Sawsan Chebli vs. Michael Müller: Ja! Klar! Darf sie!
SPD-Beef: Sawsan Chebli konkurriert mit SPD-Landes- und Regierungschef Michael Müller um eine Bundestagskandidatur. Gut so.
O b sie „das darf“, diese Frage stellt sich Sawsan Chebli klugerweise und ganz zu Anfang gleich mal selbst in dem Brief, den sie an die „Lieben Genossinnen und Genossen“, die Mitglieder der Berliner SPD, richtet: „Darf man das? Antreten gegen den Regierenden Bürgermeister? Meinen Chef? Dem aktuellen Vorsitzenden der SPD Berlin?“ Und fügt dann leichthin hinzu, sie sei sich „übrigens sicher, dass Michael Müller hier auch mit sich gerungen hat“. Damit schon mal klar ist, wer hier moralisch am längeren Hebel sitzt – und das ist bestimmt nicht der Regierende, der als Mann die politische Immer-noch-Newcomerin, die Frau, um die Kandidatur in ihrem Wahlkreis für die Bundestagswahl 2021 bringen will.
Seit Chebli, Staatssekretärin in der Senatskanzlei unter Müller, am 13. August öffentlich bekräftigte, dass sie sich in Charlottenburg-Wilmersdorf nach wie vor als die SPD-Kandidatin 2021 sehe, diskutiert das landespolitische Berlin hingerissen – und reibt sich die Hände ob der medialen Schlammschlacht, die da noch folgen könnte. Wohlgemerkt: Chebli kündigte ihre Kandidatur nicht an, das hatte sie bereits vorher getan. Sie hielt sie lediglich aufrecht. Auch gegen ihren Chef Müller, der sich mit seiner Wunschkandidatur in seinem Heimatbezirk Tempelhof-Schöneberg gegen Kevin Kühnert nicht durchsetzen wollte oder konnte.
Also: Ja, klar!, darf sie, sagen jetzt alle. Klar darf man als Frau im Jahr 2020 vor Gleichberechtigung gegen die Hinterzimmerkungelei und die Postenverteilerei der Chefs (kein Binnen-I an dieser Stelle) standhaft bleiben. Und, das nur nebenbei: Mal ganz abgesehen, ob da jetzt Frau oder Mann gegen den Klüngel antritt – allein wer dem demokratischen Prinzip verbunden ist, dürfte auch Cheblis Kandidatur verbunden sein.
Was aber auch stimmt: Chebli wird diese Reaktionen ihrerseits eingepreist haben. Sie weiß, dass man sich ziemlich unmöglich machen würde, wenn man sie auf ihren Platz weisen, ihr als Frau quasi den Mund verbieten würde. Auf wohlwollende Kommentare in der Hauptstadtpresse und in ihrer Twitterblase konnte sie zählen.
Das lässt ihren Move überhaupt nicht in schlechterem Licht dastehen. Aber ob man deshalb #teamchebli sein will, wie sie twittert, muss der/die GenossIn sich trotzdem selbst überlegen.
Inhaltlich bleibt sie in ihrem Brief an die SPD-Mitglieder vage. Am konkretesten wird sie noch beim Thema „Kampf gegen rechts“: Sie wolle „ein klares Bild davon, ob und wie weit rechtsextreme Gesinnung in Polizei, Bundeswehr und den Sicherheitsdiensten verbreitet ist“. Ansonsten ist sie für mehr Gleichstellung, die „Abschaffung der Armut“, die „Verbesserung der Bildungsqualität“ und natürlich auch für den Frieden.
Okay, ihr Wahlkampf – zunächst mal der in Charlottenburg-Wilmersdorf gegen Müller – hat gerade erst begonnen. Am 10. September soll der Kreisvorstand entscheiden, ob man zwecks Richtungsentscheidung für die KandidatInnen-Kür die Mitglieder befragen will, wie Chebli es gern hätte. Wie es auch kommt: Die Frauenkarte ist jetzt ausgespielt. So viel Gleichberechtigung muss sein.
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