Sicherheitspaket und die Härte der EU: Abschreckung, Abschiebung, Abschottung
Die Ampel hat das Asylrecht verschärft, Konservativen und Rechten reicht das noch nicht. Auf europäischer Ebene schmieden sie neue Allianzen.
Union und FDP wollen mehr – das stand in diesem oder ähnlichem Wortlaut in den vergangenen Tagen über vielen Meldungen der Nachrichtenagenturen. Und es fasst die etwas unübersichtliche Lage gut zusammen. Ganz korrekt müsste es heißen: Sie wollen immer weniger – vom Asylrecht nämlich, das in der vergangenen Woche weiter eingeschränkt wurde. Und zwar in Deutschland genauso wie in der Europäischen Union.
Als Reaktion auf das islamistische Attentat in Solingen im August standen am Freitag im Bundestag und Bundesrat Abstimmungen über das sogenannte Sicherheitspaket der Ampel an. Mit 361 Stimmen, 54 weniger, als die Ampelfraktionen haben, wurde der Teil zum Asylrecht im Bundestag angenommen. Auch der Bundesrat billigte diesen Teil des Pakets, lehnte allerdings einen anderen zur Inneren Sicherheit ab.
Nun werden unter anderem Asylsuchenden, für die eigentlich ein anderer EU-Staat zuständig wäre, die Leistungen weitestgehend gestrichen, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Die Landesflüchtlingsräte nannten dies im Vorfeld der Abstimmungen „mit Sicherheit Verfassungsbruch“ und warnten vor „Wohnungslosigkeit und Verelendung“ bei den Betroffenen.
Auch 35 SPD-Abgeordnete hatten in der vergangenen Woche öffentlich erklärt, dass sie „den Kurs, der gerade in der SPD in der Migrations- und Asylpolitik eingeschlagen wird, für falsch“ halten. Aber der Druck, den Union und AfD aufgebaut hatten, schien zu groß für die Kanzlerpartei.
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Eigentlich sinken die Asylzahlen
Und die Konservativen wollen mehr. Das „Päckchen“, wie die Union das nun beschlossene Ampelgesetz nannte, reicht ihr nicht. Unter anderem, weil ihr darin Instrumente fehlen, um die Zurückweisung von Menschen an den deutschen Grenzen ausweiten zu können. Das Sicherheitspaket sei „nicht die richtige Antwort,“ sagte Unions-Fraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) am Freitag im Parlament.
Dabei hatte erst in dieser Woche ein EU-Gericht Zurückweisungen aus Deutschland als rechtswidrig eingestuft. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ist selbst nicht gegen Zurückweisungen, will dafür aber das EU-Recht ändern. Der Grüne Konstantin von Notz sagte im Bundestag, wer wie CDU/CSU die „Binnengrenzen dichtmachen will, um pauschal zurückzuweisen, der zerstört Vertrauen und Solidarität und der gefährdet Europa im Kern“.
Währenddessen gehen die Asylzahlen in Deutschland deutlich zurück. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte es schon am Donnerstag beim EU-Migrationsgipfel in Brüssel einen „Erfolg“, dass die Zahl der Asyl-Erstanträge in den vergangenen Monaten um „fast 50 Prozent“ gefallen sei. Zwar lag der Rückgang von Juni bis September 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum tatsächlich nur bei 30 Prozent, er ist gleichwohl erheblich.
Dieser Trend reicht vielen aber nicht. 82 Prozent der Deutschen wollen die Zuwanderung „einschränken“, ergab kürzlich eine Umfrage der Zeit. Angesichts der permanenten Rede von Migration als Problem verwundert das kaum. Die Union hat diese Stimmungslage maßgeblich mitgeschaffen, in der es nun nicht mehr scharf genug sein kann. Sie denkt schon lange vernehmlich über eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl nach. Andere Konservative und die extreme Rechte haben dasselbe im Sinn. Manfred Weber (CSU), Chef der Europäischen Volkspartei, schmiedet eifrig ein dazu passendes europäisches Bündnis.
