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SPD im VorwahlkampfWarten auf Herrn Merz

Olaf Scholz rechnet bei einer SPD-Konferenz scharf mit der FDP ab. Und fordert 15 Euro Mindestlohn. Viel dreht sich um den Kandidaten der Union.

Olaf Scholz hat einen Willy Brandt-Moment Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Am Samstagvormittag ist das Willy Brandt Haus, die SPD-Parteizentrale, brechend voll. 500 Genossinnen sind gekommen, um sich von Olaf Scholz, dem Kanzlerkandidaten, Mut machen zu lassen. Es ist, nach dem Wirrwarr um Boris Pistorius, eine Versöhnungsfeier.

Am Ende seiner Rede, die doppelt so lang wird wie eigentlich geplant, wird Scholz fast ein bisschen pathetisch. „Unsere Partei ist mir eine Heimat“, sagt er. „Was mich antreibt, ist die Liebe zu unserer Partei und zu unserem Land.“ Liebe zu unserer Partei? Das ist eine Art Willy-Brandt-Moment in der recht unterkühlten Rhetorik des bekennenden Helmut-Schmidt-Anhängers. Es klingt auch wie ein Zitat.

Scholz ist Kanzler einer gescheiterten Regierung. Dieser Stachel sitzt tief. Scholz hatte die Ampel nicht als Zweckbündnis gedacht, sondern als historische Konstellation, mit der die SPD die Ära der Transformation hätte prägen sollen. Perdu.

Der Ausstieg der FDP aus der Regierung, der Mangel an Ernst, empört Scholz noch immer. Christian Lindner sei ein „Zocker“. Die FDP „hat die Arbeit der Bundesregierung monatelang systematisch sabotiert“ ruft er. Und: „So etwas darf in Deutschland nie wieder passieren“. „Nie wieder“ ist in Deutschland eigentlich für den Nationalsozialismus reserviert. Nun wird diese Formel großzügig auf eine Regierungsbeteiligung der FDP ausgeweitet. Scholz' Zorn auf die Liberalen, aus Enttäuschung geboren, wurzelt tief.

Die Lage der SPD ist nicht gut. Scholz geht als Gesicht einer gescheiterten Regierung in den Wahlkampf. Beim Streit um den Wahltermin wirkte er unsouverän. Die Umfragen sind ernüchternd. Davon aber dürfe man sich nicht irritieren lassen. „Ich weiß, wie Wahlkampf geht“, ruft Scholz. 2021 habe man auch am Ende gesiegt. Die GenossInnen klatschen frenetisch. Es klingt nach Jetzt-erst-recht-Trotz

Scholz streift an diesem Samstag endgültig das Image des moderaten, ausgleichenden Ampel-Kanzlers ab. Der neue Scholz, der sich bei dieser aufdringlich optimistisch „Wahlsieg-Konferenz“ betitelten Veranstaltung präsentiert, holzt energisch gegen die Konkurrenz. Die SPD sei, so die kühne Devise, „die einzige Partei der Mitte“, die einzige „Stimme der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes“.

Letzteres geht gegen die Grünen. Die Union wolle Windräder abbauen und bei der erneuerbaren Energie eine Rolle rückwärts, die Grünen aber eine Energiewende „mit der Brechstange“. Das dockt an die Polemik von Söder & Co gegen die „grüne Verbotspartei“ an. Dass der Ampel-Kanzler Begriffe der Ampel-Gegner in sein Vokabular übernimmt, ist ein bemerkenswertes Manöver. Offenbar sieht man in der SPD-Spitze nicht nur Merz als Konkurrent, sondern auch Robert Habeck.

Der Lieblingsfeind allerdings ist Friedrich Merz. In den Reden von Lars Klingbeil, Saskia Esken und Scholz kommt der abwesende Herr Merz drei oder vier Dutzend Mal vor. „Wo ist eigentlich Friedrich Merz?“, ruft Lars Klingbeil. Der sei „der bekannteste Totalverweigerer der Republik“, ruft der SPD-Chef kernig in den tosenden Applaus.

Scholz verhandelt in seiner Rede alle zentrale Felder – vom Ukraine-Krieg bis zur Rente, von Finanzen bis zur Wirtschaftskrise. Und er kritisiert Merz in jedem Punkt als Retro-Konservativen. Dessen Steuersenkungen für Reiche würden, so Scholz, ein 75 Milliarden großes Loch in den Haushalt sprengen.

