Schwarze Menschen in der Gesellschaft: Sichtbarkeit reicht nicht

Der Afrozensus liefert eine traurige Gewissheit: Rassismus gegenüber Schwarzen ist omnipräsent. Die Ampel will hier mehr tun – sagt sie jedenfalls.

Awet Tesfaiesus steht vor dem Reichstag

Die erste Schwarze Frau im Bundestag: Awet Tesfaiesus von den Grünen Foto: privat

Was, habe ich mich neulich gefragt, ist eigentlich aus Arabella Kiesbauer geworden? Wissen Sie noch? Die Moderatorin der Talkshow „Arabella“, in den 90ern das Highlight im Nachmittagsprogramm bei ProSieben. Ich war damals ein Teenager und halb fasziniert, halb abgestoßen von der Art, wie Menschen und ihre Schicksale dort vorgeführt wurden. Zumindest habe ich das so in Erinnerung.

Ich hätte wohl von selbst nicht mehr an Arabella Kiesbauer gedacht. Doch dann ermordete ein Rechtsextremer am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen mit Einwanderungsgeschichte – und Awet Tesfaiesus entschied, für den Bundestag zu kandidieren. Weil Tesfaiesus davor stand, die erste Schwarze Abgeordnete in der Geschichte der Bundesrepublik zu werden, interviewte ich sie vor der Bundestagswahl. Bei der Gelegenheit erzählte sie von Kiesbauer. Dass eine Schwarze eine deutsche TV-Show bei einem großen Sender moderierte, hatte es bis dahin nicht gegeben. Ihr sei damals bewusst geworden, sagte Tesfaiesus, dass es weiße Räume gebe, in die Schwarze nicht vordringen. Und deshalb unsichtbar bleiben.

Im Jahr 2021 dringen Schwarze Menschen in Deutschland in viele Räume vor, die Weiße lange allein für sich beansprucht haben. Im Bundestag sitzen mittlerweile drei Schwarze Po­li­ti­ke­r:in­nen – neben Tesfaiesus von den Grünen die beiden SPDler Armand Zorn und Karamba Diaby. Schwarze sind Fußballnationalspieler, die viele Deutsche (nicht nur Fußballfans) gerne zum Nachbarn hätten. Der aktuelle Präsident des DAAD ist ein vielfach ausgezeichneter Anglist – und Person of Color. Und seit ein paar Jahren gibt es mit Florence Kasumba auch eine Schwarze Tatort-Kommissarin. Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen.

Der Punkt ist: Die zunehmende Sichtbarkeit Schwarzer Menschen in Deutschland wirkt doppelt in die Gesellschaft zurück. Für die Schwarze Community sind Role Models wichtig, um sich selbst in von Weißen dominierte Räume vorzuwagen. Der Psychologe Albert Bandura hat erforscht, wie zentral menschliche Vorbilder für unser Verhalten sind. Entscheidend dabei ist: Je ähnlicher sich „Modell“ und „Beobachter“ sind, desto stärker der „Lerneffekt“. Je mehr Schwarze also in Spitzenämtern landen, Hauptrollen bekommen oder als Ex­per­t:in­nen in Talkshows zu Gast sind, desto mehr Schwarze Jugendliche werden das cool finden und es ihnen vielleicht nachtun.

Keine Bereitschaft Normalität anzuerkennen

Der weißen Mehrheitsgesellschaft wiederum sind die Arabella Kiesbauers und Jérôme Boatengs der Spiegel, dass Schwarzes Leben – und dazu zählen in diesem Land rund eine Million Menschen – zur deutschen Normalität gehört. So weit die Theorie. In der Praxis nämlich zeigt sich: Nicht alle Deutschen sind bereit, diese Normalität anzuerkennen – oder Schwarzen den gleichen Raum zuzugestehen wie sich selbst.

Der Afrozensus, der diese Woche veröffentlicht worden ist, liefert eine traurige Bestätigung dafür. Erstmals hat eine Studie die Lebensrealität Schwarzer im Land untersucht. Knapp 6.000 Menschen haben an der Online-Umfrage im vergangenen Sommer teilgenommen, durchgeführt wurde sie von dem Verein „Each One Teach One“ (EOTO) und der Organisation „Citizens for Europe“, das Ganze wurde finanziell vom Bund gefördert.

