SPD im Vorwahlkampf: Warten auf Herrn Merz
Olaf Scholz rechnet bei einer SPD-Konferenz scharf mit der FDP ab. Und fordert 15 Euro Mindestlohn. Viel dreht sich um den Kandidaten der Union.
Am Ende seiner Rede, die doppelt so lang wird wie eigentlich geplant, wird Scholz fast ein bisschen pathetisch. „Unsere Partei ist mir eine Heimat“, sagt er. „Was mich antreibt, ist die Liebe zu unserer Partei und zu unserem Land.“ Liebe zu unserer Partei? Das ist eine Art Willy-Brandt-Moment in der recht unterkühlten Rhetorik des bekennenden Helmut-Schmidt-Anhängers. Es klingt auch wie ein Zitat.
Scholz ist Kanzler einer gescheiterten Regierung. Dieser Stachel sitzt tief. Scholz hatte die Ampel nicht als Zweckbündnis gedacht, sondern als historische Konstellation, mit der die SPD die Ära der Transformation hätte prägen sollen. Perdu.
Der Ausstieg der FDP aus der Regierung, der Mangel an Ernst, empört Scholz noch immer. Christian Lindner sei ein „Zocker“. Die FDP „hat die Arbeit der Bundesregierung monatelang systematisch sabotiert“ ruft er. Und: „So etwas darf in Deutschland nie wieder passieren“. „Nie wieder“ ist in Deutschland eigentlich für den Nationalsozialismus reserviert. Nun wird diese Formel großzügig auf eine Regierungsbeteiligung der FDP ausgeweitet. Scholz' Zorn auf die Liberalen, aus Enttäuschung geboren, wurzelt tief.
Die Lage der SPD ist nicht gut. Scholz geht als Gesicht einer gescheiterten Regierung in den Wahlkampf. Beim Streit um den Wahltermin wirkte er unsouverän. Die Umfragen sind ernüchternd. Davon aber dürfe man sich nicht irritieren lassen. „Ich weiß, wie Wahlkampf geht“, ruft Scholz. 2021 habe man auch am Ende gesiegt. Die GenossInnen klatschen frenetisch. Es klingt nach Jetzt-erst-recht-Trotz
Scholz streift an diesem Samstag endgültig das Image des moderaten, ausgleichenden Ampel-Kanzlers ab. Der neue Scholz, der sich bei dieser aufdringlich optimistisch „Wahlsieg-Konferenz“ betitelten Veranstaltung präsentiert, holzt energisch gegen die Konkurrenz. Die SPD sei, so die kühne Devise, „die einzige Partei der Mitte“, die einzige „Stimme der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes“.
Letzteres geht gegen die Grünen. Die Union wolle Windräder abbauen und bei der erneuerbaren Energie eine Rolle rückwärts, die Grünen aber eine Energiewende „mit der Brechstange“. Das dockt an die Polemik von Söder & Co gegen die „grüne Verbotspartei“ an. Dass der Ampel-Kanzler Begriffe der Ampel-Gegner in sein Vokabular übernimmt, ist ein bemerkenswertes Manöver. Offenbar sieht man in der SPD-Spitze nicht nur Merz als Konkurrent, sondern auch Robert Habeck.
Der Lieblingsfeind allerdings ist Friedrich Merz. In den Reden von Lars Klingbeil, Saskia Esken und Scholz kommt der abwesende Herr Merz drei oder vier Dutzend Mal vor. „Wo ist eigentlich Friedrich Merz?“, ruft Lars Klingbeil. Der sei „der bekannteste Totalverweigerer der Republik“, ruft der SPD-Chef kernig in den tosenden Applaus.
Scholz verhandelt in seiner Rede alle zentrale Felder – vom Ukraine-Krieg bis zur Rente, von Finanzen bis zur Wirtschaftskrise. Und er kritisiert Merz in jedem Punkt als Retro-Konservativen. Dessen Steuersenkungen für Reiche würden, so Scholz, ein 75 Milliarden großes Loch in den Haushalt sprengen.
Merz ist als Neoliberaler eine brauchbare Kontrastfolie zum Versprechen der SPD, in der Krise den Sozialstaat zu schützen. Aber die Fixierung auf den CDU-Mann hat auch etwas Doppeltes. Ist es nicht üblich, dass der Oppositionsführer die Regierung angreift – und nicht umgekehrt? Ist die Subbotschaft der Merz-Fokussierung der SPD, dass sie sich schon als Opposition fühlt? Zu der krachenden Rhetorik von Richtungswahl und Entscheidungsschlacht passt die Aussicht auf eine gemütliche Große Koalition nach dem 23. Februar auch nur bedingt.
Scholz sendet zwei zentrale inhaltliche Botschaften. Er will, wie es in den USA mit dem inflation reduction act ermöglicht wird, mit Steuersenkungen den Ausbau von Digitalem und klimaneutraler Wirtschaft fördern. „Wer in Deutschland investiert, bekommt zehn Prozent vom Staat zurück“, so Scholz Forderung, jedenfalls wenn es um Digitales und klimaneutrale Produktion geht. Zweitens: Ab 2026 soll der Mindestlohn auf 15 Euro steigen. Ob dafür wieder die Mindestlohnkommission entmachtet wird, lässt der SPD-Kanzlerkandidat offen. Aber das Versprechen steht: „Wir haben 2021 Wort gehalten. Wir werden das wieder tun“, so Scholz.
Die „Wahlsieg-Konferenz“ der SPD dient vor allem der Selbstermutigung. Vielleicht ist sie eher Vorwahlkampf als Wahlkampf. Aber der SPD-Wahlkampf ist nun in Umrissen sichtbar. Man sieht drei Bestandteile. Für eine Wiederholung des Gerechtigkeit- und Respekt-Wahlkampfs wie 2021 hat Scholz die 15 Euro Mindestlohn als Forderung etabliert. Für einen Sicherheitswahlkampf hat das Willy-Brandt-Haus dramatische Plakate entwerfen lassen, in denen Boris Pistorius in Tarnkleidung in einem Panzer vor deutschen Flagge Richtung Front zu donnern scheint. Und: Die SPD scheint dem Auftritt des CDU-Kandidaten, der sich derzeit eher zurückhält, entgegenzufiebern.
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