Asyl-Lager in Albanien sind illegal
All das führt zu der paradoxen Situation, dass nach rund zehnjährigen Verhandlungen das noch nicht einmal in Kraft getretene Gemeinsame Europäische Asylsystem (Geas) schon als Auslaufmodell dasteht. Zwar wurde rund um den EU-Gipfel versichert, das Geas müsse „beschleunigt“ umgesetzt werden. Tatsächlich aber will kaum jemand dessen Wirkung abwarten. Stattdessen gibt es permanent neue Ideen, die weit über das Geas hinausgehen.
Mit viel Brimborium wurden in der vergangenen Woche etwa die beiden ersten Lager für Asylverfahren in Betrieb genommen, die Italien in Albanien errichten ließ. Das Marineschiff „Libra“ legte am Mittwoch mit sechzehn Migranten an Bord im Hafen Shëngjin an. Die zehn Männer aus Bangladesch und sechs aus Ägypten waren auf ihrem Weg von Libyen nach Europa in internationalen Gewässern aufgegriffen worden. Die Lager, in denen sie jetzt interniert sind, sind die ersten überhaupt, in denen aus der EU ausgelagerte Asylverfahren durchgeführt werden. Die Niederlande verhandeln mit Uganda über ein ähnliches Modell.
Von der symbolträchtigen Lagereröffnung in Albanien offenbar inspiriert, hatten Italien, Ungarn und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) vor dem EU-Gipfel sogenannte return hubs, also Abschiebezentren, in Afrika vorgeschlagen. „Wir sollten mögliche Wege zur Entwicklung von Rückkehrzentren außerhalb der EU erkunden“, schrieb von der Leyen an die EU-Regierungschefs.
Keine Partner für Asyl-Deals
Es gebe „Bedarf, an pragmatischen Lösungen zu arbeiten“, sagte Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni dazu. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis zeigte sich offen. „Wir müssen ausgetretene Pfade verlassen“, meinte er. Kanzler Scholz hingegen blieb skeptisch. Konzepte, die nur „wenige kleine Tropfen darstellen, wenn man die Zahlen anguckt“, seien für große Länder wie Deutschland keine Lösung, sagte er mit Blick auf das italienische Modell. Unklar blieb, ob die „Return Hubs“ – wie beim italienischen Modell – auch Asylverfahrenslager sein sollen oder ob sie als reine Internierungslager für jene gedacht sind, deren Antrag in der EU abgelehnt wurde, die aber nicht direkt abgeschoben werden können.
Erst recht unklar ist, welches Land sich für solche Zentren hergeben würde. Die EU versucht seit vielen Jahren Partner für ein solches Modell zu gewinnen – mit Ausnahme Albaniens ohne Erfolg.
So schaffte es die Idee denn auch nicht ins formelle Abschlusspapier des Gipfels. Darin findet sich lediglich die vage Formulierung, es „sollten neue Wege zur Verhinderung und Bekämpfung der irregulären Migration in Betracht gezogen werden“.
Der Trend weist in eine klare Richtung: Immer mehr Stimmen wollen mehr als das mühsam verhandelte Geas. Auch wenn dessen Möglichkeiten noch gar nicht ausgeschöpft sind. Polens Präsident Donald Tusk etwa hat angekündigt, das Recht auf Asyl für Menschen an der Grenze zu Belarus „vorübergehend“ auszusetzen. Der Gesetzentwurf dafür soll in einigen Wochen vorliegen.
CDU und CSU applaudierten Tusk
Über Belarus würden „paramilitärisch“ organisierte Menschen aus den Nahen Osten nach Polen geschleust, sagte Tusk zur Begründung. Dabei sieht das Geas schon Mechanismen für den Fall einer „Instrumentalisierung“ von Migrant:innen durch feindliche Nachbarstaaten vor. Tusk aber machte keine Anstalten, hiervon Gebrauch zu machen – lieber setzt er, wohl aus parteipolitischen Gründen, das Asylrecht ganz aus.
CDU und CSU applaudierten Tusk umgehend dafür. Denn sie bereiten, mit Blick auf ihre wahrscheinliche Regierungsübernahme 2025, vor, dass Asyl in der EU selbst nur noch über freiwillige Kontingente möglich sein soll. Ihr neues Grundsatzprogramm will den übrigen Flüchtlingsschutz in andere Teile der Welt auslagern.
Die FDP beeilt sich schon heute zu versichern, dass sie dabei wäre. „Wir müssen das derzeitige Momentum in Deutschland und Europa nutzen und einen echten Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik erreichen“, sagt der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
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