Merz ist als Neoliberaler eine brauchbare Kontrastfolie zum Versprechen der SPD, in der Krise den Sozialstaat zu schützen. Aber die Fixierung auf den CDU-Mann hat auch etwas Doppeltes. Ist es nicht üblich, dass der Oppositionsführer die Regierung angreift – und nicht umgekehrt? Ist die Subbotschaft der Merz-Fokussierung der SPD, dass sie sich schon als Opposition fühlt? Zu der krachenden Rhetorik von Richtungswahl und Entscheidungsschlacht passt die Aussicht auf eine gemütliche Große Koalition nach dem 23. Februar auch nur bedingt.

Scholz sendet zwei zentrale inhaltliche Botschaften. Er will, wie es in den USA mit dem inflation reduction act ermöglicht wird, mit Steuersenkungen den Ausbau von Digitalem und klimaneutraler Wirtschaft fördern. „Wer in Deutschland investiert, bekommt zehn Prozent vom Staat zurück“, so Scholz Forderung, jedenfalls wenn es um Digitales und klimaneutrale Produktion geht. Zweitens: Ab 2026 soll der Mindestlohn auf 15 Euro steigen. Ob dafür wieder die Mindestlohnkommission entmachtet wird, lässt der SPD-Kanzlerkandidat offen. Aber das Versprechen steht: „Wir haben 2021 Wort gehalten. Wir werden das wieder tun“, so Scholz.

Die „Wahlsieg-Konferenz“ der SPD dient vor allem der Selbstermutigung. Vielleicht ist sie eher Vorwahlkampf als Wahlkampf. Aber der SPD-Wahlkampf ist nun in Umrissen sichtbar. Man sieht drei Bestandteile. Für eine Wiederholung des Gerechtigkeit- und Respekt-Wahlkampfs wie 2021 hat Scholz die 15 Euro Mindestlohn als Forderung etabliert. Für einen Sicherheitswahlkampf hat das Willy-Brandt-Haus dramatische Plakate entwerfen lassen, in denen Boris Pistorius in Tarnkleidung in einem Panzer vor deutschen Flagge Richtung Front zu donnern scheint. Und: Die SPD scheint dem Auftritt des CDU-Kandidaten, der sich derzeit eher zurückhält, entgegenzufiebern.

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21 Kommentare

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  • Ich glaube nicht, dass Olaf Scholz eine Stimme mehr gewinnt, indem er immer nur auf die FDP einschlägt. Es ist viel zu offensichtlich, dass auch die SPD und die Grünen für die schlechte Ampel mitverantwortlich waren. Letztlich bin ich der FDP sogar dankbar, dass sie diese Ampel nun beendet hat, wenn auch mit fraglicher Moral.

  • Die Scholzsche Hoffnung dürfte auf einem Wählergedächtnis beruhen, das so kurz ist wie seines. Ich glaube nicht, dass sich diese Hoffnung erfüllt. Die Ampel war und wird ein super Werbeprogramm für die radikalen Parteien sein.

  • Verrückt, selbst wenn man weiß was kommt kann man angewidert sein.

    Die 15 Euro waren ja zu erwarten. Nicht umsonst hat er sich damals nicht eingemischt bei der Kommission.

    Ich möchte auch nochmal in Erinnerung rufen, dass die Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie im Oktober doch "heimlich" an die EU versandt wurde.

    Von 60 Prozent ist darin nichts zu lesen.



    Auch sollte man nicht vergessen, dass scholz die unteren Einkommen mehr belastet hat, so dass sie weniger hatten als zuvor und die oberen Einkommen entlastet hat, welche dann mehr hatten.

    Da viele Menschen auf die 15 Euro angewiesen sind wird es einige Stimmen geben.

    Aber scholz wählen ist wie Trump wählen. Eigentlich eine Schande für eine so große Partei und Deutschland einen dementen L*gner aufzustellen.

  • Wie viele der 500 "Genossen" haben bis letzte Woche noch gehofft das ihnen Scholz erspart bleibt und auf Pistorius gesetzt ?



    Aber das ist das gute an Vergesslichkeit, hier betrifft es den Kanzlerkandidaten und die SPD, jetzt kann man 3 Jahre scheitern ausblenden und hohle Phrasen dreschen das man ja der einzige ist der alles richtig macht. Über so viel Selbsttäuschung kann man nur noch den Kopf schütteln.

  • Danke für diesen Artikel!



