonne statt Heizkosten: Überwintern auf Kreta?
Griechenland wirbt jetzt um deutsche Rentner, die im Winter vor den hohen Heizkosten der Heimat entfliehen wollen. Doch es gibt dabei viele Haken.
Auch Kouklakis will sparen. Das habe er auch geschafft, aber an ganz anderer Stelle. Ob Fassade, Fenster oder Türen: Er habe 10.000 Euro in die Wärmedämmung seiner 120 Quadratmeter großen Wohnung in Chania gesteckt. Das Ergebnis könne sich sehen lassen, meint er. „Ich brauche im Winter etwa 1.000 Euro für Heizöl“, freut er sich. Er findet das wenig.
In der Küstenstadt Chania ist es im Winter zweifellos wärmer als in Berlin, Dresden, München oder Oldenburg. Auch hat Chania viel mehr Sonnentage. Damit will Griechenland nun im Winter locken.
Wie die angesehene Athener Zeitung Kathimerini am Sonntag enthüllte, versucht das Tourismusministerium in Kooperation mit Hotelbesitzern und Reiseveranstaltern „Pakete für lange Urlaube nordeuropäischer Rentner im Herbst und Winter in Griechenland zu schnüren, damit sie die hohen Heizkosten in ihren Ländern vermeiden“.
Auch in Kreta wird es im Winter kalt
Bereits letzte Woche hatte der griechische Tourismusminister Vassilis Kikilias dafür geworben. Per Bild-Zeitung lud er die Deutschen ein, „bei mildem Wetter und hochwertigen Dienstleistungen in Griechenland zu überwintern“. Chanias Bürgermeister Panagiotis Simandirakis legte noch eine Schippe drauf und behauptete: „Kein Deutscher wird in Griechenland frieren.“
Der Haken ist nur: Auch in Chania wird es im Winter kalt, es kann sogar schneien. Zwar nicht so oft und nicht so lange, aber leider doch. Die Aussage von Bürgermeister Simandirakis in der Bild-Zeitung, wonach die Chanioten „keine Heizung im Haus“ bräuchten, ist zudem schlicht falsch.
Denn Heizen müssen die rund 100.000 Bürgerinnen und Bürger auch in Chania. Das tun sie meist mit Heizöl, Holz oder Pellets aus Sägemehl. Und das ist nicht ganz billig. Heizöl beispielsweise kostete in letzten Winter schon 1,50 Euro pro Liter.
Auch die Lebenshaltungskosten steigen: Die Inflationsrate kletterte im Juni in Griechenland auf 12,1 Prozent, der höchste Preissprung seit 29 Jahren. Einen griechischen Mokka für nur 1,50 Euro zu trinken, wie die deutsche Boulevardzeitung jubelte, ist wohl nur in einer sehr ruhigen Seitengasse Chanias möglich. Wer im malerischen venezianischen Hafen dazu die schöne Aussicht genießen möchte, muss deutlich mehr dafür berappen.
Die Preise steigen auch in Griechenland rapide
Das merken seit Monaten auch die Autofahrer in Griechenland im Geldbeutel, die Inselbewohner übrigens noch mehr als die Bewohner in den Millionenmetropolen Athen und Thessaloniki. Denn der Sprit muss erst einmal auf die Insel verschifft werden. So waren in Chania zuletzt 2,70 Euro für einen Liter bleifrei zu bezahlen, noch mehr als im ohnehin schon teuren Athen.
Überhaupt ist die Tourismusdestination Chania eines der teuersten Pflaster in Griechenland. Das schlägt sich in den Restaurants, Geschäften und allerlei Dienstleistungen in den Preisen nieder. Für ein Essen zu zweit sind schnell 50 Euro weg. So viel kostet das auch in Berlin.
Studenten, besser: deren Eltern als Geldgeber, können ein Lied von den gestiegenen Lebenshaltungskosten in Hellas singen. Ob Milch, Fleisch oder Fisch: Beim Einkauf im Supermarkt schießen auch in Hellas Griechenland die Preise durch die Decke. Konkret: 1,50 Euro der Liter Vollmilch, mindestens 12 Euro für ein Kilo Rindfleisch.
Wenn ferner ein Ferienhaus in Chania schon „ab 300 Euro im Monat (1 Schlafzimmer) plus Nebenkosten (ab 40 Euro)“ zu haben sei, wie ein lokaler Makler mit dazu passender Gestik und Mimik wirbt, dann dürfte das wohl ziemlich weit außerhalb von Chania liegen, was vor allem im Winter für einen eher etwas beschaulichen Alltag sorgt. Oder das Anwesen befindet sich in einem eher durchwachsenen Zustand – oder gleich beides.
Kaputtgespartes und überfordertes Gesundheitswesen
Denn in Griechenland steigen die Mieten rasant, auch die Nebenkosten, wie offizielle Angaben belegen. Besonders Strom hat sich extrem verteuert, in der Europäischen Union liegt Hellas beim Strompreis mittlerweile ganz vorn. Das liegt auch am explodierenden Gaspreis. Denn der hiesige Strompreis richtet sich, anders als im Rest Europas, fast völlig danach.
In der Kategorie „Wohnen“ sind die Preise in Griechenland im Juni im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat um fulminante 31,5 Prozent in die Höhe geschnellt. Das ist der mit Abstand höchste Anstieg aller zwölf Kategorien, die die griechische Statistikbehörde Elstat monatlich zur Berechnung der Inflation heranzieht.
Für Rentner dürfte auch ein funktionierendes öffentliches Gesundheitssystem ein wichtiger Faktor für einen Dauerwohnsitz sein. Das Gesundheitssystem in Griechenland gilt jedoch als kaputtgespart und völlig überfordert. Die Folge: Mehr als 30.000 Coronatote hat Griechenland inzwischen zu beklagen. Wer es sich leisten kann, sucht im Ernstfall lieber eine Privatklinik auf. Das ist teuer. Viele Kreter sehen sich obendrein dazu gezwungen, sich in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Athen operieren zu lassen. Vor Ort ist man dazu mitunter nicht in der Lage.
Was da eher ein Anreiz sein könnte, seine Zelte in Griechenland aufzuschlagen: Die seit dem 8. Juli 2019 im Amt befindliche Regierung in Athen unter dem konservativen Premier Kyriakos Mitsotakis lockt ausländische Rentner mit Steuervorteilen.
Steuervorteile für reiche Rentner aus dem Ausland
Wie das Athener Parlament im Juli 2020 beschloss, haben die „Neugriechen“ im Ruhestand für ihre Ruhegelder eine Flatrate von lediglich 7 Prozent zu entrichten. Das Sahnehäubchen dabei ist, dass die Rentner-Flatrate auch für alle Nebeneinkünfte wie etwa Kapitalerträge und Mieteinnahmen gilt. Wer also neben seiner Rente noch andere Einkünfte hat, der profitiert besonders.
Dafür muss man sich aber mehr als 183 Tage im Jahr in Griechenland aufhalten. Die Steuervorteile gelten auch nur für diejenigen, die in den letzten acht Jahren mindestens sieben Jahre lang nicht im Land der Akropolis steuerpflichtig waren.
Wer diese Bedingungen erfüllt, der kann die im Winter auch in Hellas unvermeidlichen Heizkosten gut verkraften.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett