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Sinkende TicketverkäufeDie Krise der Kinos

Streamingdienste wie Netflix verschärfen die missliche Lage des Kinos. Um die Filmkunst zu retten, ist politisches Umdenken dringend geboten.

Die Menschen, die hier fehlen, gucken möglicherweise gerade Netflix Foto: unsplash/Kilyan Sockalingum

„Das Kinojahr 2018 war schlecht, da gibt es nichts zu beschönigen.“ Die Hiobsbotschaft von Vorstand Peter Dinges in der Pressemeldung der Filmförderungsanstalt FFA bestätigt die zahlreichen Klagen der deutschen Filmtheaterbetriebe über zunehmend leere Kinosäle: 17 Millionen weniger Ticketverkäufe waren es im Vergleich zu 2017. Dies entspricht knapp 14 Prozent Verlust und Umsatzeinbußen in Höhe von mehr als 150 Millionen Euro, die den Abwärtstrend weiter fortsetzen.

Als lautstarke Reaktion auf diesen Niedergang rief der zur Berlinale im Februar neu gegründete „Hauptverband Cinephilie“ mit mehr als 300 Unterzeichnenden bundesweit den „Notstand der Filmkultur“ aus und mahnte, quer durch alle Filmgewerke Allianzen zu bilden. Wenn es um Film- und Kinokultur geht, wissen die 14 Initiatoren genau, von was sie sprechen. Unter ihnen sind die gerade vom Verband der deutschen Filmkritik mit dem Innovationspreis ausgezeichneten Verleihfirmen Grandfilm aus Nürnberg und Eksystent Distribution aus München.

Oder das ambitionierte Wolf Kino in Berlin-Neukölln, das Leinwand, Café-Bar, Filmverleih, Postproduction und Workshop-Studio unter einem Dach vereint und damit Kinokultur derzeit neu erfindet. Nicht umsonst lädt man an diesen Ort am 4. und 5. April zum ersten offiziellen Arbeitstreffen ein. „Kino kann nur als sozialer, diverser und kreativer Ort überleben! Wir fordern maximale Unterstützung für Cine­philie: für die Wahrnehmung von Film als Kunst! Filmkultur begeistert! Filmkultur ist für alle da!“, heißt es in ihrem „Aufruf zur Cinephilie“.

Die Verve, die die Kinobranche jenseits ihrer Black Box mittlerweile an den Tag legt, um Öffentlichkeit für die eigene Sache zu finden, ist enorm, denn der Druck wächst. Mit starken Fernsehserien und attraktiven Strea­ming­angeboten laden Video-on-demand-(VoD)-Plattformen und kostenfreie Mediatheken zu individualisiertem Home-Entertainment auf dem Ultra-HD-Bildschirm in den eigenen vier Wänden ein.

Goldgräberstimmung bei VoD

Allen voran liegt Netflix mit exponentiell steigendem Umsatz, der laut Statista 2018 bei umgerechnet 13,4 Milliarden Euro lag. Zuletzt startete Apple Ende März ein Strea­mingportal, um von der Goldgräberstimmung zu profitieren. Im europäischen Raum liegt die Nutzungsquote von VoD-Angeboten erst bei 20 Prozent der Bevölkerung. Der Sättigungsgrad ist noch lange nicht erreicht. Hat das Kino bald ganz ausgedient?

Einschneidende technische Entwicklungen und die Änderung des Nutzungsverhaltens brachten die Branche auch in ihrer Blütezeit schon einmal zur Erschütterung. Zwischen 1956 und 1962 verringerte sich durch die Verbreitung des Fernsehens, steigende Mobilität und die schwere Krise der Filmindustrie die Zahl der verkauften Kino­tickets in der BRD Jahr für Jahr um zweistellige Prozentzahlen und halbierte sich schließlich, während gleichzeitig die Zahl der Fernsehteilnehmer um mehr als das Zehnfache anstieg.

Ein flächendeckendes Kinosterben setzte zeitversetzt ein, weil vor allem die Älteren lieber bequem auf der Couch in die Röhre guckten. So halbierte sich auch die Zahl der Lichtspielhäuser innerhalb von zehn Jahren und sank auf 3.739 im Jahr 1969 (Quelle: DIF).

Viele große Kinosäle verschwanden und wurden in kleinere „Schachtelkinos“ umgebaut. Um schließlich der aufkommenden Videotechnik der achtziger Jahre entgegenzutreten, eröffneten 1991 die ersten großzügigen Hightech-Multiplexe in den Innenstädten und zogen vor allem junge Menschen in ihren Bann.

