Seehofer will Abschiebung erleichtern: Verschärfung mit schönem Namen
Horst Seehofers neues Gesetz rückt näher. Wer Abschiebungen behindert, indem er Betroffene warnt, macht sich demnach strafbar.
Das Gesetz, das in Klammern den griffigeren Namen „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ trägt – wohlklingende Namen scheinen Konjunktur zu haben in dieser Großen Koalition – hatte Seehofer in den vergangenen Monaten mehrfach angekündigt. Seit einiger Zeit schon kursierte im Netz ein Entwurf, das mit dem nun eingereichten Dokument aber nicht identisch ist, wie es aus dem Bundesinnenministerium (BMI) heißt.
So war dort unter anderem noch die Rede davon, den bisherigen Ausreisegewahrsam derart umzugestalten, dass er ohne richterliche Anordnung vorgenommen werden kann. Ein solches Vorhaben sei nicht vorgesehen, heißt es nun aus dem BMI.
Straftäter*innen, die ihre Haftstrafen verbüßt haben, aber nicht abgeschoben werden können, sollen künftig restriktiveren Maßnahmen unterworfen werden, etwa Meldepflichten und elektronischen Fußfesseln.
Wer Betroffene warnt, macht sich strafbar
Das BMI will künftig zudem bestrafen, wenn Dritte Abschiebungen behindern – etwa, indem sie die Betroffenen vorab warnen und sie über den von Behördenseite geheim gehaltenen Abschiebetermin informieren.
Einer der weitreichendsten Punkte des Entwurfs dürfte die Einführung einer sogenannten „Ausreiseaufforderung“ sein, einem Status noch unterhalb der Duldung. Unter einer Duldung versteht man den prekären Zustand einer „vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung“. Diese betrifft Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, aus unterschiedlichen Gründen aber nicht abgeschoben werden können – wegen Krankheit oder unzumutbaren Zuständen im Heimatland etwa, aber auch wegen fehlender Papiere.
Eine Duldung sollen künftig nur noch Menschen bekommen, denen das Ausreisehindernis nicht selbst zurechenbar ist. Die Ausreiseaufforderung würde also Menschen treffen, die aus Sicht der Behörden an der Passbeschaffung nicht ausreichend mitwirken, und eine Einschränkung von Leistungen und Integrationsangeboten beinhalten.
Auch bei den unterschiedlichen Formen der Inhaft- und Ingewahrsamnahme für Ausreisepflichtige will das BMI nachsteuern. So solle verhindert werden, dass diese nicht auffindbar seien, wenn die Abschiebung eingeleitet werde.
Unterbringung in normalen Gefängnissen
Wegen mangelnder Abschiebungshaftplätze sollen Ausreisepflichtige zumindest vorübergehend in den selben Einrichtungen wie Strafgefangene untergebracht werden – allerdings dort räumlich von ihnen getrennt. Dafür muss das in der EU-Rückführungsrichtline von 2010 festgeschriebene Trennungsgebot vorübergehend ausgesetzt werden – was in außergewöhnlichen Fällen möglich sei, wie das BMI betont. Eins solcher sei in Deutschland gegeben, weil 479 Haftplätzen etwa 236.000 Ausreisepflichtige gegenüber stünden.
Eine Argumentation, die der Anwalt Peter Fahlbusch nicht teilt. „Wer auf die Richtlinie und entsprechende Gerichtsurteile nicht reagiert und jetzt zu wenig Haftplätze hat, kann sich nicht auf einen Notstand berufen, weil er jetzt Zehntausende Leute aus dem Land schaffen will“, sagte Fahlbusch der taz.
Kritik kam auch aus der Opposition. Der „Horrorkatalog aus dem Hause Seeofer“ klinge „schon arg nach ungarischen Verhältnissen“, sagte die Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke zur Strafandrohung gegen Dritte. „Dazu kann ich nur sagen, dass ich stolz bin, Teil dieser so genannten ,Anti-Abschiebe-Industrie' zu sein“, sagte Jelpke. Schutzsuchende bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen könne kein Verbrechen sein.
Grünen sehen darin eine „Giftliste“
Von einer „Giftliste“ sprach die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat und kündigte „erhebliche Zweifel“ an der Verfassungskonformität weiter Teile des Referentenentwurfs an. „Es scheint fast so, als wollten die Hardliner im Bundesinnenministerium austesten, wie weit sie den Rechtsstaat beugen können“, sagte Polat.
Auch Pro Asyl hatte den Entwurf bereits bei Bekanntwerden der älteren Fassung heftig kritisiert. Er kriminalisiere die Zivilgesellschaft und verletze das Recht auf Informationsfreiheit. Frühere Versuche der Union, eine „Duldung Light“ einzuführen, hätten „aus guten Gründen keine Mehrheit“ gefunden, so Pro Asyl. Zuletzt hatte der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine solche Regelung 2016 vorgeschlagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel