Experte für Abschiebungshaft: „Ich sehe politisches Kalkül“
Die Ampel-Koalition plant Verschärfungen bei der Abschiebungshaft. Dafür gebe es gar keinen Grund, sagt Rechtsanwalt Fahlbusch.
taz: Herr Fahlbusch, die Bundesregierung will gut integrierten Geduldeten eine Bleibeperspektive geben. Gleichzeitig sollen ausreisepflichtige Straftäter*innen künftig länger in Abschiebungshaft genommen werden können. Ein sinnvolles Paket?
Peter Fahlbusch: Überhaupt nicht. Es gibt keinerlei belastbare Untersuchungen, dass die Länder besondere Probleme hätten, Straftäter*innen abzuschieben und dass eine verlängerte Abschiebungshaft irgendetwas verbessern würde. Bei einer Maßnahme, die derart tief in Grundrechte eingreift, sollte man doch mindestens mal Zahlenmaterial vorweisen können. Ich sehe da eher politisches Kalkül: Man will etwas für die Menschen, die schon lange hier sind, verbessern – endlich. Um das aber verkaufen zu können, glaubt die Bundesregierung offenbar, auf der anderen Seite auch etwas verschärfen zu müssen – und zwar bei den Menschen, die keine Lobby haben: Ausreisepflichtigen.
Aber ja nicht bei allen, sondern nur bei Straftäter*innen.
57 Jahre, ist Rechtsanwalt in Hannover. Seit über 20 Jahren beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Abschiebungshaftverfahren.
Aber wer sind denn Straftäter*innen? Klar, da gibt es Leute, die für drei Jahre im Gefängnis sind, weil sie eine schwere Straftat begangen haben. Aber die muss man überhaupt nicht in Abschiebungshaft nehmen, sondern kann sie spätestens am letzten Tag ihrer Strafhaft in den Flieger setzen. Es gibt gar keinen Grund, hier noch mal mehrere Monate Haft anzuhängen, um dann erst die Abschiebung zu organisieren. Das ist unverhältnismäßig. Aber Straftäter*innen sind eben auch alle, die wegen einer vorsätzlichen Straftat mindestens sechs Monate bekommen haben. Da reicht es schon, wenn jemand rechtswidrig in Bayern einreist und vor dem falschen Gericht landet. Oder mehrfach ohne Ticket im Nahverkehr erwischt wurde oder irgendetwas mit verbotenen Betäubungsmitteln zu tun hatte. Welchen Grund gibt es denn, diese Leute länger in Abschiebungshaft zu nehmen als andere?
Eigentlich ist die Haft nur für maximal drei Monate zulässig. Warum?
Weil in Deutschland das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gilt: Man darf einen Ausreisepflichtigen nicht einsperren, wenn klar ist, dass man ihn aus Gründen, die er selbst nicht zu verantworten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate abschieben kann. Also zum Beispiel weil es keine Flugverbindung gibt oder weil die Zielstaaten die Leute nicht zurücknehmen. Ausnahmen davon gibt es bislang nur für Gefährder*innen, bei denen sind sechs Monate erlaubt – wie künftig auch bei Straftäter*innen. Und das ist einfach schlechte Gesetzgebung.
Inwiefern?
Aus rechtlicher Sicht bedeutet das nicht, dass man Straftäter*innen standardmäßig länger in Haft nehmen darf. Die Behörden müssen auch hier in jedem Einzelfall belegen, dass sie es schaffen, eine Person in sechs Monaten abzuschieben. Das Problem des Nachweises verschiebt sich jetzt einfach im Beurteilungszeitraum von drei auf sechs Monate. In der Praxis wird das, fürchte ich, so aussehen, dass Behörden bei Straftäter*innen einfach ohne viel Prüferei sechs Monate Haft beantragen und viele Gerichte dem folgen werden.
Wieso das denn, wenn die Rechtslage dies nicht hergibt?
Für Behörden und Gerichte ist das eine Arbeitserleichterung: Sie haben den Fall dann das nächste halbe Jahr nicht mehr auf dem Tisch. Aber wir reden hier darüber, Menschen in Haft zu nehmen. Und je länger diese Haft dauert, desto mehr und intensiver muss kontrolliert werden, ob sie angemessen ist. Ich habe in den letzten 20 Jahren weit über 2.000 Menschen in Haftverfahren vertreten und leider viele Dinge erlebt, die eigentlich nicht sein dürfen. So ist etwa die Hälfte aller Abschiebungshaftgefangenen zu Unrecht in Haft.
Das ist ganz schön viel. Was läuft da schief?
Alles mögliche. Manche Leute sind haftunfähig, manchmal werden Verfahren der Betroffenen nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben, bei anderen wiederum besteht gar keine Fluchtgefahr. Das sind dann zum Beispiel Leute, die von der Arbeit weg verhaftet werden. Und ich habe sogar erlebt, dass Menschen eingesperrt wurden, die nicht mal ausreisepflichtig waren.
Wie kann das sein?
Wir als Gesellschaft interessieren uns nicht für diese Menschen. Die, denen man jetzt ein Bleiberecht anbietet, das sind die „guten Geflüchteten“. Aber die Ausreisepflichtigen, das sind halt die „schlechten“, die man loswerden will. Anders als im Strafprozessrecht bekommen die Leute nicht mal einen Pflichtverteidiger. Die meisten stehen ohne Anwalt da und haben gar keine Chance, sich zu wehren.
Haben Sie Hoffnung, dass es unter der Ampel-Regierung besser wird? Die Grünen sind ja schon lange Kritiker*innen der Abschiebungshaft.
Seit Jahren heißt es bei den Grünen in verschiedenen Landesregierungen, man wolle sich bundesweit dafür einsetzen, dass die Abschiebungshaft abgeschafft wird. Aber im Koalitionsvertrag findet sich nur, dass man grundsätzlich keine Kinder und Jugendlichen mehr einsperren will. Das sollte doch das Mindeste sein – und das steht übrigens längst im Gesetz. Nicht mal die Pflichtverteidigung dieser Menschen hat es in den Koalitionsvertrag geschafft. Das ist wirklich ein Armutszeugnis.
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