Schlagloch Vegan leben: Backlash der Fleischis

Veganer müssen sich verdammt viel Unsinn anhören. Da geht es um Wohlstandskrüppel und Kreidesperma. Und kommt natürlich von Fleischessern.

„Ich jage, also bin ich.“ Da mischen sich Genderthemen mit in die Debatte Bild: dpa

Jüngst kam nach einer Podiumsdiskussion über Tierrechte ein Zuhörer auf mich zu und fragte, wie „streng“ vegan ich sei. Er zog einen Fünf-Euro-Schein hervor: „Dann dürften Sie nämlich auch kein Geld benutzen, die Scheine sind aus Wolle.“ – „Wirklich??“ – (Ernst gemeint, fast triumphierend:) „Ja, aus Baumwolle!“

Während viele Medien Veganer zunehmend wohlwollend darstellen, proben die Fleischis aller Fraktionen den Backlash. Dabei greifen sie nach allem. Kürzlich schimpfte Wolf Biermann Veganer im Fernsehen „Wohlstandskrüppel“.

Man kann es auch höflicher ausdrücken, wie Alexander Grau in Cicero: „Sich Gedanken über Ernährung zu machen, ist ein Privileg. Über Jahrtausende waren die allermeisten Menschen froh, überhaupt etwas zu essen zu haben – und für zu viele Menschen gilt das auch heute noch.“ Sich Gedanken zu machen, ist anscheinend keine Option: „Das Ganze grenzt natürlich an Irrsinn.“

Ist Irrsinn nicht vielmehr, weltweit pro Jahr 65 Milliarden Tiere auf engstem Raum einzupferchen und ihnen Unmengen von Getreide und Eiweißpflanzen in die Tröge zu kippen, die man viel eher unter Menschen verteilen sollte, und zwar fair? Ist es nicht auch ein Privileg, ein mit Weizen und Soja gefüttertes Industriehuhn statt Gemüse und Getreide direkt zu essen? Wie eine Freundin von mir immer sagt: „Es kann mir doch keiner erzählen, dass er sich eine Currywurst reinzieht, nur weil andere gar nix zu essen haben!“

Er jagt, also ist er

Jawohl, Wohlstand schafft Verantwortung und macht sie vielfach erst möglich und nötig. Nur in elektrisierten Ländern stellt sich die Frage nach der Atomkraft; nur wer Urlaub und Geld hat, muss über die Klimabelastung durch Fernreisen nachdenken. Luxus wirft Fragen auf, und Eigentum verpflichtet.

Etwas schwiemelig wird es, wo Genderthemen hineinspielen. Der Jäger und Welt-Redakteur Eckard Fuhr schrieb bereits vor Längerem die gänzlich unironischen Sätze: „Jagen … ist Sinn schlechthin. Jagen ist keine Neben-, sondern eine Hauptsache. Ich jage, also bin ich.“ Und: „Wenn das tote Reh dann gefunden ist, stellt sich ein unvergleichliches Gefühl innerer Zufriedenheit ein. Doch, vergleichbar ist es: Nach erfolgreicher Jagd fühlt man sich wie nach gutem Sex …“ Lecker.

In einem neueren Text zum Thema Milchkühe erinnert Fuhr daran, dass Kinder weinen, wenn sie im Kindergarten abgegeben werden. Ist das nicht genauso, fragt er, wie wenn man die Kälber von der Mutter trennt und im Plastikiglu isoliert? Fuhr, polemisch: „Die Tierrechtsbewegung sollte die Schließung von Kindertagesstätten ebenso gebieterisch fordern wie die Abschaffung von Kälberboxen.“ Bloß: Die Eltern geben ihr Kind freiwillig ab. Und nachher bekommen Eltern und Kinder einander wieder! Kurzum: Beim Fuhr’schen Kindergartenvergleich muss ich an jenes Video denken, das der Bauernverband Schleswig-Holstein neulich ins Internet stellte: „Reise oder Transport – Mensch, ist das eng!“

Verglichen wurde der Transport von Schweinen zum Schlachthof (bis 0,7 Quadratmeter pro Tier) mit einer Flugreise von Menschen (angeblich 0,3 Quadratmeter). Oh mein Gott! Das versteh ich ja jetzt erst: Wenn auf der Anzeigetafel im Flughafen „Destination“ steht, heißt das, die Urlauber werden am Ankunftsort alle geschlachtet?!

Weibliches Gemüse über 30

Auch in der taz, auf der Wahrheit-Seite, hat Helmut Höge bereits einige originelle Männerfantasien notiert. Da geht es um junge Veganerinnen, die „wie nebenbei und äußerst graziös kleine Gemüsestücke zwischen ihre süßen Lippen schieben. In bunten Sommerkleidchen sehen sie bereits alle aus wie Blumen.“ So sieht der alternde Mann die jungen Frauen – und schreibt über die älteren: „Kaum hat dieses junge weibliche Gemüse die 30 überschritten und nennt sich kokett ’U 40‘, kleidet es sich zügig sackartiger ein – in Läden für 'Übergrößen', wo man die Klamotten als 'bequem und extraweit' bezeichnet. Statt in Salattellern zu stochern, sitzen sie nun in sogenannten Müttercafés, wo sie Biokuchen mit Sahne in sich reinstopfen …“ Und so weiter.

Und nun noch etwas selbstgebastelte Psychoanalyse: Leo Fischer schrieb in der Konkret kürzlich über jemanden, der mit Straßenkreide vegane Parolen auf Gemäuer und Gehsteige der Stadt Frankfurt am Main malte: „Für Psychoanalytiker wäre es sicher interessant zu durchleuchten, wie die Abwehr der Mutter (Milch) … hier mit dem Bedürfnis einhergeht, spermatisch-weiße 'geile' Spuren in der ganzen Stadt zu hinterlassen, noch dazu mit dem klassischen Werkzeug schulisch-institutioneller Disziplinierung, der Kreide.“

Kreidesperma

Das geht mir nicht weit genug. Wenn schon freischwebende Spekulation, dann richtig! Einem erwachsenen Mann, der nicht die Milch fremder Mütter trinken will, sollte man nicht nur Ablehnung von Frauen unterstellen, sondern mindestens die der eigenen Homosexualität.

Nicht erst die weißen Kreidespuren nämlich lassen an Sperma denken, das liegt ja auf der Hand – ist Milch etwa nicht auch weiß und noch dazu flüssig? Lehnt, wer Milch ablehnt, eventuell nicht nur die Mutter ab, sondern auch den Vater, ja, den ganzen Akt der eigenen Zeugung und Entstehung, gar den Boden, auf dem er kreidet? Ist die Ablehnung der Milch, zum Ausdruck gebracht durch das Ziehen von Kreidespuren auf dem Boden, also ein nihilistischer Akt, der die Vernichtung der irdischen Existenz insgesamt anstrebt? Oder ist das mit dem Kreidesperma vielleicht doch einfach nur balla-balla?

Im April gab die Verbraucherzentrale Hamburg eine Untersuchung bekannt, derzufolge fette und salzhaltige vegane Fertigprodukte nicht weniger Fett und Salz enthalten als nichtvegane. Diese „Neuigkeit“ wurde medial zig Mal wiederverwertet. Wen sie überrascht, den wird vielleicht auch schockieren zu hören, dass Baumwolle gar nicht von Schafen stammt. Und dass wir Veganer weiterhin Geld benutzen und ausgeben für das, von dem wir hoffen, dass es weniger Leid für Tier, Mensch und Umwelt schafft.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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