Schulen im Herbst und Winter: Äußerst kritische Infrastruktur
Der Bund will ab Oktober wieder Masken im Unterricht erlauben. Für die Pandemie scheinen die Schulen gerüstet. Was aber, wenn im Winter das Gas fehlt?
Viele Schüler:innen haben nach zwei Jahren Pandemie erhebliche Lernrückstände. Grundschüler:innen rechnen, lesen und schreiben deutlich schlechter als noch vor zehn Jahren, zeigt eine aktuelle bundesweite Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Dazu kommt: An allen Enden fehlt qualifiziertes Personal.
An bayerischen Grund- und Mittelschulen fallen deshalb im neuen Schuljahr höchstwahrscheinlich Unterrichtsangebote aus, wie ein zerknirschter Minister Michael Piazolo (Freie Wähler) kürzlich einräumen musste. Sachsen-Anhalt will an einigen Schulen nach den Ferien die Viertagewoche erproben, auch wenn das offiziell nichts mit den unbesetzten Stellen zu tun haben soll.
Immerhin eine Sorge vor dem neuen Schuljahr scheint sich gerade aufgelöst zu haben: Vergangene Woche hat die Ampel einen Entwurf des Infektionsschutzgesetzes vorgelegt, das ab Oktober gelten soll. Wird es in der vorliegenden Form verabschiedet, dürfen die Bundesländer dann unter anderem wieder die Maskenpflicht in Innenräumen anordnen – also auch an Schulen, allerdings erst ab der fünften Klasse. Auch eine Testpflicht vor Unterrichtsbeginn soll möglich sein. Beide Maßnahmen halten die Bildungsminister:innen für sinnvoll, sollte sich das Infektionsgeschehen im Herbst nochmal deutlich verschlechtern.
Länder wollen mitreden
Dennoch blicken die Ministerien teils skeptisch auf die Coronapläne des Bundes, wie eine Umfrage der taz unter den Ländern zeigt. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) begrüßt zwar, dass die Länder wieder „selbst über eine Testpflicht und eine Maskenpflicht ab der fünften Klasse entscheiden können“. Auch aus Niedersachsen, Bremen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen gibt es prinzipielle Zustimmung, vor allem zum weiterhin geltenden Verbot allgemeiner Schulschließungen.
„Schulschließungen und Unterrichtseinschränkungen darf es im Interesse und zum Wohle unserer Kinder nicht mehr geben, ohne Wenn und Aber!“, sagt die Bremer Bildungssenatorin Sascha Karolin Aulepp (SPD) zur taz. „Deshalb begrüße ich die klare Haltung hierzu in den jetzt gemachten Vorschlägen.“
Gleichzeitig kritisieren mehrere Länder, dass die Details zu den Maßnahmen an Schulen noch nicht geklärt seien. So soll die Maskenpflicht beispielsweise nur dann möglich sein, „wenn dies zur Aufrechterhaltung eines geregelten Präsenz-Unterrichtsbetriebs erforderlich ist“. Wann genau dieser Fall eintritt, beantwortet die Ampel jedoch nicht. „Der Entwurf enthält für die Schulen noch einige unklare Formulierungen“, heißt es beispielsweise aus Hessen.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU), forderte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf, „zu einem Meinungsaustausch“ mit den Ländern zusammenzukommen – „wie vor wenigen Wochen öffentlich avisiert“. Nach den Plänen der Bundesregierung soll das neue Infektionsschutzgesetz im September von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden und ab 1. Oktober gelten. Danach müssen die Länder die neuen Regeln jedoch noch in Landesrecht umsetzen.
Appelle statt Vorgaben
Für die ersten Schulwochen heißt das: Eine allgemeine Maskenpflicht wird es nicht geben, trotz der zu erwartenden steigenden Infektionszahlen zum Ferienende. Die Länder appellieren deshalb an die Eigenverantwortung von Eltern und Schüler:innen. In Nordrhein-Westfalen hat Schulministerin Dorothee Feller (CDU) vor dem Schulstart zum freiwilligen Masketragen und Testen aufgerufen. Auch andere Länder wollen es zunächst ohne strenge Testpflicht versuchen. Der Wunsch nach Normalität ist groß, dem wollen die Ministerien Rechnung tragen. Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will dafür „kämpfen“, dass das Schuljahr „so normal“ werde, „wie es nur möglich ist“.
NRW-Lehrerverbandschef Andreas Bartsch hingegen kritisiert, dass den Bundesländern „jegliche verbindliche und gesetzliche Regelung“ zum Schutz vor Corona fehle. Antonietta Zeoli, Vorsitzende der Schulleitungsvereinigung im Land, schätzt, dass nur 70 bis 80 Prozent der Schüler:innen freiwillig eine Maske aufziehen werden – und warnt vor beträchtlichem Unterrichtsausfall.
Im Vergleich zu den Vorjahren kommt in diesem Winter noch eine weitere Sorge hinzu: die Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine für die deutsche Energiesicherheit. Zwar zählen Schulen im Notfallplan Gas des Bundeswirtschaftsministeriums zu den „geschützten Kunden“. Streng genommen sind Schulen und andere Bildungseinrichtungen aber keine „kritische Infrastruktur“, die im Notfall in jedem Fall weiter versorgt werden muss.
Die grüne Bildungsministerin Theresa Schopper aus Baden-Württemberg hat als Erste den Schulen eine Art Gas-Garantie ausgesprochen: „Wir haben beim Gasgipfel [der Landesregierung] festgehalten, dass Schulen und Kindergärten zur kritischen Infrastruktur dazugezählt werden“, sagte sie vergangene Woche der Deutschen Presseagentur. „Der Lebensraum Schule ist für unsere Kinder und Jugendlichen unendlich wichtig, das hat Corona gezeigt. Deshalb würde ich auch bei einer Gasmangellage nicht mein Okay für Schulschließungen geben“.
Besorgte Kommunen
Die grün-schwarze Landesregierung in Stuttgart hat sich – wie andere Länder auch – zu einem Energie-Sparkurs verpflichtet und erwartet, dass auch die Kommunen ihren Anteil leisten. Wie sehr die hohen Energiepreise die Kommunen belasten, davon kann der Bürgermeister von Bretten, Michael Nöltner, berichten. Von den rund 100 Millionen Euro, die der Stadt nahe Karlsruhe im Jahr zur Deckung laufender Ausgaben und Investitionen zur Verfügung stehen, fallen rund 1,5 Millionen für das Heizen von öffentlichen Gebäuden an. Im nächsten Jahr dürfte dieser Posten wegen der steigenden Energiekosten auf 3 Millionen anschwellen, schätzt Nöltner.
Bei den Schulen sieht er jedoch wenig Einsparmöglichkeit, zumindest beim Heizen: „Wir haben den Schulen in den vergangenen zwei Jahren schon viel zugemutet“, sagt er zur taz. „Irgendwann ist eine Grenze erreicht.“ Nöltner meint damit auch die Temperatur in den Klassenzimmern: Noch kälter als in den beiden Corona-Wintern mit dem ständigen Lüften hält er für nicht vertretbar.
Was nicht heißt, dass an Schulen nicht gespart werden kann. Als Vorzeigeschule nennt Nöltner das Brettener Edith-Stein-Gymnasium, mit dem die Stadt vor drei Jahren folgenden Deal eingegangen ist: Spart das Gymnasium Strom oder Wärme, bekommt es ein Drittel der Einsparungen zur freien Verfügung ausbezahlt, ein weiteres Drittel investiert die Stadt in die energetische Sanierung des Schulgebäudes, den Rest streicht die Stadt ein.
Rund 8.200 Euro hat die Schule in den drei Jahren so gespart, vor allem über den achtsamen Umgang mit Energie. In den beiden Corona-Wintern waren die Einsparungen jedoch deutlich geringer als im Jahr davor. Dennoch wäre dem Bürgermeister geholfen, wenn alle sieben Grundschulen und fünf weiterführenden Schulen in Bretten so viel Energie sparten. „Wenn ich die durchschnittlichen Ersparnisse des Edith-Stein-Gymnasiums auf alle Schulen in der Stadt übertrage, lassen sich im Jahr bestimmt 40.0000 bis 50.000 Euro sparen“, so Nöltner. Ein Anfang.
In den Ministerien setzt man bislang offenbar auf das eigenverantwortliche Energiesparen an Schulen. Konkrete Sparvorgaben, so teilen die Länder auf Anfrage der taz mit, werde man den Schulen nicht machen. Schließlich sind für die Energieversorgung die Schulträger, also in der Regel die Kommunen, verantwortlich. Mit den kommunalen Spitzenverbänden sei man derzeit im Austausch.
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