SPD-Kandidatin Giffey in Berlin: Regierende Kindergärtnerin
Franziska Giffey kann mit Menschen. Sie hat aber auch eine strenge Seite – als Bremserin etwa beim Klimaschutz. Wird sie so Berliner Bürgermeisterin?
„Schön, dass ihr da seid“, sagt Franziska Giffey, als sie mit Olaf Scholz auf dem Berliner Bebelplatz den Straßenwahlkampf der SPD in der Hauptstadt startet. Natürlich lächelt sie. Vermutlich würde sie gerne auch jemanden aus der Menschenmenge auf die Bühne holen, doch das würden ihr die Sicherheitskräfte nicht erlauben. Also geht die 44-Jährige, die mit ihrer Hochsteckfrisur so viel älter wirkt, verbal auf ihr Publikum zu, umgarnt es mit warmen Worten und einladenden Gesten. Zugewandt sei Giffey, heißt es manchmal bewundernd.
Das ist die freundliche Seite der Franziska Giffey. Ihre unfreundliche hat sie vor Kurzem erst den Grünen und Linken gezeigt, mit denen die SPD in Berlin seit 2016 regiert. Kurz vor ihrer Verabschiedung trat die Spitzenkandidatin der SPD die neue Berliner Bauordnung in die Tonne. Zwei Jahre Verhandlungen waren im Eimer, nun gibt es in Berlin keine Pflicht für Dach- und Fassadenbegrünungen. Giffey kann auch Basta.
Lächeln und, wenn es nötig ist, Grenzen setzen. Die ehemalige Schulstadträtin im Berliner Problembezirk Neukölln und spätere Bundesfamilienministerin wirkt auf ihren öffentlichen Auftritten weniger wie eine Politikerin als eine Pädagogin. Wer sich an die Regeln hält, an ihre Regeln, wird belohnt. Das Beispiel mit der Bauordnung zeigt, dass sie auch Rügen verhängen kann. Politik als subtile Kunst des Erziehens. Kein Wunder, dass Giffey vor ihrem Einstieg in die Politik Lehrerin werden wollte.
Giffey hat den Wahlkampf gerockt
Inzwischen ist die Frau, die mit ihrem blauen Kostum von gefühlt jedem zweiten Laternenmast der Hauptstadt auf die Berlinerinnen und Berliner herabschaut, ein Phänomen. Als sie im vergangenen November erst zur Landeschefin der Berliner SPD und dann zur Spitzenkandidatin gekürt wurde, dümpelte ihre Partei mit 15 Prozent vor sich hin. Ganz vorne lagen, scheinbar uneinholbar, die Grünen.
Sollte es zu einer Neuauflage der Koalition zwischen SPD, Linken und Grünen kommen, hieß es damals, müsse man das Bündnis nur von R2G in G2R umbenennen. Im Roten Rathaus säße dann mit Bettina Jarasch eine Grüne.
Inzwischen hat sich die Lage geändert. Zwar liefern Umfragen kein eindeutiges Bild: So sieht die Forschungsgruppe Wahlen in ihrer gerade veröffentlichten Umfrage SPD und Grüne nahezu gleichauf, während etwa bei Civey die Genossen auf 25 Prozent und die Grünen nur auf 15 Prozent kamen. Die Richtung ist aber klar: Die SPD hat in den vergangenen Wochen deutlich aufgeholt.
Giffey hat den Wahlkampf gerockt und den Sozialdemokraten jede Menge Optionen eröffnet. Rot-Rot-Grün gehört nach wie vor dazu, aber auch eine Ampel mit Grünen und FDP sowie eine Deutschlandkoalition aus SPD, CDU und FDP.
Nicht nur bei den Grünen reiben sie sich inzwischen die Augen und fragen: Wie hat die das geschafft? Was ist ihr Erfolgsgeheimnis?
Das Endlich-loslegen-und-anpacken-Wollen
Anders als im Bund und bei Olaf Scholz geht es bei Giffey nicht um Seriosität. Auffallend im Vergleich mit ihren MitbewerberInnen bei Grünen, Linken und CDU ist vor allem die Energie, die sie ausstrahlt, dieses Endlich-loslegen-und-anpacken-Wollen. Wenn sich die Wählerinnen und Wähler dann noch daran erinnern, dass sie auch als Neuköllner Bezirksbürgermeisterin und als Bundesfamilienministerin losgelegt und angepackt hat, erklärt das einen Trend, der wahrscheinlich nicht mit einem Sympathiewert zu verwechseln ist. Man kann Giffey zutrauen, Probleme zu lösen, ohne sie sympathisch finden zu müssen.
Vielleicht ist das die Frage nach der Kür, die die SPD in den vergangenen Wochen hingelegt hat. Aber auch mit ihrem Pflichtprogramm kann sie offenbar punkten. Die Notbremsen beim Klimaschutz und bei der Verkehrswende, die Giffey zuletzt zum Entsetzen der Grünen gezogen hat, mögen in den grünen Hochburgen Friedrichshain-Kreuzberg oder Mitte Stimmen kosten.
