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Selenskyj unter DruckIn die Ecke getrieben

Der ukrainische Präsident Selenskyj steckt in einer tiefen politischen Krise. Der nun vorgestellte „Friedensplan“ könnte für ihn und die Ukraine kaum ungünstiger sein.

Präsident Selenskyj bei einem Pressetermin in Kyjiw im Oktober Foto: Julia Demaree Nikhinson/ap

Es ist der größte Korruptionsskandal seit Beginn des russischen Angriffskriegs, der die Ukraine derzeit erschüttert. Die Antikorruptionsbehörden haben ausgerechnet einen Betrug in einem der wichtigsten strategischen Bereiche des Landes aufgedeckt: beim staatlichen Unternehmen Energoatom. Das ist zuständig für die Kernenergie und soll dafür sorgen, dass mehr als die Hälfte des Strombedarfs des Landes gedeckt ist.

Laut den Ermittlungen des Nationalen Antikorruptionsbüros konnten sich die Mitglieder der kriminellen Gruppe um etwa 100 Millionen Dollar bereichern, indem sie 10 bis 15 Prozent von jedem Lieferantenvertrag, die die Aufträge von Energoatom erfüllten, für sich behielten.

Der Kopf der Gruppe ist offenbar der Geschäftsmann Timur Mindich. Und dieser wiederum ist ein enger Freund und ehemaliger Showbusiness-Partner von Wolodymyr Selenskyj, dem ukrainischen Präsidenten. Alle Mitglieder des Korruptionsnetzwerks wurden festgenommen und es wird gegen sie ermittelt.

Mindich konnte jedoch am Tag vor den Durchsuchungen legal das Land verlassen. Nach den Enthüllungen wurde nicht nur die Chefetage von Energoatom entlassen, sondern es traten auch zwei Minister zurück, die ebenfalls im Beweismaterial auftauchen.

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Druck von allen Seiten

Das Ausmaß der Korruption im Energiesektor, der unter den russischen Angriffen am stärksten leidet, ist enorm. Immer mehr Stimmen fordern von Präsident Selenskyj nicht nur den Rücktritt aller Verantwortlichen und ihre gerechte Bestrafung, sondern auch einen Neustart der gesamten Regierung. Auch Abgeordnete aus der Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ sind empört. Zum ersten Mal seit ihrer Wahl 2019 in die Werchowna Rada – das ukrainische Parlament – wollen etliche Abgeordnete der Partei, dass es umfassende Veränderungen in der Staatsführung gibt. Einige von ihnen fordern sogar den Rücktritt des Leiters des Präsidialamtes, Andrij Jermak. Jermak gilt als Schlüsselfigur der ukrainischen Staatsführung und soll derzeit die Prozesse im Land kontrollieren.

Auch sein Name soll in den noch nicht veröffentlichten Korruptionsbeweisen auftauchen. Die Behörden bestätigen oder dementieren diese Information derzeit nicht. Die Abgeordneten der Partei „Diener des Volkes“, die gemeinsam mit der Opposition einen Neustart der Regierung fordern, schließen einen Austritt aus der Fraktion nicht aus, sollte der Präsident nicht schnell und ausreichend auf den Skandal reagieren. Treten vier Abgeordnete aus der Fraktion aus, würde dies das Ende der absoluten Mehrheit bedeuten.

Politische Gegner machen Druck, die eigene Partei, die Medien und die Zivilgesellschaft – und fordern Jermaks Rücktritt. Doch Selenskyj wird den Leiter des Präsidialamtes nicht abberufen. Nun werden alle Anstrengungen unternommen, um die Abgeordneten in der Fraktion zu halten, die gegen diese Entscheidung sind. Solche Situationen kennt Selenskyj. Im Sommer gingen Tausende auf die Straße, als er per Gesetz der Generalstaatsanwaltschaft mehr Einfluss auf die Antikorruptionsbehörden ermöglichen wollte. Erst nach den Protesten lenkte er ein.

Was heißt der „Friedensplan“ für die Ukraine?

