Sci-Fi-Film „The Beast“ mit Léa Seydoux: Wo Unvernunft vernünftig ist
In Bertrand Bonellos Sci-Fi-Drama „The Beast“ will künstliche Intelligenz den Menschen die Gefühle abtrainieren. Liebe passt da nicht.
Gabrielle Monnier (Léa Seydoux) plagt die böse Vorahnung, dass ihr Leben durch eine große Katastrophe aus den Fugen geraten wird. Sie ist Konzertpianistin und wandelt im Jahre 1910 durch einen pompösen Salon in Paris, als sie auf Louis Lewanski (George MacKay) trifft. Der junge Mann erinnert sich an ihre Begegnung vor einigen Jahren. Ebenso an ihr Gespräch über diese diffuse und doch tiefsitzende Befürchtung, die sie ihm bereits damals anvertraute.
Die Angst, die lähmt und limitiert, die verhindert und verkleinert, zieht sich als essenzielles Leitmotiv durch „The Beast“. Der französische Filmemacher Bertrand Bonello hat es einer Novelle von Henry James entlehnt. In „The Beast in the Jungle“ ist der männliche Protagonist von einem ganz ähnlichen Fatalismus befallen und lässt darüber sowohl die Chance einer bedeutenden Liebe als auch die besten Jahre seines Lebens verstreichen.
Bertrand Bonello („Saint Laurent“), der in seinen Werken immer wieder eine Begeisterung für das Fantastische („Zombi Child“) erkennen lässt und sich mit Lust an der Provokation mit dem Faszinosum „Prostitution“ („Haus der Sünde“) beschäftigte, spielt in seinem neuen romantischen Science-Fiction-Drama äußerst kunstvoll mit dieser Prämisse.
Auf mehreren Zeitebenen verpflanzt er diese sonderliche Besorgnis in seine wiederkehrende, immer gleichnamige und gleichaltrige Protagonistin und setzt mit Verve zu einer mitreißenden Verteidigung der Gefühle als zentrale Richtschnur im Leben an. Der Maxime, das eigene Handeln nach starken Empfindungen auszurichten, wird in unserem aufgeklärten Zeitalter eigentlich mit Skepsis begegnet – umso mehr, seit es durch „Fake News“, „alternative Fakten“ und „gefühlte Wahrheiten“ gefährdet ist.
Tiefempfundene Emotionen, insbesondere die Liebe, aber haben in Bonellos elliptischem Film als Kompass, der durch das Dasein lotst und Entscheidungen anleitet, nicht nur eine Berechtigung. Sie sind geradezu unabdingbar. Denn eine Welt, so suggeriert es „The Beast“, in der die reine Rationalität die Oberhand gewinnt und jedes Risiko hinwegkalkuliert wurde, ist eine deutlich unerträglichere, als es eine vom Chaos der Gefühle geleitete je sein könnte.
Zu primitiver Tätigkeit gezwungen
Am Eindrucksvollsten wird dieses argumentative Ansinnen im Handlungsstrang durchexerziert, der sich im Jahr 2044 abspielt. Im Paris der Zukunft scheint die Umwelt endgültig zerstört, über die leeren Straßen eilen vereinzelt verhuschte Gestalten mit futuristischen Gasmasken vor den Gesichtern. Gabrielle, erneut mit einnehmend zarter Melancholie von Léa Seydoux gespielt, wird darin zu einer primitiven Tätigkeit gezwungen. Tagein, tagaus wacht sie über die Temperatur eines ominösen säulenförmigen Datenträgers. Was sie für bedeutende Berufe untauglich macht, ist ihr ausgeprägtes Empfindungsvermögen.
So erklärt es ihr eine sich materialisierende KI-Stimme aus dem Off, als sie sich in einem kargen Bürokomplex einfindet. Als Gabrielle sich über die berufliche Situation und den Mangel an Menschlichkeit darin echauffiert, weist die künstliche Intelligenz nüchtern darauf hin, dass es eben diese Gefühlsaufwallungen sind, die ihr einen Weg in verantwortungsvollere Position versperren.
Die Menschheit habe sich exakt durch solche „Affekte“ beinahe selbst ausgelöscht, geht aus dem Gespräch hervor, von Bürgerkriegen und Pandemien ist die Rede. Nun, so betont es die intelligente Maschine, dürften Entscheidungen schlicht nicht mehr durch Stimmungen verzerrt werden.
KI gegen unkontrollierbare „Affekte“
Doch auch eine vermeintliche Lösung bietet ihr die KI-Stimme an: Durch ein Verfahren, das Gabrielle in ihre vergangenen Leben eintauchen lässt, könne sie ihre DNA „bereinigen“ von vererbten Traumata, die sie durch einschneidende Erlebnisse in den vergangenen Jahrhunderten erlitten habe. Diese würden nun ihr Unbewusstes beeinflussen und jene unkontrollierbaren „Affekte“, wie Gefühle von der KI genannt werden, in ihr auslösen.