    Ja, Scholz ist nun nicht mehr in der Rolle, die gesammelten Ampel Positionen vertreten zu müssen. Als Kanzler einer Koalition musste er den Laden zusammen halten. Nun kann er, mit der SPD , zeigen was sozialdemokratische Politik ist .



    Die Steuerentlastung für Mehrverdiener ist geplante Klientelpolitik der CDU/CSU wie der FDP. Dafür habe ich kein Verständnis und der Beweis, dass dies der deutschen Wirtschaft nützlich wäre, ist nicht zu führen.



    Es ist gut, dass in diesem Wahlkampf klare Unterschiede deutlich gemacht werden können. Die Ampelregierung hat ihren Focus klar auf Bürger und Bürgerinnen gesetzt. Insbesondere die Ausweitung des Kurzarbeitergelds, das Heil bereits zu Corona einführte, sichert in der multiplen Krisenlage Arbeitsplätze. Die klassische CDU Politik, die nach der Wiedervereinigung Marktgläubig daher kam, ist schon damals gescheitert. Die Auswirkungen dieser verfehlten Politik spüren wir bis heute.



    Es ist im Interesse des Landes, seine Bewohner zu schützen.



    Dass das "Kapital" nicht am Erhalt von Arbeitsplätzen interessiert ist, sehen wir gerade bei Thyssen Krupp.

    • @Philippo1000:

      Zu Ihrem Absatz bezüglich Steuerentlastung ist original auch SPD Politik.



      Leider habe ich die regpk nicht gefunden, bei der es einfach bei Seite gewischt worden ist, dass nach be und Entlastungen die unteren Einkommen weniger haben und die oberen profitieren.

      Aber gut das es Menschen wie gibt, welche an die SPD und Scholz glauben, sonst würden sie sicherlich den Einzug in den Bundestag verpassen.

  • Was man nicht alles fordern kann als Oppositioneller ohne Machtbefugnisse, aber der Gute ist doch grad Kanzler. Man kann nur hoffen das die drei Monate vor der Wahl noch mehr 'regiert' wird als versprochen. Die Wahlversprechen der Fortschritts- und Klimakoalition verstauben schon im Schrank.

  • mich treibt um, daß wir weltweit eine starke entwicklung nach rechts haben.



    immer wieder ist die ampel vor den rechten eingeknickt. das hat sie in meinen augen vertrauen gekostet. die rechten zu bedienen mit verschärften abschiebungen (in HH aus 1 frauenhaus + 1 kirche, nur mal son beispiel) oder draufhauen auf die bürgergeld-beziehenden - das bringts nicht. das zieht keine rechten von der union, der afd + dem bsw ab.



    es ist einfach dumm + kurzsichtig. +dann noch die unfaßbar talentlose kandidatur-arie:



    wie kann eines auch nur dran denken, pistorius wg. guter umfragewerte olaf scholz vorzuziehen (egal, was eines von olaf s. hält), vergessend, daß es da schnittmengen zur union + den anderen eher rechten parteien gibt + das kein wasser auf die mühlen der spd schaufelt, eher im gegenteil.

    wie wärs mit statistik büffeln? umfragetechniken?? wie unberaten durch sachverstand auf diesem gebiet ist diese spd-führungscew?



    gestern vom himmel gefallen? oder was?

  • Will jetzt auch Scholz nicht mehr mit den Grünen? Mit wem dann? Mit Wagenknecht? Oder meint der etwa, er kriegt bundesweit 51 Prozent?

  • Scholz im Focus. Was ist ihm zuzutrauen?



    Hat er mehr Angst als 100 Frauen?



    taz.de/Falschmeldu...s-Online/!6050808/



    „Das Medium verbreitet die Falschmeldung, dass 100 Frauen in Videos sagen würden, warum sie ,Angst vor Friedrich Merz haben'. Dann sagt ein ,Insider' der CDU Focus online noch, man würde von der SPD nichts anderes erwarten. "

  • Scholz geht in diesen Wahlkampf als Gesicht und Leitfigur einer gescheiterten Regierung.



    Eines seiner zentralen Probleme ist die mangelhafte Führungskompetenz. Sein berüchtigter Spruch "Wer bei mir Führung bestellt erhält sie" wurde in der Republik zum Lachnummer.