Außerhalb des S-Bahn-Rings, da, wo die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner lebt, kommen sie offenbar gut an. Es sind Bezirke wie Spandau, Treptow-Köpenick oder Marzahn-Hellersdorf, die von einem dicht getakteten Netz an U-Bahnen, S-Bahnen und Trams nur träumen können. Es sind aber auch die Bezirke, in denen die Menschen Angst haben, abgehängt zu werden. Mit ihrem Slogan „Ganz sicher Berlin“ will Giffey sie nicht der AfD und der Linken überlassen, sondern sie für die SPD zurückgewinnen. „Sicherheit“, sagt sie im taz Talk am 9. September, „meint sowohl innere als auch soziale Sicherheit.“
Diesen politischen Strategiewechsel, der schon Olaf Scholz bei den Wahlen in Hamburg zum Erfolg geführt hat, haben Giffey und ihr Co-Landesvorsitzender Raed Saleh früh und strategisch klug eingefädelt. Bereits im Herbst vergangenen Jahres hat Saleh im Gespräch mit der taz angedeutet, dass es in Berlin keinen Koalitionswahlkampf geben werde. Stattdessen wolle man den Grünen Grenzen setzen.
Es droht mehr „SPD pur“ in der Regierung
Seitdem vergeht kaum ein Interview, in dem Saleh nicht mit einem Seitenhieb gegen die Grünen ätzt. Mal ist es der Latte macchiato, den sich die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner nicht leisten könne. Mal ist es die Krankenschwester aus Spandau, die nicht mit Bus und U-Bahn zur Arbeit fahren mag, weil es nachts zu unsicher sei. Und nun, so die Erzählung, wollen ihr die Grünen auch noch das Auto wegnehmen.
Giffey selbst ist da weniger polemisch. Im Kern aber geht es beiden um dasselbe. Die SPD so stark machen, dass sie in Gesprächen mit den anderen Parteien nach der Wahl einen Großteil ihrer Forderungen umsetzen kann.
Für die Klima- und Verkehrswende in Berlin wäre das ein Rückschlag. Nicht so sehr, weil die grüne Verkehrs- und Umweltsenatorin Regine Günther einen guten Job gemacht hätte. Vieles von dem, was die Grünen 2016 in die Koalitionsvereinbarung mit SPD und Linken hineinverhandelt haben, ist erst in Ansätzen sichtbar. Am deutlichsten wird das bei den Radwegen. Hätte Corona nicht den Pop-up-Radweg möglich gemacht, würde die grüne Verkehrsbilanz desaströs ausfallen. Nun aber droht bei einer Neuauflage des Bündnisses mehr „SPD pur“ in den Vertrag zu kommen. Kopenhagener Verhältnisse scheinen für Radelnde in Berlin weiter entfernt denn je.
Noch problematischer könnte es werden, wenn Franziska Giffey wahr machen sollte, was ihr Grüne und Linke seit geraumer Zeit unterstellen – und ein Bündnis mit CDU und FDP einginge. Dann droht Berlin wieder eine Betonstadt zu werden, während andere Metropolen wie Paris ihren Vorsprung in Sachen Klimafreundlichkeit ausweiten. Eine „Populistin“ nennt Giffey deshalb die linke Landeschefin Katina Schubert im taz-Interview.
Potentielles Problem für Giffey: Der Volksentscheid
Und die SPD-Basis? Die hält still. Im Wahlprogramm ist der Rechtsruck zwar herauszulesen, aber so wohl dosiert, dass es bei den Genossinnen und Genossen keinen nennenswerten Widerstand gab. Außerdem beflügeln die Umfragewerte auch die SPD-Wahlkämpfer in jenen Bezirksverbänden, die als links gelten, sich aber dennoch über ein gutes Ergebnis – und die damit zu vergebenden Posten – freuen. Geschlossenheit lautet deshalb die Devise. Und abwarten, was die Wählerinnen und Wähler entscheiden.
Ob die SPD dann ihre Politik Grünen und Linken diktiert oder CDU und FDP, scheint derzeit nachrangig. Die Partei hat sich ihrer Spitzenkandidatin ausgeliefert. Im Spielzimmer der Regierenden Kindergärtnerin ist es mucksmäuschenstill.
Noch aber ist die Wahl für Giffey nicht gelaufen. Ausgerechnet die von Mietenexplosion und Verdrängung betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner der Innenstadtbezirke könnten Giffey nach dem 26. September vor eine mission impossible stellen. Sollte die Mehrheit beim gleichzeitig zur Wahl stattfindenden Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ für eine Vergesellschaftung großer privater Wohnungsbestände stimmen, hätte Giffey ein Problem.
In einem Bündnis mit Grünen und Linken hätten dann diejenigen die Oberhand, die nicht wie die SPD alles aufs Bauen setzen, sondern auch auf Regulierung und Rekommunalisierung. Eine Deutschlandkoalition dagegen birgt die Gefahr einer Spaltung der Stadt.
Mit Zugewandtheit und Strenge lässt sich vielleicht ein Kindergarten regieren, aber keine lebendige und oft anarchische Metropole. Vielleicht muss die Kindergärtnerin und Pädagogin Franziska Giffey doch mehr moderieren, als ihr lieb ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“