SPD-Plan für Industriepolitik: „Europa fällt zurück“
Die EU muss im globalen Wettbewerb mit China und den USA aufholen, fordert SPD-Chef Lars Klingbeil. Er wirbt für eine europäische Industriepolitik.
![SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil und Europawahl-Spitzenkandidatin Katarina Barley machen einen Selfie. SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil und Europawahl-Spitzenkandidatin Katarina Barley machen einen Selfie.](https://taz.de/picture/6576608/14/33798879-1.jpeg)
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Die war 2008 im globalen Wettbewerb noch der wirtschaftsstärkste Raum. Doch in den vergangenen 15 Jahren habe sich das Bruttoinlandsprodukt der USA und Chinas verdoppelt beziehungsweise verdreifacht, rechnet Klingbeil vor, aber in der EU liege es immer noch auf auf dem gleichen Niveau „Europa fällt zurück“, konstatierte Klingbeil.
In einer europapolitischen Grundsatzrede acht Monate vor der Europawahl forderte der Sozialdemokrat mehr gemeinsame europäische Power. Heißt: mehr gemeinsame Investitionen und Kredite in erneuerbare Energien und Wasserstoff, aber auch in öffentliche Güter wie Sicherheit und eine gemeinsame Energieversorgung. „Es geht darum, dass wir die Kraft von 27 Staaten und 450 Millionen Bürgerinen und Bürgern viel stärker bündeln“, meint Klingbeil.
Klingbeil wirbt für eine europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act. Die USA schafften mit Milliarden gerade Anreize für Investitionen in klimaneutrale Geschäfsmodelle und lockte damit private Investitionen aus aller Welt an. In Südkorea investiere Samsung gemeinsam mit dem Staat rund 230 Milliarden Dollar, um das Land zum größten Chiphersteller der Welt zu machen. Klingbeil fordert auch für die EU ein „neues Zusammenspiel zwischen Markt und Staat“. „Es braucht staatliche Strukturen, die die Kräfte des Marktes in Richtung Dekarbonisierung und Digitalisierung lenken“, so der SPD-Parteivorsitzende.
Unterstützung bekam er von der ehemaligen schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. „Wir brauchen Investitionen in großem Umfang“, sagte die Sozialdemokratin. Sie sieht einen „Backlash“ bei der grünen Transformation, der in ihrem Land bereits stattfinde und sich auch in Deutschland abzeichne. Um dem partiellen Kulturkampf der Rechten auf diesem Feld zu begegnen, sei es wichtig, eine glaubwürdige Politik zu machen, die bei allen Menschen ankomme.
Ukraine Zutritt zum Binnenmarkt gewähren
Doch bekanntlich ist die EU keine Konföderation, sondern ein Verbund von Nationalstaaten, die jeweils eigene Interessen verfolgen und über ihre jeweiligen nationalen Budgets wachen. Woher also das Geld nehmen? Klingbeil fordert Instrumente wie den europäischen Wiederaufbaufonds auf Dauer zu stellen. Der Fonds mit 800 Milliarden Euro wurde als europäisches Konjunkturpaket eingerichtet, um vor allem die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, aber auch um Europa grüner, digitaler und stärker zu machen.
Dabei will Klingbeil Beitrittskandidaten wie die Ukraine, Moldau und die Westbalkanstaaten schneller reinholen. „Ich könnte mir vorstellen, dass man den Beitrittskandidaten den vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt in Aussicht stellt, noch bevor sie volle EU-Mitglieder werden.“ Aus seiner Sicht könnte der Erweiterungsprozess damit flexibler werden und Zwischenschritte ermöglichen. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten hatte auch der französische Präsident Emmanuel Macron einst gefordert, war damit bei Kanzler Olaf Scholz allerdings nicht auf Begeisterung gestoßen.
Vor gut einem Jahr hatte Klingbeil auf der sogenannten Tiergartenkonferenz der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (die direkt neben dem Berliner Tiergarten liegt) noch über die neue Führungsrolle Deutschlands in Europas referiert und dabei glatt vergessen, Frankreich zu erwähnen. Ein Jahr später betonte er, es komme auf das deutsch-französische Tandem an, wenn es darum gehe Führung zu übernehmen – etwa in der gemeinsamen europäische Sicherheitspolitik. Ein Signal auch nach Hamburg, wo zeitgleich die deutsch-französischen Regierungskonsultationen stattfinden.
Die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katarina Barley, widersprach Klingbeil in einem Punkt: Mit Zahlen werde man die Menschen nicht für Europa begeistern. „Man verliebt sich nicht in einen Binnenmarkt“, zitierte sie den französischen Sozialdemokraten und ehemaligen Kommissionspräsidenten Jaques Delors, der diesen Binnenmarkt einst vorangetrieben hatte.
„Wir müssen Europa emotionalisieren“, so Barley. Sie warnte vor dem Rechtsruck in Europa, der im Grunde in Kommission und Rat bereits Fakt sei. Als Korrektiv gebe es nur noch das Parlament. Es klang ein wenig, als sei die SPD bereits wieder im Wahlkampf.
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