Filmfestspiele von Venedig: Den Kampf gegen die KI verlieren

Lidokino 6: Bei den Filmfestspielen von Venedig werden die Filme monströser und rätselhafter. Gut, dass die Geschichten außer Kontrolle geraten.

Léa Seydoux und George MacKay starren ins Feuer

Begegnen sich in „La Bête“ über die Jahrhunderte immer wieder: Léa Seydoux und George MacKay Foto: Carole Bethuel

So langsam kommt auf dem Lido Laune auf. Hatte sich der Wettbewerb der 80. Ausgabe der Filmfestspiele von Venedig zunächst schleppend in Bewegung gesetzt, mit soliden, kaum begeisternden Beiträgen, trudeln allmählich die interessanteren Kandidaten ein. Nach Yorgos Lanthimos’ „Poor Things“ ist dies insbesondere der neue Film des französischen Regisseurs Bertrand Bonello, „La bête“.

Ein Biest ist auch dieser Film, der auf vier verschiedenen Ebenen seine Geschichte erzählt. Oder hat man es mit mehreren Geschichten zu tun, die gemeinsame Motive aufgreifen und in denen stets die gleichen Protagonisten, doch in unterschiedlichen Konstellationen auftauchen?

Léa Seydoux spielt die Hauptfigur Gabrielle, die im Jahr 2044 lebt und von ihrem Beruf gelangweilt ist. Die Menschen haben gegen die KI längst verloren, vor allem ihre Arbeit, weil die Gefühle im Weg sind. In dem Paris, in dem sie wohnt, gibt es kaum Menschen auf den Straßen, Gabrielle kann nur mit einer helmartigen Schutzmaske nach draußen.

Bevor man diesen Teil der Handlung kennenlernt, sieht man Gab­rielle jedoch, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf einer Party einen früheren Bekannten trifft, Louis (George MacKay).

Zwischen diesen unterschiedlichen Kulissen und Kostümen wechselt der Film beständig hin und her, anscheinend sind es frühere Erlebnisse, die die Gabrielle von 2044 in einem menschenleeren Raum in einem Becken voll schwarz-zäher Flüssigkeit „bearbeiten“ lässt. In diesen Erlebnissen spielen Gabrielles Ängste vor einer Katastrophe eine große Rolle, die Rolle von Louis ist weniger klar.

Zeitsprünge durch drei Jahrhunderte

Als wäre das nicht verwirrend genug, springt der Film plötzlich ins Jahr 2014, wo sich Gabrielle und Louis unter völlig anderen Vorzeichen in Los Angeles wiederbegegnen. Sätze und Motive, die schon in den anderen Erzählsträngen vorkamen, wiederholen sich ebenfalls, bloß die Beziehung der beiden Protagonisten hat sich gewandelt.

Jetzt hat Louis die Züge eines Incel-Typs, dieser jungen Männer, die kein sexuelles Verhältnis zu Frauen eingehen (können), und entwickelt sich zur Bedrohung für Gabrielle. Zwischendurch sieht man, als vierte Ebene, Léa Seydoux vor einer grünen Wand, wie sie aus dem Off Anweisungen eines Regisseurs erhält für Szenen, die später folgen.

Bonello spielt dabei mit der Manipulation von Gefühlen und dem, was, in den Worten des Philosophen Slavoj Žižek, das „Perverse“ des Kinos ausmacht: Bonello sagt seinem Publikum ständig, wie es begehren soll, zerstört die damit verbundene Illusion aber sogleich wieder mit einer wüst um alle möglichen Kurven rasenden Achterbahnfahrt durch emotionale Stimmungslagen von Romanze bis Psychothriller.

Dazu in diverse Richtungen Signale funkende Filmmusik von Bonello und seiner Tochter Anna Bonello. Man kann das zerebral nennen, was allerdings kein Problem darstellen muss. Ohne Gehirn lässt sich schließlich gar kein Film schauen. „La bête“ nimmt es lediglich stärker in Anspruch.

Investoren in japanischer Idylle

Eine vermutlich einfachere Geschichte bietet hingegen der japanische Regisseur Ryūsuke Hamaguchi in „Aku wa sonzai shinai“ (Evil Does Not Exist). Schlicht realistisch zeigt er das Leben in einer ländlichen Gemeinde, wo die Einwohner so respektvoll wie möglich mit der Natur umgehen, das Wasser für das örtliche Restaurant aus dem Bach schöpfen und wilden Wasabi im Wald ernten. In diese fragile Idylle bricht ein neues Projekt ein, Investoren wollen ein „Glamping“-Areal schaffen, auf dem Luxuscamping angeboten wird. Die Dorfbewohner sind skeptisch, vor allem fürchten sie um die Qualität ihres Wassers.

Hamaguchi konfrontiert die außenseiterartigen Bewohner mit den anfangs glatten, dann immer hilfloser erscheinenden Agenturvertretern, die das Projekt „unter die Leute“ bringen sollen. Irgendwann scheint die Geschichte außer Kontrolle zu geraten, seltsame Dinge geschehen und der Schluss lässt einen rätselnd zurück. Was keine schlechte Sache ist.

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Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.

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