SPD-Kandidat und Cum-Ex-Skandal: Olaf Scholz und die Steuermillionen
Das Finanzamt Hamburg ließ Forderungen in Millionenhöhe verjähren. Holt der Skandal den Ex-Bürgermeister noch ein?
Mitten im Wahlkampf ist der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz mit zwei Untersuchungsausschüssen konfrontiert. Der eine untersucht seine Verantwortung beim Wirecard-Bilanzskandal, der andere seine Rolle beim Steuerdiebstahl der Hamburger Privatbank MM Warburg. Dabei geht es darum, ob Scholz als damaliger Hamburger Bürgermeister Einfluss auf das Finanzamt genommen hat, um die Warburg-Bank zu schonen. Es ging um eine Forderung von 47 Millionen Euro, die das Finanzamt damals verjähren ließ.
Bei dem Geld handelte es sich um Kapitalertragsteuer aus einem sogenannten Cum-Ex-Geschäft. Im Zuge dessen hat das Finanzamt der Bank Steuern erstattet, die die Bank aber nie bezahlt hatte. Mit Cum-Ex-Geschäften ist der deutsche Fiskus Schätzungen zufolge um 10 Milliarden Euro geprellt worden. Dabei wurden Aktien um den Dividendenstichtag herum mit und ohne Dividende hin und her gehandelt, so dass am Ende schwer nachvollziehbar war, wer Kapitalertragsteuer bezahlen musste.
Der Hamburger Ausschuss muss nun die Rolle der Finanzverwaltung in dem Verwirrspiel der Banker und Juristen klären: Hat sie sich einfach nur ins Bockshorn jagen lassen – oder ist sie vom damaligen Bürgermeister Scholz und dessen Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) dahingehend beeinflusst worden, die Steuerrückforderungen verjähren zu lassen?
Die vom Ausschuss bisher befragten Beamten des Finanzamtes und der Finanzbehörde, also des Ministeriums, beantworteten die zweite Frage mit Nein. Der Verlauf der Ereignisse lässt aber die Vermutung zu, dass die Beamten zwar keinen Anweisungen, aber doch Hinweisen aus dem Senat folgten.
Verdächtige Gedächtnislücken
Scholz hat das von Anfang an abgestritten. Das ging so weit, dass die Senatskanzlei auf Anfrage verneinte, dass sich Scholz mit Christian Olearius, einem der Eigentümer der Bank, getroffen habe. Dabei förderten die Tagebücher des Bankers zutage, dass Olearius drei Mal von Scholz in dessen Amtszimmer empfangen wurde. Scholz wollte sich vor dem Ausschuss an den Inhalt dieser Gespräche nicht erinnern. Dabei fielen sie zeitlich mit wichtigen Sitzungen zum Thema „Steuern zurückfordern oder nicht?“ zusammen.
Bei den ersten beiden Treffen ging es um die Rückforderung der 47 Millionen, die 2016 zu verjähren drohte. Im September schildert Olearius dem Tagebuch zufolge die miserable wirtschaftliche Lage der Bank. Scholz habe nichts versprochen, Olearius auch nichts gefordert. Im Oktober berichtet Olearius noch mal den Sachstand. Die Reaktion des Bürgermeisters glaubt er so auslegen zu können, „dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen“.
Scholz sagt: „Ich habe mich vor und nach den Gesprächen aus den Steuerangelegenheiten bei der Warburg-Bank herausgehalten.“ Die Frage ist, ob das stimmt.
Am 9. November morgens telefoniert er auf eigenen Wunsch mit Olearius. An diesem Tag schickt Olearius ein Schreiben an die für ihn zuständige Sachgebietsleiterin im Finanzamt in Kopie an Tschentscher. Dieser zeichnet das Schreiben, in dem die Bank ihre Rechtsposition schildert, in Grün ab „mit der Bitte um Informationen zum Sachstand“.
Einen Auftritt hat Scholz noch vor dem Ausschuss
Allein der Umstand, dass der Senator informiert werden wolle, könne schon einer Aufforderung gleichkommen, sagte der Grünen-Abgeordnete Till Steffen, Scholz’ ehemaliger Justizsenator im Ausschuss. Jedenfalls fanden die Beamten des Finanzamts für Großunternehmen und der Finanzbehörde im gleichen Zeitraum zu einer Entscheidung. Nachdem die Sachgebietsleiterin die Chancen, mit einer Rückforderung vor Gericht durchzukommen, zunächst in einer längeren Ausarbeitung mit mindestens fifty-fifty taxiert hatte, fiel am 17. November einstimmig die Entscheidung, nicht zurückzufordern.
Ein Aspekt, der den Aussagen zufolge dabei eine Rolle spielt, war die Gefahr, in Amtshaftung genommen zu werden, falls die Bank wegen der Steuerforderung pleitegehen sollte. Diese Gefahr hatten die Eigentümer der Bank allerdings schon im April mit dem Versprechen, mögliche Schulden zu übernehmen, gebannt.
Der zweite Aspekt war die Unsicherheit über den Sachverhalt. Es habe nicht nachverfolgt werden können, wer welche Aktien wann an wen verkauft habe, argumentierten die Beamtinnen in leitenden Funktionen, bis hin zur Chefin der Steuerverwaltung. Die an dem Fall arbeitenden Betriebsprüfer fanden, es reiche schon, dass MM Warburg nicht nachweisen könne, die Steuer bezahlt zu haben. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits die ersten Urteile zur Strafbarkeit solcher Cum-Ex-Praktiken vor.
Im Jahr darauf gab es noch einmal das gleiche Spiel, obwohl das Bundesfinanzministerium die Hamburger gleich zu Jahresanfang anwies, das jetzt in die Verjährung laufende Geld einzutreiben. Bei den Hamburgern kam das gar nicht gut an. Solche Weisungen seien extrem selten und außerdem noch an die dritte Hierarchie-Ebene gerichtet gewesen, sagte Angela Nottelmann, die damalige Chefin der Steuerverwaltung. „Ich habe dem BMF einen Hinweis auf die Kleiderordnung gegeben, das hat auch gewirkt.“
Nottelmann zufolge erklärten sich die Hamburger bereit, die Weisung umzusetzen, wollten darüber aber noch mal mit dem Bund sprechen. Derartige Weisungen sind sehr selten. Die Hamburger hatten Redebedarf. Eine knappe Woche vor dem entsprechenden Termin Mitte November in Berlin besuchte Olearius noch einmal den Bürgermeister, um für seinen Standpunkt zu werben. Bei dem Treffen der Hamburger und Berliner Steuerexperten soll es dann recht lebhaft zugegangen sein. Am Ende fügten sich die Hamburger und forderten die 43 Millionen Euro zurück.
Scholz wird noch einmal vor dem Untersuchungsausschuss erscheinen müssen, um im Lichte neuer Erkenntnisse ein weiteres Mal befragt werden zu können – aber erst nach der Bundestagswahl.
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