Selenskyjs innenpolitische Krise ist ein Problem. Sie schwächt auch seine Position im Kampf für einen gerechten Frieden für die Ukraine auf internationaler Ebene. Seit Monaten arbeiteten die USA und Russland an einem gemeinsamen „Friedensplan“ für die Ukraine und haben diesen nun an Kyjiw übermittelt. Der 28-Punkte-Plan enthält nahezu alle Maximalforderungen, die der russische Präsident Wladimir Putin wiederholt geäußert hat. Für die Ukraine bedeutet die Liste eher die Kapitulation als einen dauerhaften und gerechten Frieden.

Darüber hinaus enthält der Plan zahlreiche Punkte, die die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Russland betreffen – auf Kosten der Ukraine und Europas. US-Präsident Trump hat Selenskyj offenbar eine Frist bis zum 27. November gesetzt, um die Vereinbarung zu akzeptieren. Und Europa? Kanzler Merz, Frankreichs Präsident Macron und der britische Premier Starmer stehen Selenskyj immerhin beratend zur Seite.

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9 Kommentare

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  • Ach, kommt doch alle mal wieder runter. Der Horror-Clown im Weißen Haus rudert doch schon wieder zurück und auf der anderen Seite beginnt man schon sein „Tafelsilber" (physisches Gold) zu verhökern.

  • Libuzzi: "Es geht hier nicht einfach darum, dass ein Gebiet halt mal den Besitzer wechselt, als würde man ein Gartengrundstück verkaufen... "



    Ich begrüße diesen Kommentar außerordentlich, denn inzwischen bin ich ziemlich ziemlich entsetzt darüber, dass die Lage der Menschen in der Ukraine in den gegenwärtigen Diskussionen oft eine so untergeordnete Rolle spielt. Ebenso frage ich mich, wozu wohl immer wieder das Korruptionsthema herangeholt wird. Diejenigen, die das im Kontext des absolut unfairen Umgangs mit der Ukraine für nötig halten, sollten sich endlich mal klarmachen, dass es die Korruption in Deutschland, der EU und anderswo nicht besser macht, wenn sie als Lobbyismus fein veredelt und durchorganisiert daherkommt. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen - wenn da was geklärt gehört, muss es geklärt werden, aber der Brennpunkt für uns ist da nicht die Ukraine und beschränkt sich auch nicht nur auf den Umgang mit dem Klimawandel, und hoffentlich wird noch irgendwann Zeit dafür sein.

    • @Christine_Winterabend:

      Ich bezweifle, dass wir den ukrainischen Menschen einen Gefallen damit tun, wenn wir weiter über das Thema Korruption mehr oder weniger hinwegsehen wie wir das in den letzten Jahren getan haben.



      Ein Abkommen, dass den Menschen endlich Frieden bringen könnte, wird es wohl vermutlich nicht geben. Es darf bezweifelt werden, dass Russland einer stark überarbeiten Version zustimmt.



      Die Aktienkurse der großen Rüstungskonzern (z.B. Rheinmetal), die vor ein paar Tagen stark fielen, haben sich inzwischen auch wieder erholt.



      Ob ein "weiter so" wie bisher, eventuell unter schlechteren Bedingungen, den Menschen in der Ukraine hilft sei dahingestellt.

  • Keine Ahnung, welche von Selenskyis Buddies aus der Vorpolitikzeit noch nicht der Korruption überführt oder verdächtig werden. Sein Leiter des Präsidialamtes scheint sogar ebenfalls dazu zu gehören.



    Dann wollte er sogar die Antikorruptionsbehörde unter Kontrolle bringen...



    Ne Menge Holz.



    Selenskyi hat wohl ein weiteres großes Problem neben dem Friedensplan.

  • POTUS-Diktat! EU-Eklat? Oder Spagat?



    Ganz sicher kein Magnificat!



    "Donald Trump gibt der Ukraine bis Donnerstag Zeit, um seinen Friedensplan anzunehmen. Er braucht einen Deal, weil es in der Maga-Bewegung rumort, sagt Politologin Constanze Stelzenmüller: „Die Verehrung seiner Basis steht zum ersten Mal infrage.“



    Quelle



    deutschlandfunk.de via ardaudiothek.de

  • Russisches Roulette

    Zitat: „Und Europa? Kanzler Merz, Frankreichs Präsident Macron und der britische Premier Starmer stehen Selenskyj immerhin beratend zur Seite.“

    Dieser erklärte gestern, man arbeite „an dem von der amerikanischen Seite vorbereiteten Dokument.“ Dies müsse „ein Plan sein, der einen echten und würdigen Frieden gewährleistet“

    Man arbeitet in Kiew also „an dem von der amerikanischen Seite vorbereiteten Dokument“, und nicht etwa an einem von der EU erarbeiteten, die sich einmal mehr an den geopolitischen Katzentisch verwiesen sieht. Immerhin darf sie wenigstens Kiew beim Untergang „beraten“.

