Fluchtziel Georgien: Belarussische Insel der Sicherheit
In der georgischen Hafenstadt Batumi am Schwarzen Meer treffen sich geflüchtete Belarussen, Ukrainer und Russen – und verstehen sich bestens.
S eit September 2021 lebe ich in Batumi. Ich kam damals aus dem herbstlich-kalten Belarus in eine Stadt, in der man bis Neujahr im Meer baden konnte. Außer viel Sonne gibt es hier auch tropische Regenfälle, Erdbeben, Schnee unter Palmen und viele Bekannte. Die Georgier witzeln, dass durch den ständigen Zuzug von Belarussen auch Kälte ins Land gebracht wurde.
Ich fühle mich hier zu Hause und habe keine Angst, dass sie mich „holen“ könnten, denn ich arbeite als Journalistin. Batumi ist nicht einfach nur ein Kurort, sondern wirklich eine Insel der Sicherheit. Wenn ich hier am Strand spazieren gehe, treffe ich Kollegen aus Charkiw, Sibirien, Sotschi und aus ganz Belarus. Ich begrüße sie dann, umarme sie, verabrede, dass wir uns mal treffen. Es sind Aktivisten oder Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet sind.
Batumi – das ist, wenn man sich einen Kaffee holt und weiß, dass der Laden von einem Belarussen eröffnet wurde. Oder wenn man ein Interview mit dem Kurator eines Hilfsfonds für die Ukraine macht und sich herausstellt, dass der ein Verwandter eines Minsker Programmierers ist, der in seiner Wohnung von KGB-Leuten ermordet wurde.
Oder wenn man auf der Straße einen Marathon für die Ukraine sieht. Und dann erfährt, dass der Organisator ein Mann aus Minsk ist, über den man gerade einen Artikel geschrieben hat. Er musste das Land sehr plötzlich verlassen, weil sie ihn holen wollten.
Oder wenn man zu einem Kurs übers Bloggen geht. Und dort erfährt, dass der Kursleiter früher im Stab der belarussischen Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja war. Weil er damals Videos produziert hatte, steht der Mann jetzt auf internationalen Fahndungslisten.
35, belarussische Journalistin, lebt seit 2021 in Batumi (Georgien). Sie war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung
Ich treffe hier erstaunliche Menschen. Zum Beispiel das Mädchen Sascha. Sie hatte für ein bekanntes Internetportal einen Videokommentar über Alexander Lukaschenko abgegeben. Dann verließ sie Minsk, denn für diesen Kommentar hätte man sie verhaften können. Sascha sehnte sich nach ihrem Land. Sie besuchte einen Kurs zur Schmuckherstellung und ihre ersten eigenen Schmuckstücke hatten die Form einer belarussischen Landkarte mit einer Träne darin.
Jetzt hat sie ihre eigene Schmuckwerkstatt und Kunden in der ganzen Welt. Ein Prozent ihres Gewinns spendet sie dem belarussischen Kalinowski-Bataillon und den ukrainischen Streitkräften. Ihre Ringe mit den Umrissen der Ukraine tragen sogar Angelina Jolie und Swetlana Tichanowskaja.
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Oder ich laufe über einen Platz. Dort gibt es fast jeden Tag Solidaritätsaktionen. Gleich nach ihrer Ankunft waren das zunächst nur Belarussen, dann schlossen sich Ukrainer und Russen an. Jetzt ist es eine Zusammenarbeit aller Nationen „Für den Frieden“. Wir glauben alle an das Gute und wir alle tragen, so gut wir können, unseren Teil zum Sieg bei!
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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