SPD-Mitglied und Asylanwältin: Die zwei Rollen der Sonja S.
Ihre Partei hat das Asylrecht verschärft. Als Anwältin klagt die SPD-Abgeordnete Steffen gegen Abschiebungen. Wie passt das zusammen?
Die 53-Jährige aus Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern sitzt für die SPD im Bundestag, für eine Partei also, die gemeinsam mit der Union das Asylrecht immer weiter verschärft hat. Viele dieser Beschlüsse hat Steffen mitgetragen.
Gleichzeitig vertritt sie als Anwältin Nasibullah S. Das ist einer jener 69 Geflüchteten, die vor zwei Wochen nach Afghanistan abgeschoben wurden. Jetzt soll S. – maßgeblich auf Steffens Drängen – nach Deutschland zurückgeholt werden, weil er sich in einem laufendem Asylverfahren befand und gar nicht hätte abgeschoben dürfen.
Wie passen diese beiden Rollen zusammen? „Das ist tatsächlich schwierig“, sagte Steffen zur taz: „Einerseits ist der Druck bei Asylfragen, den wir PolitikerInnen in Deutschland erfahren, sehr hoch. Andererseits sehe ich, mit welchen Anforderungen Geflüchtete zu kämpfen haben.“ Unverständliche Formulare, ärztliche Atteste, die angefordert würden, so was.
Nasibullah S. kam im Herbst 2015 über die Balkanroute nach Mecklenburg-Vorpommern. Hier habe sich der junge, unauffällige Mann, wie ihn Steffen beschreibt, weitgehend integriert. Als sein Asylantrag im Februar 2017 abgelehnt wurde, habe sie im Frühjahr Klage dagegen erhoben. Steffen ist eine der wenigen JuristInnen mit dem Profil „Ausländerrecht“ im Landkreis.
Als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sich bei Steffen vor zwei Tagen nach den Kontaktdaten des 20-Jährigen wegen „einer geplanten Rückführung“ erkundigte, sei das für sie „die beste Nachricht des Tages“ gewesen, sagt Steffen. Vor der Abschiebung habe sie das Sozialamt des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte, dem auch die Ausländerbehörde untersteht, mehrfach über die Klage informiert. Aber wenn der Fehler nun korrigiert würde, sei das „wirklich ein Sieg des Rechtsstaates. Damals ist das Gesetz nicht ordnungsgemäß angewendet worden.“
Kehrt Nasibullah S. demnächst nach Deutschland zurück, kann am 5. September jene Anhörung stattfinden, die er im Juli wegen der Abschiebung verpasst hatte. Dieses Verfahren – von den Geflüchteten „Interview“ genannt – ist der wichtigste Termin im Asylverfahren. Dann soll es unter anderem um einen Brief gehen, der belegen soll, dass S. von den radikalislamischen Taliban bedroht werde und nicht in sein Heimatland zurückkehren könne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!