Schulschließungen in Belarus: Kein Platz zum Lernen – nirgends

Das belarussische Regime lässt Privatschulen schließen, weil diese angeblich keine Lizenz hätten. Die Schüler und Schülerinnen stehen jetzt im Regen.

Ein Kind tippt auf einem Tablet

Ende September 2022 mussten Dutzende von belarussischen Privatschulen schließen Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Meine Tochter und ich sind vor einem Jahr von Belarus nach Georgien gezogen. Mein Kind hatte vor noch vor unserer Ausreise von einer staatlichen Schule auf eine private mit individuellem Online-Unterricht gewechselt. Das ist quasi wie ein Fernstudium. Das Kind erarbeitet sich das Schulprogramm selbstständig, mit oder ohne Repetitor, und legt vierteljährlich Prüfungen ab. Es gibt auch eine andere Möglichkeit, an dieser Privatschule zu lernen, die verbreiteter ist: im Klassenzimmer. Aber nicht für uns – denn wir haben ja das Land verlassen.

Online-Schule ist eine wunderbare Möglichkeit, sich an jedem beliebigen Ort der Erde aufzuhalten, aber trotzdem das belarussische Schulsystem nicht zu verlassen. Dass dies aber gar nicht so problemlos ist, zeigte sich jetzt. Ende September 2022 mussten Dutzende von belarussischen Privatschulen schließen.

Der belarussische Justizminister hatte nämlich festgestellt, dass diese Schulen für das kommende Schuljahr keine Lizenzen zum Unterrichten hätten. Solche Lizenzen hatten allerdings auch vorher nie existiert. Man muss sich das mal vorstellen! Tausende von Kindern haben damit plötzlich zu Beginn des neuen Schuljahres ihre Schulen verloren.

Das Regime von Präsident Alexander Lukaschenko hat sich nicht zufällig die Privatschulen ausgesucht. Schon 2020 bezeichnete Lukaschenko diese Schulen als „Hochburgen der Farbenrevolution“, sah sie in der Tradition der Rosenrevolution in Georgien (2003), der Orangen Revolution in der Ukraine (2004) u. a. Sie fürchten sich also sogar vor unseren Kindern. Möge Gott verhüten, dass sie schon in der Kindheit lernen, sich gegen das Regime zu erheben.

Unterstützen Sie die taz Panter Stiftung und ihre Projekte in Osteuropa mit einer Spende. Mehr erfahren

Viele der Kinder an belarussischen Privatschulen haben Eltern, die das Land verlassen mussten. In der Klasse meiner Tochter war zum Beispiel ein Junge eines Menschenrechtlers, der als politischer Gefangener anerkannt ist. Ihm drohen aktuell bis zu 15 Jahre Haft. Es gibt viele ähnliche Fälle. Aber auch ganz andere. Zum Beispiel Kinder mit Beeinträchtigungen. Oder hochsensible. Für sie war der Online-Unterricht eine Chance, sich ihre mentale Gesundheit zu bewahren.

„Aber was können wir tun?“, beschwerte sich eine der Mütter im Chat. Der Online-Unterricht war für ihren Sohn bislang der Grund, warum er überhaupt motiviert lernen konnte. Jetzt müsse er in eine Klasse mit 35 lauten Mitschülern gehen. Das würde ihm viel Stress bereiten, er sei extrem geräuschempfindlich.

Bei der Schließung der Schulen hatte die Staatsmacht auch nicht an die Eltern gedacht, die das Schulgeld im Voraus bezahlt und nun kein Geld mehr haben. Auch die Lehrer, die kein Gehalt mehr bekommen, hatte man vergessen. Viele von ihnen werden jetzt außerdem noch darauf überprüft, ob sie 2020 an den Protesten gegen das Regime teilgenommen haben. Einige wurden wegen ihrer Kommentare in den sozialen Netzwerken bereits verhaftet, bei anderen wird noch nach Vorwänden für eine Festnahme gesucht. Deshalb haben viele die Chat-Räume verlassen, gekündigt und sind außer Landes gegangen.

„Was können wir jetzt tun und an wen können wir uns wenden. Wir haben die Schule bis März 2023 bezahlt. Ich gehe jetzt vor Gericht gegen diejenigen vor, die das alles verursacht haben“, beschwert sich eine andere Mutter im Chat.

Eine einzige Privatschule macht übrigens weiter: das elitäre internationale Privatgymnasium, das von Irina Abelskaja, der Mutter von Alexander Lukaschenkos jüngstem Sohn Kolja gegründet wurde. Nach Angaben des Belarusian Investigative Centers, einer journalistischen NGO, lernen dort etwa 300 Schüler: Kinder belarussischer Sicherheitskräfte, von Geschäftsleuten, Staatsbeamten. Diese Schule erhält auch Geld aus dem Staatshaushalt. Und auch die Gründerin verdient nicht schlecht: bis zu einer Million Dollar jährlich.

Wo meine Tochter ihr letztes Schuljahr vor Studienbeginn beenden wird, ist eine rhetorische Frage.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

35, belarussische Journalistin, lebt seit 2021 in Batumi (Georgien). Sie war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.