Nur durch den Zuspruch einer zufriedenen Freundin angeleitet, beginnt Gabrielle den Prozess. Dem Film dient er als Ausgangspunkt in besagte Episode der Belle Époque sowie eine weitere im Jahr 2014 und damit als Weg in die unterschiedlichen Leben, die Gabrielle zuvor führte.
Wie so oft, wenn sich Arthouse-Filmemacher der Mittel der Science-Fiction bedienen, richtet auch Bertrand Bonello das Hauptaugenmerk dabei nicht auf einen exzessiven Weltenbau. „The Beast“ hält sich weder damit auf, die technologischen Errungenschaften zu erläutern, die besagte transzendentale Zeitreisen ermöglichen, noch bedient sich der Film irgendeines schaurig beliebigen „Technobabble“.
Ein steriles Morgen
Stattdessen wird eine abstrahierte Zukunftsvision gezeichnet, in der Menschen nur noch wenig zu tun scheinen, was nicht einer strikt vernunftgetriebenen Logik entspringt. Einziger Fluchtpunkt sind diverse, über die Stadt verteilte Clubs, die vergangenen Epochen, etwa den 1960ern, 70ern und 80ern, gewidmet sind. Die Besucher darin tragen die jeweilige Mode der Dekade und tanzen beinahe mechanisch, wenig subtil, zu Songs wie „Fade to Grey“.
„The Beast“. Regie: Betrand Bonello. Mit Lé Seydoux, George MacKay u. a. Frankreich/Kanada 2023, 146 Min.
Das so erzeugte Bild eines sterilen Morgen, in dem Gefühle als Gefahr wahrgenommen werden, genügt im Verbund mit einer wehmütigen Sehnsucht nach dem Gestern, um künstliche Intelligenz als Bedrohung zu zeichnen: Hier trägt die Rationalität in Reinform gar totalitäre Züge und will alles Eigene aberkennen, alles Abweichende loswerden – erweist sich als lebensfeindlich.
Passend zu dieser Absage an die bloße Vernunft verlassen die Geschehnisse in „The Beast“ jenseits des klar strukturierten futuristischen Settings selbst regelmäßig das Gebiet der schlüssigen Zusammenhänge und des Durchdringbaren. So spielen ein unabänderliches Schicksal und Vorherbestimmung eine zentrale Rolle, insbesondere im Kontext der Beziehung zwischen Gabrielle und Louis, die sich schließlich auf allen drei Zeitebenen begegnen werden, begegnen müssen.
Traumartige Unheimlichkeit
Während sich in der im Jahre 1910 angesiedelten, im Stile eines Historiendramas inszenierten Episode eine Affäre zwischen ihnen anbahnt, begegnet Louis 2014 der als angehendes Model in Los Angeles wohnenden Gabrielle zufällig auf der Straße. In diesen Erzählstrang, der in seiner traumartigen Unheimlichkeit an die verzerrten Realitäten eines David Lynch erinnert, ist Louis zu einem frauenhassenden Mann, einem „Incel“ verkommen, der Gabrielle in der Villa, die sie gegen ein Taschengeld und Wohnrecht bewacht, auflauert.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „The Beast“
Mit erkennbarer Freude am Rätselhaften lädt Bertrand Bonello seine Erzählungen mit mystischen Motiven auf und lässt Gabrielle etwa immer wieder verhängnisvolle Begegnungen mit ominösen Tauben, leblosen Puppen oder unheilverkündenden Wahrsagerinnen machen. Nur dann, wenn es um den Wettstreit von Vernunft und Gefühl geht, wird „The Beast“ erneut deutlich: In allen drei Inkarnationen könnten Gabrielle und Louis zueinanderfinden und werden im Moment, in dem sie sich gegen die Möglichkeit der Liebe entscheiden, ins Verderben gestürzt.
So faszinierend und verführerisch dieses filmische Plädoyer für die Bedeutung der Emotionen auch ist, bleibt auch dieser Film letztlich vor dem unlösbaren Widerspruch zwischen Leidenschaft und Logik stehen. Schließlich ist es genau die unkontrollierte Macht der „Affekte“, die die dystopische Zukunft in „The Beast“ heraufbeschworen hat. Welche zerstörerische Kraft sie entfalten können, wenn sie politisch instrumentalisiert werden, ist immerhin auch in unserer Gegenwart zu beobachten. Auch dass die lähmende Angst, die Gabrielle und Louis immer wieder voneinander trennt, selbst eine der intensivsten Empfindungen ist, lässt sich kaum leugnen.
Vielleicht aber ist es für einen Regisseur, der die Kraft der Gefühle verteidigt, nur konsequent, sich selbst nicht streng der Ordnung der Vernunft zu unterwerfen. Und in dieser anregenden Unberechenbarkeit folgt man Bertrand Bonello nur allzu gerne.
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