Demokratiebildung in Programmkinos

Parallel entwickelte sich seit Ende der sechziger Jahre eine Gegenbewegung, die kleinere, kommerziell betriebene Arthouse-Programmkinos und öffentlich geförderte kommunale Kinos, Kinematheken und Filmmuseen hervorbrachte. Mehr als 50 Jahre danach stehen laut FFA etwa 500 nichtgewerbliche Spielstätten knapp 1.200 kommerziellen Filmtheaterunternehmen gegenüber.

Arthouse-Kinos bringen Leute miteinander ins Gespräch – gut für die Demokratie

Die Programmkinos und nichtgewerblichen Kinos verloren im letzten Jahr im Vergleich zu den Multiplexen im Durchschnitt zumindest nur im einstelligen Prozentbereich. Vor allem die kleineren Filmkunst-Kinos bringen unermüdlich Menschen miteinander über unsere Gesellschaft ins Gespräch – ein großes Pfund für die Demokratiebildung in AfD-Zeiten, mit dem besonders die kommunalen Häuser wuchern können.

Gerade ihnen mit ihren geringen Ticketpreisen bleibt wenig Geld, um sich auf den Strukturwandel einzustellen: öffentliche Zuschüsse reichen für das Nötigste, und aufgrund der oftmals geringen personellen Ausstattung bleibt wenig Zeit für aufwändige Recherche und Auswahl von Filmen. Sonderveranstaltungen mit Einführungen, Gästen und Filmgesprächen, die in den jüngsten Jahren immer mehr zu einem Muss geworden sind, ohne dass es finanziellen Ausgleich für den Aufwand gibt, besetzen alle Kapazitäten.

Höchste Zeit zum politischen Umdenken, denn es droht eine weitere Gefahr: Mit der nahezu vollständigen Digitalisierung der Technik verschwindet mit den wenigen verbliebenen analogen Abspielstätten, den Projektoren und dem damit verbundenen Handwerk auch die Möglichkeit, eine Vielzahl der noch nicht digital restaurierten Filme jenseits des Mainstreams jemals zu sehen oder Filme im ursprünglichen analogen Filmformat abzuspielen.

Stärkere Allianzen und mehr Kapital

Die 10 Millionen Euro, die die Archive des Kinematheksverbunds über zehn Jahre pro Jahr gestaffelt nach einem umstrittenen Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC erhalten, reichen nur für eine selektive digitale Archivierung ohne analoge Kopien. Unter der Überschrift „Digitalisierung allein ist keine Lösung“ wies die Initiative „Filmerbe in Gefahr“ mit mehr als 5.500 Unterzeichnenden in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass mit der Schließung des letzten Filmkopierwerks beim Bundesarchiv in Berlin Ende 2018 die Sicherung des Filmerbes auf analogen Trägern zu Ende gehe, auch wenn wissenschaftlich dringend zu einer doppelten Speicherstrategie geraten werde.

Zudem reiche die von PwC ermittelte Summe nur, wenn gleichzeitig die finanzielle und personelle Ausstattung der Archive und Kinematheken dauerhaft und deutlich angehoben werde. Bleibt zu hoffen, dass nach den wohlmeinenden Experten-Initiativen endlich auch politisch Initiative für die Kinokultur ergriffen wird.

Insbesondere die öffentlich geförderten Kinos mit ihren raren analogen Abspielstätten brauchen neben starken Allianzen dringend mehr Kapital, um dem Strukturwandel standhalten zu können und als Orte der lebendigen gesellschaftlichen Debatte auch weiterhin Filmkunst in ihrer ganzen Bandbreite öffentlich zu machen.

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wenn ich mich drei Meter vor meinen 86-Zoll-Ferseher setze habe ich ein Bildformat, wie es kein Kino bieten kann.



    Und das alles bei günstigen Speisen und Getränken ohne irgendwelche dazwischenplappernde Sitznachbarn.



    selbst ohne Streamingdienst, mit Kauf-DVDs ist das besser.

  • Auf die grossen Cineplexe können ich - und die Gesellschaft glaube ich auch - gut verzichten.

