Selenskis Personalentscheidungen: Durchregieren in Kiew
Präsident Selenski trennt sich von zwei wichtigen FunktionärInnen. Die eine Entscheidung ist überfällig, die andere jedoch fragwürdig.
P räsident Selenski liebt vor allem eine Eigenschaft unter seinen MitstreiterInnen: Loyalität. Und so hatte er kurz nach seiner Wahl Iwan Bakanow zum Chef des Inlandsgeheimdienstes SBU gemacht. Nicht, weil er mit Bakanow einen Profi für Geheimdienstarbeit an der Spitze einer Organisation mit 30.000 MitarbeiterInnen wusste. Der Grund ist banal: Bakanow ist ein Freund von Selenski seit ihrer gemeinsamen Kindheit in der ostukrainischen Bergarbeiterstadt Kriwij Rih, und er ist langjähriger Partner Selenskis in der Spaßtruppe „Quartal 95“.
Deswegen kann man davon ausgehen, dass Selenski seine Entscheidung, Bakanow zu entlassen, nicht leichtgefallen ist. Doch zu viel hatte der Inlandsgeheimdienst falsch gemacht und auch versäumt, schon vor Bakanows Amtsantritt. Mit seiner gefakten Ermordung des russischen Emigranten und Journalisten Arkadij Babtschenko 2018 hatte er sich zum Gespött der Gesellschaft und der ausländischen Partner gemacht.
Ebenfalls 2018 wurden zwei tschetschenische Oppositionelle nach Russland abgeschoben. Verantwortlich für diese Abschiebungen war der Inlandsgeheimdienst. Einer der beiden Tschetschenen ist wenig später, so berichten ukrainische Menschenrechtler, in seiner Heimat zu Tode gefoltert worden. Und das waren nicht die einzigen Abschiebungen, die der SBU in Zusammenarbeit mit seinen russischen KollegInnen durchgeführt hatte. Und nun wurde bekannt, dass ausgerechnet der ukrainische Geheimdienstler, der für die Krim zuständig war, mit Russland zusammengearbeitet hat. Ja, man kennt sich wohl noch von früher aus der KGB-Schule.
Nicht immer Spionage
Somit scheint Selenskis Entscheidung wohl ein überfälliger Schritt gewesen zu sein. Gleichwohl ist auch hier Vorsicht angebracht. Nicht immer ist eine der Spionage überführte Person wirklich ein Spion. Mittlerweile macht man sich in der Ukraine schon verdächtig, wenn man nach Russland telefoniert. Spionomanie hat in Kriegszeiten Hochkonjunktur. Und genau deswegen muss die Ukraine, will sie nicht das Vertrauen der westlichen Partner verlieren, mit dem Spionagevorwurf transparent umgehen.
Anders gelagert ist die Entlassung von Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass man im Präsidialamt den Kriegszustand nutzt, um eine Generalstaatsanwältin loszuwerden, die offensichtlich sehr eigenständig agiert. Der Entlassung Bakanows zum Trotz sind nun in allen wichtigen Schlüsselstellungen Gefolgsleute von Präsident Selenski und Präsidialamtschef Andrij Jermak an den Schalthebeln.
Und damit lässt sich gut regieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher