Sieg über die Nazis im Mai 1945: Lasst uns diesen Tag feiern!
Am 8. Mai 1945 war Nazideutschland am Ende – kein historisches Datum ist wichtiger. Warum aber spielt dieser Tag für uns heute kaum eine Rolle?
A m 30. April 1945 tötete Adolf Hitler sich selbst. Acht Tage später kapitulierte Nazideutschland im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst. Etwa 60 Millionen Menschen waren gestorben, doch an diesem Tag waren die Nazis endlich besiegt, der Zweite Weltkrieg in Europa war zu Ende.
Mir fällt kein wichtigeres historisches Datum ein. Und trotzdem kann ich mich nicht daran erinnern, dass dieser Tag im Geschichtsunterricht meines westdeutschen Gymnasiums eine Rolle spielte. Auch später tat er es nicht, auch heute tut er es kaum. Warum eigentlich? Wieso feiern wir das Ende von Nazideutschland nicht?
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Weil es schon zu viele Feiertage gibt? Ich gäbe gern einen anderen auf. Lasst uns doch darüber reden, was wir wichtig finden und ob es Christi Himmelfahrt ist.
Weil man eine Niederlage nicht feiert? Diese schon. Auch wenn sich viele deutsche Täter:innen im Nachhinein zu wohl in der Rolle der unschuldig Befreiten fühlten, ist klar, dass die Kapitulation der Wehrmacht das Beste war, was der Welt passieren konnte. Dass die Niederlage eine Befreiung war, galt in der DDR übrigens von Anfang an. Nur verinnerlichten viele diese Befreiung so sehr, dass sie glaubten, selbst an der Seite der Sowjetunion gesiegt zu haben.
In Westdeutschland ging das nicht. Auch weil während des Kalten Kriegs nicht daran erinnert werden sollte, dass der Feind schlechthin, die Sowjets, Deutschland mit den Westalliierten befreit hatte. Erst ab 1985 änderte sich das allmählich, nach der Rede von Richard von Weizsäcker. Aber auch danach wurde das Datum gern unter den Teppich gekehrt.
Ein Feiertag ist immer ein Politikum. Wer hat ein Interesse woran zu erinnern? Frankreich gab den 8. Mai zwischendrin kurzzeitig auf, um sich Westdeutschland anzunähern. Und in Berlin war der Tag im Jahr 2020 nur deswegen arbeitsfrei, weil die Stadt eine relativ linke Regierung hat.
Feiern wir den 8. Mai nicht, weil die Russ:innen das schon tun und dann auch noch auf eine so befremdliche Weise? Wegen der Zeitverschiebung wird in Russland am 9. Mai gefeiert, unter anderem mit der bekannten Militärparade in Moskau. Das Gefährliche an Feiertagen: Sie sind Anlass für Propaganda.
Wenn in Moskau die neueste Militärtechnik präsentiert wird, auch für alle potenziellen Käufer weltweit, fragen sich viele, was das mit Feiern und Gedenken zu tun hat. Zum Beispiel in der Ukraine fragt man sich das. Dort wird seit 2017, wie in Westeuropa, am 8. statt am 9. Mai der Opfer gedacht. Und viele empfinden die Präsentation russischer Panzer als direkte Bedrohung.
Aber auch in Russland geht es an diesem Tag um mehr als Putin und Patriotismus. Das Gedenken und Feiern wird vielfältiger. Inzwischen ist da sogar ein klein wenig Platz für das Erinnern an Leute wie meine Vorfahren: Russlanddeutsche, die in der Arbeitsarmee (ein Euphemismus) in den Wäldern Sibiriens und den Kohlegruben Kasachstans schufteten. Auch sie haben, irgendwie, zum Sieg beigetragen.
Feiern wir in Deutschland nicht, weil der Sieg über die Nazis kein endgültiger war? Weil es nie eine Stunde null gab? Weil es diesem Land immer noch so schwer fällt, rechtsterroristische Taten zu benennen, Kontinuitäten zu erkennen? Wie weit geht die viel gelobte Erinnerungskultur? Bis zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit der Gegenwart?
Die Deutschen könnten ihre eigene Form des Gedenkens entwickeln. Und darin Platz für die Tatsache lassen, dass viele der hier lebenden Jüdinnen und Juden Nachfahren derer sind, die mit der Roten Armee gesiegt haben.
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