  • ein grosser feind des kinos ist neben der konkurrenz VoD auch noch die kommerzialisierung des kinobetriebs und die verrohung der gesellschaft. wenn bei einem bildergewaltigen atmosphaerisch dichtem arthouse film mit filigranem sounddesign man die leisen geraeusche kaum hoert vor popcorn geschmatze und plastiktuetenaufgereisse und der transport in eine andere welt nicht funktioniert, weil das kino ja diese 5 euro fuer billiges junkfood auch noch unbedingt mitnehmen muss, dann stellt sich fuer mich die frage, ob sich der kinobesuch ueberhaupt noch lohnt. es gibt eben scheinbar menschen, die koennen keine zwei stunden leise da sitzen und sich auf einen film einlassen, ohne sich alle 3 sekunden oral befriedigen zu muessen, und sich auf den einwand, sie machen mit ihrem verhalten laerm und stoeren, aber auch absolut never einlassen koennen. befoerdert durch kinos, die wirklich zu den eintrittskarten auch noch chipstueten (!) verkaufen. warum nicht auch ein stueck verpackungsfolie mit luftblasen fuer alle nervoesen menschen, die koennen dann bei nervenaufreibenden szenen - oder respektive langeweile - die blasen aufdruecken.



    es gibt menschen, die freuen sich ueber netflix, weil man dann beim filmschauen so toll multirtasken kann wie essen schlafen ficken, und dann gibt es leute, fuer die bleibt netflix die letzte zuflucht, einen film der stark begrenzten providerauswahl endlich dann doch mal ohne nervige mitbuerger sich anschauen zu koennen. netflix - you´re the winner!

  • Für nur sehr wenige Euros habe ich dank Streamingdiensten in meinen eignen vier Wänden die Möglichkeit, zu von mir gewählten Zeiten die von mir gewählten Sendungen im von mir gewählten Ambiente anzusehen. Dabei gestalte ich die Regeln und muss mich weder mit dem (meiner Ansicht nach) unmöglichen Verhalten anderer Kinobesuchenden auseinandersetzen noch den Regeln der Kinobetreibenden unterwerfen. Ich kann Rauchen wenn ich es wünsche, trinken was ich will, essen wenn und was ich will, pausieren wann ich es wünsche, Szenen wiederholen so oft es mir Spaß macht und wenn mir eine Sendung nicht gefällt kann ich sie abschalten und ohne Aufpreis etwas anderes ansehen. Zudem kann ich während der Sendung noch viele andere Dinge tun, die mir in einem Kino aus verschiedensten Gründen verwehrt sind.

    Demgegenüber bietet mir das Kino eine überdimensionierte Leinwand und extrem laute Geräusche/Musik (auch "Raumklang" genannt). Für diesen "Service" darf ich dann, inklusive Junkfood und Softdrink, knapp einen Stundenlohn berappen.



    Anstatt sich also über die sinkenden Besucherzahlen zu mokieren und eine verschwindende "Kinokultur" zu lamentieren, sollten die Betreibenden sich lieber mal Gedanken darüber machen, was sie den Vorteilen des Streamingdienstes entgegenzusetzen haben und was in diesem Fall eine angemessene Preispolitik währe.

  • na ja, warum man analoges Material erhalten soll, erschließt sich mir nicht...



    französische Forscher bieten eine Technik wie Microfilm, nur das ganze in Siliziumwafer geätzt mit Lack Versiegelt. Da kann man Bilder Bild für Bild 1:1 sichern. Sollte zumindest 1-2 tausend Jahre halten. Analogfilm ist nicht zukunftssicher und sicher kein Ding was mit Steuergeld gefördert gehört!

  • Der Hauptgrund warum die Leute seltener ins Kino gehen sind die lächerlich hohen Preise. Zwei Tickets mit Überlänge und 3D brille sowie Popkorn/Nachos und Getränk kosten doch so viel wie ein Wocheneinkauf. Da überlegt man sich drei mal für welchen Film man Geld ausgibt und was man erst sehen will wenn es irgendwann auf Netflix läuft. Sollen die Kinos ihre Preise anpassen, das man keine Niere verkaufen muss um nen Film zu sehen, dann kommen auch wieder mehr Leute.

    • @Lain Lainsen:

      Nicht zu vergessen, dass sie bei einem Film, der um acht beginnen sollte, locker noch bis halb neun mit Werbung zugemüllt werden. Zwischendrin kommt dann noch der Eisverkäufer brüllend durch die Reihen gewatschelt.



      Die kleinen unabhängigen Kinos sind besser, allerdings heisst da gefühlt jeder zweite Film "Sophie träumt von den Wolken"