    Unter einem „echten und würdigen Frieden“ läßt sich viel vorstellen. Von den bisherigen diesbezüglichen okzidentalen Vorstellungen, dem vollständigen russischen Rückzug aus der Ukraine, ist jetzt nicht mehr die Rede.

    Kiew hätte sich diese beispiellose Demütigung und die vielen Opfer ersparen können, hätte man sich früher, also bei sehr viel günstigerer Frontlage, auf Verhandlungen mit dem Kreml eingelassen. Deren Ergebnisse wären sicher weniger katastrophal für Kiew ausgefallen als heute.

    Kiew hat auf Zahl gesetzt und verloren. Eine Tragödie für das okzidentale Lager.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Leider haben Sie Recht. Bei aller berichtigen Kritik am US-Plan wird ja auch immer noch darauf verwiesen, dass Europa einfach mehr liefern sollte bzw "all in" gehen sollte, damit die Ukraine gewinnen kann. Es gibt aber gar keine politischen oder gesellschaftlichen Mehrheiten in Europa für eine Strategie, die das Risiko eines großen Krieges inkl. nuklearen Eskalation hat. Wie soll man aber ein Vorhaben umsetzen für das es keine Mehrheiten gibt?

    • @Reinhardt Gutsche:

      Wenn Sie in den Donbass schauen oder auf die Krim, wissen Sie, warum Kiew "auf Zahl" gesetzt hat. Es geht hier nicht einfach darum, dass ein Gebiet halt mal den Besitzer wechselt, als würde man ein Gartengrundstück verkaufen. Es geht darum, dass sich für die Menschen dort die Lebensumstände fundamental zum Schlechteren verändern. Und dass ein Gewaltregime errichtet wird, unter dem einfach niemand freiwillig leben will, der ein anderes Leben kennt.

      Das einfach so zu akzeptieren, ist die eine Katastrophe des "Friedensplans". Nicht einmal eine internationale Verwaltung der strittigen Gebiete oder eine Überwachung der Frontlinie scheint angedacht. Die andere ist, dass man eine Ukraine schafft, die zu schwach ist, um sich gegen Interventionen von außen zu wehren -- was dabei rauskommt, sieht man zur Zeit in Georgien.

      Und ob das eine Tragödie für das "okzidentale Lager" ist, juckt auch nur wenig. Es ist eine Tragödie für die Menschen in der Ukraine.

  • Schon im Jahre 2020 gab es Korruption im Präsidialamt der Ukraine. Es wurden hohe Regierungsposten für Millionen Dollar angeboten. Der Stabschef von Präsident Selenskij - Andrij Jermak - soll zusammen mit seinem Bruder höchste Ämter für mehrere Millionen Dollar angeboten haben. Verhört wird nun aber nicht er, sondern der Parlamentarier, der die Sache ans Licht gebracht hat.



    Der ukrainische Abgeordnete Geo Leros hätte eigentlich genug mit der Parlamentsarbeit zu tun. Stattdessen verbringt Leros seine Zeit mit langen Verhören beim ukrainischen Geheimdienst SBU, dem staatlichen Ermittlungsbüro GBR oder dem Anti-Korruptionsbüro Nabu. Dabei müsste, so sieht es der Parlamentarier, nicht er, sondern derjenige verhört werden, der ihn angezeigt hat: Andrij Jermak, Stabschef von Präsident Wolodimir Selenskij und der zweitmächtigste Mann der Ukraine.



    Ende März wurden Leros, so stellt er es dar, Videoaufnahmen übergeben: Bei versteckt aufgenommenen Gesprächen in Kiewer Restaurants und Straßen verhandelte Jermaks Bruder Denis von August bis Oktober 2019 mit Interessenten offenbar über den Verkauf hoher Posten bei Eisenbahn, Zoll und Steuerdienst oder im Ministerium für Infrastruktur.