Das Ergebnis: In nahezu allen Lebensbereichen erfahren Schwarze Benachteiligungen oder stoßen auf rassistische Denkmuster: in der Schule, beim Arzt, auf Arbeits- und Wohnungssuche und natürlich auch in ihrer Freizeit. Die Mehrheit wurde schon für einen Dealer gehalten oder ohne Grund von der Polizei kontrolliert.

Wie weit Anti-Schwarzer Rassismus selbst in Behörden und der Polizei verbreitet ist, ist spätestens seit den Black-Lives-Matter-Protesten öffentlich benannt. Trotzdem zweifelt ein Teil der Gesellschaft diese Erfahrungen an oder hält sie für übertrieben. Mehr als 90 Prozent der für den Afrozensus Befragten gaben an, dass ihnen ihre Rassismuserfahrungen nicht geglaubt werden.

Ein überfälliger Schritt

Und selbst wenn die Betroffenen alles sofort filmen und es absolut keine Zweifel an dem rassistischen Vorfall gibt, wie bei den widerwärtigen Äußerungen einer Frau im Berliner Stadtteil Lichtenberg („Verpiss dich, du Affengesicht“) gegenüber einem Mann, versuchen einige noch, das Opfer zum Täter zu machen. „Wer weiß, was er sich davor hat zuschulden kommen lassen!“

Dazu passt, dass EOTO nach Vorstellung des Afrozensus mitteilte: „Die Bedrohung, Beschimpfungen, Beleidigungen nach der Veröffentlichung der Studie Afrozensus sind massiv.“ Für die ganze Gesellschaft muss dies ein Weckruf sein. Die Sichtbarkeit einer Minderheit allein schützt sie nicht. Vielleicht bewirkt sie sogar das Gegenteil: Je mehr eine strukturell diskriminierte Gruppe auf ihre Rechte drängt, desto heftiger wird sie angegriffen.

Deswegen gilt es zu hoffen, dass es die künftige Ampelkoalition ernst meint mit dem Versprechen, das sie im Koalitionsvertrag gegeben hat: die Bekämpfung von Rassismus, „insbesondere gegen Schwarze Menschen“. Das soll unter anderem mit mehr Forschung, besserem Monitoring und zwei neuen Beschwerdestellen gelingen: gegen Rassismus und gegen Po­li­zeigewalt.

Vor allem Letzteres ist ein überfälliger Schritt. Der scheidende Innenminister Horst Seehofer hat die zahlreichen Hinweise auf Racial Profiling und Rassismus in der Polizei ja lieber pauschal weggeleugnet, als die persönliche Unbeliebtheit als Dienstherr in Kauf zu nehmen. Ein fatales Signal, das SPD, Grüne und FDP nun schleunigst ausbügeln müssen. Indem sie die strukturelle Diskriminierung Schwarzer sowie anderer Minderheiten ohne Wenn und Aber anerkennen und ihr mit allen Mitteln, die dem Staat zur Verfügung stehen, entgegentreten. Erst wenn auch den Letzten klar wird, dass Rassismus geächtet und sanktioniert wird, werden sich die, die davon betroffen sind, dieser Gesellschaft zur Gänze zugehörig fühlen können. Dass das noch ein weiter Weg ist, zeigt der Afrozensus.

Ach ja. Arabella Kiesbauer hat nach dem Ende von „Arabella“ im Übrigen weiter als TV-Moderatorin gearbeitet, vor allem für österreichische Sender. 2017 hat sie sich politisch in ihrer Heimat engagiert: Im Wahlkampf warb sie für ÖVP-Mann Sebastian Kurz. „Da ist jemand, der hat eine Vision, die ich teile“. Gut, dass es heute genügend andere Schwarze Menschen in der Öffentlichkeit gibt, an denen man sich ein Vorbild nehmen kann.

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