Shitstorm gegen Popstars: Normalität wäre traumhaft
Von den Ärzten bis Jan Delay haben namhafte deutsche Popstars zur Impfung gegen Covid-19 aufgerufen. Die Folge? Ein rechter Shitstorm.
Demokratie ist ein Song, dessen Textes wir noch nicht überdrüssig geworden sind“, hat der US-Schriftsteller E. B. White in den 1940er Jahren postuliert. Damals hatte sich das Gespenst des Faschismus der Welt mit Gewalt bemächtigt und die Demokratie war in der Defensive. Angesichts der Reaktionen nach einem Post am 25. August muss man sich um ihre Wehrhaftigkeit keine Sorgen machen.
Auf Initiative der Berliner Band Die Ärzte haben an jenem Tag eine Reihe namhafter Popstars und Bands, wie Deichkind, Jan Delay und Die Sterne in ihren Social-Media-Profilen einen Aufruf geteilt: Darin fordern sie ihre Fans auf, so sie noch nicht gegen Covid-19 geimpft sind, dies zu tun.
Nicht etwa im moralisierenden Befehlston. Unter dem Hashtag #impfenschützt wurden simple Argumente genannt, mal den Common Sense betreffend, mal die Gesundheit, und eher nebenbei auf die ökonomische Situation von Musiker:innen und Veranstalter:innen verwiesen. Seit 2020 konnten sie kaum Konzerte vor Publikum spielen, geschweige denn Tourneen absolvieren. „Eine Rückkehr zur Normalität wäre traumhaft“, hieß es in dem Post.
Zahlreiche Fans meldeten sich zu Wort, bedankten sich, teilten den Aufruf, erklärten, sie seien bereits geimpft. Zugleich tobte sich in allen Profilen ein Mob in den Kommentarspalten aus, teilweise dieselben Trolle, wortgleich in ihren Äußerungen: Gezielte Falschinformation, Hasspropaganda, Verleumdung, eine generalisierende Feindseligkeit kam zum Vorschein.
Man wird deshalb keinesfalls wie gefordert „Die Wahrheit über Corona Teil Zwei“ auf Servus TV anschauen, den Youtube-Kanal von „Dr. Paul Brandenburg“ einstellen, Begriffe wie „Systemling“ übernehmen oder die genannten Bands gar boykottieren. Dagegen hilft, mal wieder bei Theodor W. Adorno vorbeizuschauen, dem Urvater des deutschen Pop, der in seinen „Studien zum autoritären Charakter“ die verschiedenen Metastasen des Shitstorms bereits umfassend charakterisiert hat: von autoritäre Aggression bis Projektivität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit