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Sondervermögen der Bundeswehr und die EUGefürchtete Alleingänge

Gastkommentar von Michelangelo Freyrie

Deutschlands Verbündete begrüßen das Bundeswehr-Sondervermögen. Doch es bleibt auch Skepsis und Kritik, weil Berlin zu Sonderwegen neigt.

Ein Hubschrauber der Bundeswehr mit Hydraulikproblemen auf dem Acker Foto: Luftwaffe/dpa

Zeitenwende“ ist blitzartig zum sicherheitspolitischen Konzept des Jahres geworden. Die Ankündigung eines Umbruchs in der deutschen Verteidigungsstrategie ist auch im EU-Ausland zu einem urdeutschen politischen Lehnwort geworden, wie einmal „Spitzenkandidat“ oder „Ostpolitik“.

Die klare Haltung der Bundesregierung wurde überwiegend begrüßt, und zwar aus nachvollziehbaren Gründen: Ohne Deutschland ist eine halbwegs funktionierende europäische Verteidigung nicht denkbar, und der desaströse Zustand der Bundeswehr wurde im Ausland meist als Folge des deutschen Sparkurses gesehen.

Zugleich fragen sich viele, wie sich ein Wiederaufbau der Bundeswehr auf das politische Gleichgewicht der EU auswirken wird. Schließlich hat Berlin jahrelang die internationalen Effekte der eigenen Wirtschaftspolitik kleingeredet. Was, wenn Deutschland auch diesmal ohne Rücksicht auf andere europäische Partner handelt? Die Vorstellung ist banal und doch ernüchternd, und zwar genau weil sie anders als die Wiedergeburt des preußischen Militarismus auch teilweise realistisch wirkt.

Michelangelo Freyrie

Michelangelo Freyrie forscht zu deutscher Außenpolitik und europäischer Sicherheit. Er studierte an der Universität Bocconi (Mailand) und der Hertie School of Governance in Berlin. Er schreibt für die italienische Tageszeitung „Domani“ und das Nachrichtenportal Linkiesta.

In Hintergrundgesprächen wird der Frust von Verbündeten offen geäußert, so meinte etwa ein britischer Diplomat in Bezug auf die Causa Iron Dome unverblümt: Die Beschaffung des israelischen Systems zum Schutz gegen Kurzstreckenraketen wäre in erster Linie scheinheiliger Aktionismus gewesen und hätte die Einheit der integrierten Nato-Luftverteidigung gefährdet.

Französisches Misstrauen

Der Kauf stellte sich schließlich als Bild-Dunst heraus (die Bundesrepublik wird das US-israelische Arrow-3-System kaufen), doch das ändere nichts am Gefühl, Berlin handle eher demonstrativ als strategisch, und nur mit innenpolitischem Blick. Dabei ist zu bedenken, dass ein wirksames Upgrade des Raketenschutzes nur in Partnerschaft mit den Anrainerstaaten Russlands vorstellbar ist.

Bei der Ausgabe des 100-Miliarden-Fonds wird es höchstwahrscheinlich zu vielen solcher „Quick Fixes“ kommen – es ist schließlich auch Sinn und Zweck des Sondervermögens, die kaputtgesparte Bundeswehr schnell zu sanieren. Und doch: Im Umgang mit den europäischen Alliierten sind Wahrnehmungen genauso wichtig wie Taten. Unklarheit über die mittelfristige Ausstattung des regulären Verteidigungsetats und andere offene Fragen zur Ausgabenplanung helfen auch nicht, Verdächtigungen einer national-protektionistischen Politik zu widerlegen.

Französische Sicherheitsexperten und Entscheidungsträger sprechen ein solches Risiko auch offen an. Dabei passen die französischen Erwartungen auch zu einer Auffassung der Verteidigungsausgaben als industriepolitisches Instrument. Aus Pariser Sicht ist es überhaupt nicht auszuschließen, dass Deutschland die „Zeitenwende“ als Booster für die ineffiziente deutsche Rüstungsindustrie benutzen will.

Außerdem könnte sich Deutschland von der strategischen Wahl zwischen Paris und Washington im Zweifel freikaufen, wie bei der Beschaffung des Kampfjets F-35. Mitglieder des Verteidigungsausschusses der Assemblée nationale fragen sich, ob eine ertüchtigte deutsche Industrie nicht das ausgehandelte Gleichgewicht in gemeinsamen Projekten wie FCAS infrage stellen würde.

Ambivalente Italiener

Das wäre im Zweifel auf Kosten der französischen Wirtschaft, die bis jetzt den Löwenanteil der Aufträge übernommen hat. Für Unternehmen ist die Zukunft eines konsolidierten europäischen Rüstungsmarkts ein Nullsummenspiel, und der französische Staat wäre nie imstande, mehr als ein paar Milliarden Euro zur Unterstützung von Dassault und anderen Firmen bereitzustellen.

Die italienische Perspektive ist indes ambivalenter. Einerseits befürwortet man ein stärkeres deutsches Engagement, und zwar gerade auch als Gegengewicht zu Paris. Deutsche Investitionen könnten auch neue bilaterale Kooperationsprojekte ermöglichen, vor allem zur Entwicklung neuer Panzermodelle und im Marinebereich. Anderseits fürchtet man sich auch in Italien vor deutschen Alleingängen und einer möglichen Abwertung von EU-Verteidigungsinitiativen.

Das würde Rom auch die nötige politische Deckung für höhere Verteidigungsausgaben wegsprengen. Aktuell steckt Italien in einer Debatte zum Nato-2-Prozent-Ziel, wobei, anders als in Deutschland, die Stärkung von EU-Verteidigungsprojekten ein gemeinsamer Nenner von Befürwortern und Gegnern höherer Rüstungsausgaben ist. Außerdem muss man bedenken, dass in Italien konservative und euroskeptische Sicherheitsexperten die öffentliche Debatte erheblich prägen. Manche reden sogar von einer deutschen „hegemonialen Ambition“ und einem verdeckten Konflikt mit den USA um die Vorherrschaft in Europa.

Die Ängste deutscher Verbündeter

Klar, europäische Skepsis gegenüber der deutschen Zeitenwende basiert auf einem oberflächlichen Verständnis der deutschen Verteidigungspolitik. Konkret gibt es kaum Zweifel, dass sich Deutschland weiter an den zahlreichen bereits bestehenden EU-Verteidigungsprojekten beteiligen wird. Diese Selbstverständlichkeit braucht jedoch auch ein klares, wiederholtes Bekenntnis sowie eine Verpflichtung, einen großen Teil des Wehretats für europäische Projekte einzusetzen.

Eine europäische Perspektive ist besonders nötig. Man bedenke nur, wie wenig die Veröffentlichung des strategischen Kompasses der EU in den deutschen Medien diskutiert wurde. Man kann die Ängste der Verbündeten in dieser gefährlichen Phase nicht ignorieren. Deutsche For­sche­r:in­nen und die Führungsetagen des BMVg müssten proaktiv Partner im EU-Ausland zu diesem Thema ansprechen.

Eine lebhaftere Vernetzung ist ohnehin dringend nötig. Aus- und Aufrüsten ist per se kein Sicherheitskonzept, und ein Mangel an Koordinierung wäre fatal – und zwar nicht nur im Sinne einer Ressourcenverschwendung, sondern auch für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Sicherheitsordnung.

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17 Kommentare

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  • Wir benoetigen keine teuren nationalen Streitkraefte, sondern eine internationale Streitmacht fuer Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Diese sollte kriminelle, korrupte und machtgierige Poltitiker in Ihre Schranken weisen und vor einem internationalen Gerichtshof stellen. Dies beruht auf dem neuen Prinzip der begrenzten nationalen Souveraenitaet. Warum verfolgen wir normale Kriminelle und lassen kriminelle Politiker Unheil ueber die Welt bringen?

    • @Reinhard Huss:

      So was wurde bereits ausprobiert. Das Ziel war ein Diktator, ein richtiger, mit ganz viel Blut an den Händen. Er hat so ziemlich jede Sauerei angestellt, z.B. Dörfer mit Chemiewaffen angegriffen.

      Nach einem verlorenen Krieg litt die Zivilbevölkerung unter Sanktionen. Er selbst lebte ganz gut. 2003 wars, es war die Irak-Invasion.

      Es ging daneben. Und die Leute, speziell die hier im Forum, was haben die geschimpft.

  • Zeitenwende - das schließt offenbar auch politische Gefangene in Europa mit ein.



    Julian Assange sitzt seit Jahrem im Knast bzw. früher in der Botschaft.



    Ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte. Der Überbringer der Wahheit wird gefoltert und weggesperrt.



    Charta der Menschenrechte ist derzeit wieder ein Thema. Welchen Trick will man anwenden, um das brisante Thema Assange zu ignorieren?

  • Mit den 10 hoch 11 Euros sollen aber eben keine "Projekte" verfolgt, sondern Sachen GEKAUFT werden, die es bereits zu kaufen gibt. Auch die funktionieren nicht immer und alle, schon gar nicht gleich und sofort nach Anschaffung, aber ES GIBT SIE. Einseitig ausgestiegen aus "gemeinsamen" Wolkenkickuksheimen wird von allen Seiten dauernd; und manchmal nach Fertigstellung, wenn das Risiko ewigen Geldversenkens dann weg ist, sogar wieder eingestiegen. X Plattformen für Familien gepanzerter Fahrzeuge wurden angedacht, angefangen und wieder aufgegeben, oder aus der Familien-Plattform wurde letztlich nur ein einzelnes, dann deshalb besonders teures Fahrzeugmodell fertigentwickelt und gekauft (siehe Puma). Industriepolitik sollte bei diesen 100 Milliarden mal ausnahmsweise überhaupt keine Rolle spielen - nur sitzt die Politik natürlich immer in der Falle, dass, wer industrieseits ein bestimmtes Projekt entwickelt hat, möglichst die Folgejahrzehnte nicht vom Markt verschwinden darf - wegen Garantieleistungen, Maintenance, Updates ....

    • @lesnmachtdumm:

      eine Opensource Rüstung könnte das verhindern ... also dass ein Hersteller nicht sterben gehen darf - jeder andere könnte übernehmen ...

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Würde nicht nur die "deutsche Zeitenwende" getragen von dem, was Henry Kissinger kürzlich in Davos postulierte, wäre das ein Meilenstein für eine politische Lösung!

    Der einzige Ausweg, den Kissinger beschreibt, ist nachvollziehbar:



    vgl. dazu youtu.be/XkE2HW1vXQ8

    Die Fronten zu Russland weiter zu verhärten, wird Europa schaden, ganz egal, unter welchen "Fähnchen" sich eine deutsche bzw. europäische Sicherheitspolitik postiert ...

    Die "Antwort" von 100 Mrd. € an die Bundeswehr ist ein Witz in Relation zu dem, was der deutschen Bevölkerung blüht, wenn dieser Krieg so weitergeführt wird:

    youtu.be/JqdcGMjqSfk

    Von "gemeinsamer europäischer Sicherheitspolitik" braucht man dann auch nicht mehr reden, weil insbesondere Deutschland )auch ohne Einsatz von Waffen) auf einem angeschnittenen Ast sitzt.

  • Wenn der Autor für „Domani“ schreibt - der neue Leuchtturm am Himmel des italienischen Qualitätsjournalismus - sollte man seine europäische Perspektive durchaus ernst nehmen, auch wenn man zuerst denkt, es würden hier olle Kamellen aus den frühen 90ern wiederbelebt.

  • Eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik ist Deutschland zutiefst fremd. Aber schon die Idee einer eigenen Sicherheitspolitik ist uns fremd, steht im Dauerverdacht und wird von irgendwelchen historischen Pseudoargumenten verklebt. Wenn Deutschland sich aber schon mal zur Aufrüstung bequemt, dann ist es aber natürlich eine Unmöglichkeit, die neue Stärke dann fremden oder auch nur gemeinsamen Interessen zu unterwerfen. Nein, deutsche Politik hat vor allem einen Grundsatz: die eigenen Vorteile zu maximieren ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Das nennt sich dann Friedenspolitik. Für die Folgen siehe Nord Stream 2. Auch die 100 Milliarden werden nichts ändern. Niemand muss sich sorgen, dass die neuen Waffen jemals eingesetzt werden und es braucht auch niemand zu hoffen, dass Deutschland damit eine europäische Sicherheitspolitik gestaltet.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Wer sagt mir denn hier, dass Morgen nicht Radikale eine aufgerüstete Wehr für ihre Machtinteressen Missbrauchen? Die AFD, scheiß radikale Rechte sitzen heute im Bundestag, ich habe auch zu denen leider kein bisschen vertrauen ...

      Als Deutschland sich das letzte mal die Hände schmutzig gemacht hatte wurde es Zerbombt - ich verspüre irgendwie so gar kein Bedürfnis der Wiederholung dessen, da tue ich besser nichts für und lehne es besser ab irgend etwas dafür tuen zu lassen.(

    • @Benedikt Bräutigam:

      Sehe ich tendenziell anders: Historische Pseudoargumente sind das sicherlich nicht; sie hatten zu ihrer Zeit durchaus ihre Berechtigung, etwa nach 1989/90 den europäischen Partnern durch Abrüstung die Angst vor einem erneuten deutschen Hegemonialen zu nehmen und die neue Weltordnung durch Einbindung ohne Sonderwege zu betonen.

      Wenn man allerdings heute mit diesen Konzepten von damals argumentiert, offenbart dies Denkfaulheit und ist sicher nicht im Geist einer wie immer apostrophierten Zeitenwende.

  • "....es ist schließlich auch Sinn und Zweck des Sondervermögens, die kaputtgesparte Bundeswehr schnell zu sanieren"

    Meine Güte - kaputtgespart mit schon jetzt einem Budget von 50 Milliarden Euro.



    Das Jammerlied kann man doch kaum noch hören oder?



    Schlimm genug, dass manche es sogar glauben.

    • @TTT:

      Es wird leider nicht verfolgt wohin der momentane Etat , vielleicht auch fälschlicher Weise abfließt ...

    • @TTT:

      Es stimmt aber leider: In der BW musste in den letzten Jahrzehnten massiv gespart werden - obwohl unser Verteidigungshaushalt durchaus sehenswert ist. Leider wird das Geld schlecht verwendet. Andere Nationen haben mit einem ähnlichen Budget ein deutlich effektiveres Militär.

      • @Bussard:

        56 Milliarden Dollar in 2021 versenkte dieser faule Haufen in 2021 - für was genau?

      • @Bussard:

        Deshalb ist sie eben nicht kaputtgespart, sondern schlecht verwaltet. Man kann es nicht sparen nennen, wenn sehr viel Geld investiert wird und man am Ende nichts davon hat.

        • @christoph ganter:

          Entscheidend ist doch, was bei der Truppe ankommt, und die musste sehr wohl sparen, und zwar ganz praktisch. An Einheiten, an Strukturen, an Munition usw. usf. Dass der Staat insgesamt nicht spart, steht auf einem anderen Blatt.

  • So ändern sich die Zeiten: früher hat Deutschland in Europa gewütet. Heute will Europa, dass Deutschland für Europa wütet.