Schauspielerin über Vielfalt im Fernsehen: „So anders sind wir gar nicht“
Florence Kasumba wird „Tatort“-Kommissarin. Ein Gespräch über die Angst vor den vermeintlich Fremden und das Erlernen eines „afrikanischen Akzents“.
taz am wochenende: Frau Kasumba, gucken Sie eigentlich selbst „Tatort“?
Florence Kasumba: Ich bin mit dem „Tatort“ aufgewachsen. Jeden Sonntag saß ich um 20.15 Uhr mit Essen vor dem Fernseher und habe mitgerätselt. In den letzten Jahren habe ich dafür aber leider nicht mehr so häufig die Zeit.
Haben Sie ein Lieblingsteam?
Ich mag Nick Tschiller sehr gern.
Die Hamburger Ausgabe mit Til Schweiger in der Hauptrolle ist ja eher ein untypischer „Tatort“ …
Ja, das stimmt. Tschiller hat ’ne Meise, aber es macht so Spaß, ihm zuzuschauen. In seinen Folgen gibt es immer viel Action, er traut sich was. Aber ich mag auch die Frauen, wie Kommissarin Lindholm oder Odenthal, die haben Eier. Deswegen habe ich auch selbst den Wunsch geäußert, „Tatort“-Kommissarin zu werden.
Und jetzt hat es geklappt.
2010 habe ich bei drei Tatorten, Köln, Bremen und Ludwigshafen mitgespielt. Als ich bei den Dreharbeiten den Kollegen bei der Arbeit zugeschaut habe, dachte ich: Das will ich auch und habe es laut ausgesprochen. Denn ich glaube, wenn man etwas artikuliert, dann passiert es auch.
Positives Denken. Und was kommt als nächstes: Bundeskanzlerin von Deutschland?
(lacht) Nein, natürlich im normalen Rahmen. Aber ich bin froh, dass es beim Tatort geklappt hat.
Vor vier Jahren sagten Sie in einem Interview: „Es wird Zeit für einen dunkelhäutigen ‚Tatort‘-Kommissar.“ Jetzt sind Sie es geworden. Auch die Schauspielerin mit türkischem Migrationshintergrund, Almila Bağrıaçık, ermittelt an der Seite von Axel Milberg in Kiel. Ist der „Tatort“ jetzt schon divers genug?
Was heißt schon divers genug? Ich finde generell, die deutsche Fernsehkultur könnte diverser sein. Wenn ich mich hier im Café umgucke, merke ich, Berlin ist bunt, und mir gefällt das. Mir ist bewusst, dass das vielen Menschen Angst macht, aber ich bin mir sicher, wenn wir anfangen, miteinander zu reden, und uns kennenlernen, dann brauchen wir nicht voreinander Angst haben. Denn so anders sind wir gar nicht.
Wie kann das im Fernsehen vermittelt werden?
Es gibt viel zu viele Gruppen, die wir selten im Fernsehen sehen, wie Menschen mit Behinderungen, die LGBTIQ-Community oder nichtweiße Menschen. Wir brauchen Geschichten mit Personen, die hier aufgewachsen oder zugezogen sind, die ihre Kultur leben, aber jetzt deutsch sind. Und das im Mainstream-Fernsehen. Ich selbst sehe mich als Deutsche mit ugandischen Wurzeln, bin hier aufgewachsen und kenne gar nichts anderes. In Südafrika oder den USA, wo ich gedreht habe, bin ich Deutsche. Doch hier wird es nicht immer akzeptiert.
Jahrgang 1976, ist in Uganda geboren und in Essen aufgewachsen. Zu Beginn ihrer Karriere spielte sie in Musicals und deutschen Fernsehproduktionen mit. Internationale Bekanntheit erlangte sie durch Hollywood-Blockbuster wie „Black Panther" und „Wonder Woman“.
Der Cast der gefeierten deutschen Serie „4 Blocks“ ist sehr divers. Menschen mit türkischen oder arabischen Migrationshintergrund spielen kriminelle und gewalttätige Gangmitglieder. Werden dadurch nicht wieder nur Klischees fortgeschrieben?
Meiner Meinung nach darf man das nicht vermischen. In „4 Blocks“ wird eine bestimmte Geschichte in einem bestimmten Milieu erzählt. Dass man danach durch die Welt geht und denkt, alle Araber seien kriminell, ist falsch. Nach „Sopranos“ hat ja auch niemand gedacht: Alle Italiener gehören der Mafia an. Da muss man differenzieren.
Trauen Sie das dem Fernsehpublikum zu?
Die jungen Menschen, die im Hier und Jetzt leben, den traue ich das zu. Und die möchte ich mit meinen Filmen erreichen. Ich glaube, dass sie das schaffen, von der Fernsehshow zu abstrahieren und nicht fortan allem Fremden aus dem Weg gehen. Ich sehe mir auch nicht die Bilder aus Chemnitz an und behaupte, alle Deutschen sind Nazis.
In Chemnitz waren Tausende Rechtsextreme auf der Straße. Seit zwei Jahren sitzt mit der AfD ein offen rechte Partei im Bundestag. Beeinflusst das Ihr Leben und Ihre Arbeit in Deutschland?
Ab 2015 habe ich schon eine deutliche Veränderung gemerkt, die Stimmung ist kühler, die Menschen haben mehr Angst. Das bemerke ich vor allem, wenn ich Berlin verlasse. In kleineren Städten gehen die Menschen meist erst einmal davon aus, dass ich kein Deutsch spreche.