    Neustes Beispiel ist die Führungslosigkeit der Regierung bei der Frage was man konkret tun würde, wenn Herr Netanjahu deutschen Boden betreten würde - würde man ihn verhaften oder nicht? Ohne vorgegebene Sprachregelung stammelt sich jeder Regierungsvertreter oder Regierungssprecher seit Tagen durch die Interviews.



    Ein viel tiefgreifenderes Problem ist aber sicherlich sein grundlegender Mangel an Integrität. Dem Wähler ist dies insbesondere durch seine Verstrickung in Cum-Ex-Geschäfte der Warburg Bank bekannt.

  • Bei der Einführung des Mindestlohns hatte man sich mit Weitsicht darauf geeinigt, dass die Festlegung der Mindestlohnhöhe nicht in der Hand der Politik sein sollte.



    Die SPD scheint dies nicht zu kümmern und fordert forsch €15,- als Mindestlohn. Die linken Parteianhänger jubeln!



    Was passiert nun wenn die Partei der Linken €16,- fordert?



    Zieht die SPD dann nach und erhöht auf €17,-?



    Was machen die Linken dann ...?

    • @Andere Meinung:

      Erhöhen auf 20 und verlassen den Basar mit einem brauchbaren Weihnachtsgeschenk

      • @TV:

        Was hat das bitteschön mit einem Weihnachtsgeschenk zu tun?



        Ein Geschenk ist etwas, was man aus seinem eigenen Vermögen ab- und einem anderen übergibt.



        Bei der Erhöhung des Mindestlohnes gibt eine Partei in der Funktion einer Regierung aber nichts aus dem eigenen Vermögen sondern legt dies Arbeitgebern auf. Geschenke zu Lasten anderer machen ist einfach. Ein wirkliches Geschenk ist das aber nicht - schon gar kein Weihnachtsgeschenk.

  • Schon Harris ist daran gescheitert, einen Wahlkampf ausschließlich gegen den anderen Kandidaten zu führen. Scholz sollte sich weniger an Merz und Habeck abarbeiten.

  • Man wünscht es der alten Tante SPD ja gerne, dass sie sich berappelt und deutlich stärker wird. Doch man muss bedenken, dass es viele Altgediente in der Partei gibt, die eher zurückhaltend sind, was Neuerungen angeht und auch gerne an Pöstchen kleben. Das unterscheidet die SPD allerdings nicht von anderen Parteien. Und dass der Begriff "Nie wieder!" für die NS Zeit reserviert wäre, das ist in diesem Fall durchaus nicht falsch. Auch damals wurden die Leute betrogen und belogen, das hat die Pseudopartei FDP auch gemacht und damit den Faschos jede Menge Stimmen zugetrieben. Zwar sind die FDPler nicht so brutal wie die Nazis, doch verlogen sind sie allemal.

  • „ Der Ausstieg der FDP aus der Regierung, der Mangel an Ernst, empört Scholz noch immer.“

    Das ist mal wieder ein echter Scholz-Vergesser.

    Er hat wohl völlig vergessen, dass die FDP nicht ausgetreten ist, sondern von ihm höchstpersönlich raus getreten wurde.



    Hält er das Gedächtnis der Wähler für minderbemittelt?

    • @Rudolf Fissner:

      Er hält zumindest Leute, die noch arbeiten gehen oder jemals im Berufsleben standen, für so helle zu wissen, daß man nach dem, was Lindner bzw. sein Gefolge am 6. November 2024 abzog, kein Arbeitsgericht im ganzen Land mit der zwangsläufig fälligen fristlosen zu befassen braucht. Da dürfte sich das Mitleid dieser Kreise in Grenzen halten.

    • @Rudolf Fissner:

      "Hält er das Gedächtnis der Wähler für minderbemittelt?"

      Nein!



      Ich glaube Herr Scholz hält sehr viel vom Kurzzeitgedächtnis der meisten Wähler*innen.



      Vor allen Dingen hält er sie für so helle, dass sie nicht vergessen haben, dass die FDP schon lange vor dem Lindner-Rauswurf aus der Koalition ausgestiegen war.

      • @Bürger L.:

        "Ich glaube Herr Scholz hält sehr viel vom Kurzzeitgedächtnis der meisten Wähler*innen."

        ROFL Sie meinen Scholz baut darauf, dass das Gedächtnis der Wähler nicht weiter reicht als die Ausgabe der letzten BLÖD-Zeitung? 🤓

    • @Rudolf Fissner:

      Scholz scheint von sich auf andere zu schließen!