Sie sind in Essen aufgewachsen und haben auch schon in einigen deutschen Produktionen mitgespielt. Doch richtig berühmt wurden Sie durch Ihre Rollen in Hollywoodfilmen wie „Black Panther“ oder „Wonder Woman“. Erkennt Deutschland seine eigenen Talente nicht?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin schon lange als Musicaldarstellerin aktiv. 2003 habe ich Aida in der gleichnamigen Show gespielt, das war keine kleine Rolle. Doch trotzdem sagen Leute heute noch zu mir: Du hast es erst jetzt geschafft. Dann denke ich nur: Geh du mal für ein Jahr auf die Bühne und spiel acht Shows die Woche. Dazu braucht man Kondition, und die hat nicht jeder. Ich definiere Erfolg nicht dadurch, wer mich auf der Straße erkennt.
War es für sie eine Herausforderung auf Englisch zu spielen?
Nein, ich habe schon früh sehr gut Englisch gesprochen. Manche Dialekte fallen mir dagegen schwer, aber das geht mir im Deutschen genauso. Sächsisch zu sprechen, würde mich herausfordern. Den „afrikanischen Akzent“ muss ich als schwarze Frau häufig imitieren. Als ich 2005 in meinem ersten „Tatort“, „Tod aus Afrika“, mitgespielt habe, wurde ich nachsynchronisiert, weil mein Akzent nicht stereotyp „afrikanisch“ genug war. Das ärgerte mich damals. Heute habe ich nicht genug Zeit und Lust, mich darüber aufzuregen.
Würden Sie die Arbeit in Deutschland der in den USA vorziehen?
Ich habe keine Vorliebe, arbeite gern national und international, bevorzuge aber das Leben in Deutschland. Ich finde, dass Deutschlands Fernsehindustrie immer besser wird, es sind wirklich gute Serien auf dem Markt, die auch im Ausland erfolgreich sind wie beispielsweise „4 Blocks“ oder „Deutschland 83“.
In der Fortsetzung dazu, „Deutschland 86“, die ab Herbst läuft, spielen Sie selbst mit. In welcher Rolle?
Ich spiele eine südafrikanische Geheimagentin, die in Kapstadt gegen Apartheid und für Freiheit und gleiche Rechte der Schwarzen kämpft.
Das reiht sich ein: In „Black Panther“ waren Sie eine Kriegerin, im „Tatort“ Kommissarin und bei „Alarm für Cobra 11“ FBI-Agentin. Suchen Sie sich nur die starken Frauenrollen raus?
Nein, ich habe auch andere Figuren gespielt, eine Forscherin, die Exfreundin oder Ärztin. In den Produktionen, die große Aufmerksamkeit bekommen haben, habe ich meist starke Frauen gespielt, doch man kann nicht nur diese beurteilen, um einen Einblick in mein schauspielerisches Können zu bekommen.
Gibt es Rollen, die Sie nicht annehmen würden?
Das hängt immer vom Drehbuch ab. Gerade würde ich nicht so gern Nacktszenen spielen. Ich habe kein Problem mit meinem Körper, aber die Zeiten haben sich geändert. Heute machen sich manche Leute die Mühe, die Nacktszenen zusammenzuschneiden und als kleinen Film ins Netz zu laden. Außerdem ärgere ich mich, wenn ich in einem Drehbuch lese: Sie hat gar nichts an, und er trägt Jogginghose.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Was sollte sich noch an der Fernsehlandschaft ändern?
Ich wünsche mir, dass Filmschaffende sich mehr trauen, Schauspieler divers zu besetzen. Denn je vielfältiger das Publikum ist, desto größeres Identifikationspotenzial bietet es gerade für junge Menschen. Auch ich freue mich, wenn ich ein schwarzes Model auf Werbeplakaten sehe. Oder eine Büste in einem Schaufenster, die nicht Kleidergröße 34 trägt. Denn das ist nicht der Standard. Ich will sehen, wie sieht das Kleid aus, wenn die Frau einen dickeren Po hat oder ein Kopftuch trägt. Genauso ist es im Fernsehen.
Also hat das, was im Fernsehen gezeigt wird, auch eine politische Dimension?
Auf jeden Fall. Die Menschen verbringen sehr viel Zeit vor dem Fernseher, und wenn man gewisse Sachen nie sieht, dann muss man sich auch nicht wundern, warum viele Menschen komisch reagieren. Zu mir sagen die Leute beispielsweise andauernd: Du kannst so gut Deutsch sprechen. Und dann denke ich immer, wo lebt ihr bitte, dass euch das wundert. Auch im Ruhrgebiet spricht man Deutsch.
Ist das amerikanische Fernsehen in dieser Hinsicht progressiver?
Ja klar, aber das liegt an deren Geschichte. Da gibt es schon sehr lange ein multikulturelles Leben. Eine Zeit lang habe ich aus diesem Grund aufgehört, deutsches Fernsehen zu gucken, und mehr bei Netflix und Amazon gestreamt. Denn in US-amerikanischen Serien wie „Scandal“, „How to Get Away With Murder“ oder „Grey’s Anatomy“ habe ich mich wiedergefunden. Dort gibt es zum Beispiel schwarze, weiße, asiatische, schwule, lesbische Ärzte. In der Serie spielt Herkunft, Sexualität oder Religion keine Rolle. Da ist Diversität schon im Mainstream angekommen.
Ihr Wunsch „Tatort“-Kommissarin zu werden, ist in Erfüllung gegangen. Was wünschen Sie sich als nächstes?
Ich hätte gern mal ’ne stinknormale Rolle. Also die Apothekerin im Dorf, die Erzieherin oder die Nachbarin. Rollen aus dem Alltag eben. Aber ich habe das Gefühl, dass sich das in Filmen von jungen Menschen schon langsam positiv verändert. Deutsches Fernsehen wird langsam diverser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt