SPD-Außenpolitiker zum Ukraine-Krieg: „System Putin kaltstellen“
SPD-Außenexperte Michael Roth fordert harte Sanktionen gegen Oligarchen im Umfeld des russischen Präsidenten. Waffen für die Ukraine schließt er derzeit aus.
taz: Herr Roth, der Angriff auf die Ukraine ist furchtbar. Wollten wir nicht sehen, dass das passiert oder musste man damit rechnen?
Michael Roth: Spätestens seit der schrecklichen Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montag war mir klar: Er verneint das Existenzrecht der Ukraine in Gänze. Und wer ihm genau zugehört hat, hat verstanden, dass er auch die anderen osteuropäischen Staaten infrage stellt, die vor 30 Jahren aus der Sowjetunion hervorgegangen sind. Wir haben alle gehofft, dass es nicht zu diesem Krieg, zu diesem abermaligen schweren Tabubruch kommt. Aber Putin zieht nun durch, und er macht das in aller Kaltblütigkeit, ohne Rücksicht auf Verluste.
Was kommt als nächstes, wie weit geht Putin noch?
Ich kann und will momentan überhaupt nichts ausschließen. Ich hatte immer einen sehr realistischen Blick auf Putin, da habe mich sicherlich auch von manch anderen unterschieden. Aber wir sind in einer Situation, in der es nicht nur um die Ukraine geht. Es geht auch darum, dass Europa als Ganzes destabilisiert werden soll. Ich erinnere daran, dass Putin systematisch versucht hat, die EU-Beitrittsperspektive der Staaten des westlichen Balkans zu torpedieren, und das stellenweise sehr erfolgreich. Russland unterstützt beispielsweise Separationsbestrebungen in Bosnien-Herzegowina. Und jetzt ist der Krieg ins östliche Europa zurückgekehrt. Wir brauchen nun vor allem auch weiterhin geschlossene und entschlossene Antworten auf diese dramatische militärische Eskalation. Es ist Putin in den vergangenen Wochen nicht gelungen, den Westen abermals zu spalten. Diese große Einigkeit ist jetzt unsere stärkste Waffe gegen Russland. Das lässt mich hoffen.
Der 51-jährige SPD-Politiker ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Von 2013 bis 2021 war er Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Seit 1998 ist er Mitglied des Bundestages.
Sie sagen, Sie hatten einen realistischeren Blick als andere. War der russlandfreundliche Kurs der SPD falsch?
Ich finde Freundlichkeit gegenüber den Russinnen und Russen gut, Putinfreundlichkeit hingegen war mir immer suspekt. Solange man die Hoffnung haben konnte, dass man über Gespräche und Dialog auch wirklich etwas erreichen kann, war das vollkommen richtig. Aber Putin hat diese Tür jetzt zugeschlagen und deutlich gemacht, dass er bereit ist, allen westlichen Politikern ins Gesicht zu lügen: Dem amerikanischen Präsidenten, dem französischen Staatspräsidenten und auch dem Bundeskanzler. Es ist Putins Krieg, daher finde ich es unpassend, nun diejenigen zu kritisieren, die sich ernsthaft um Dialog und Deeskalation bemüht haben. Wir sollten nicht die Instrumente der freiheitlichen Demokratien in Misskredit bringen. Dazu gehören stetige Dialogbereitschaft, aber auch Wehrhaftigkeit. Und wir haben ja in den Gesprächen mit Putin von Beginn an deutlich gemacht, dass er mit sehr schmerzhaften politischen und wirtschaftlichen Sanktionen rechnen muss, wenn er die Ukraine angreift. Aber er ist eben auch ein schlimmer Zyniker, dem die Macht über alles geht.
Wie kann man Putin stoppen?
Wir müssen eines akzeptieren: Dieser Typ tickt komplett anders als wir in unseren freiheitlichen Demokratien. Die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen seines Handelns sind ihm ziemlich egal. Putin ist offenkundig bereit, auch hohe Arbeitslosigkeit und massive soziale Verwerfungen in seinem Land in Kauf zu nehmen, zumal die Mehrheit der Russinnen und Russen diesen Krieg überhaupt nicht befürwortet. Wir müssen das oligarchische System Putins finanziell komplett kalt stellen. Den Millionären und Milliardären, die mit Putin reich und mächtig geworden sind und die weiterhin die Privilegien des freien Europas genießen, muss man das Wasser abgraben. Sie schicken ihre Kinder auf Privatschulen in Europa, kaufen Luxuswohnungen in Berlin oder London und machen Skiurlaub in Österreich. Sie müssen jetzt spüren, dass Putin eine Grenze überschritten hat und sein System mit Privilegien für wenige und Armut für viele in Russland an ein Ende gekommen ist.
Reichen wirtschaftliche Sanktionen aus? Oder bedarf es jetzt auch einer militärischen Antwort?
Die USA, die NATO und die EU haben frühzeitig klargestellt, dass wir nicht mit eigenen Truppen in diesen Krieg eingreifen werden, der jetzt leider bittere Wirklichkeit geworden ist. Ich finde es wichtig, sehr rasch gemeinsam mit unseren Partnern in der NATO und der EU zu entscheiden, was wir tun können, um die Ukraine in dieser dramatischen Situation bestmöglich zu unterstützen. Da geht noch mehr.
Was denn?
Vor allem wirtschaftliche und humanitäre Hilfe. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir Menschen, die nun vor Krieg und Zerstörung fliehen, schnell und unbürokratisch helfen. Bislang haben wir ja nur eines ausgeschlossen, nämlich die Lieferung von tödlichen Waffen.
Dabei bleibt es?
Dem nachvollziehbaren Schutzbedürfnis der Ukraine muss Rechnung getragen werden. Deutschland hat bislang aus guten Gründen keine tödlichen Waffen geliefert. Wir müssen sicherlich im Lichte der aktuellen Entwicklungen noch einmal abwägen, ob wir noch weitere Schutzgüter zur Verfügung stellen können. Und zwar eher heute als morgen. Ich möchte darüber aber jetzt keine öffentliche Auseinandersetzung führen. Das hilft am Ende nur Putin, der immer auch den Westen und unsere freiheitliche Demokratie spalten möchte. Er hat keine Angst vor Nato-Soldaten, sondern er fürchtet sich viel mehr vor Kraft von Demokratie und Freiheit in den Staaten des östlichen Europas.
Müssen jetzt auch diplomatische Konsequenzen gezogen werden? Sollte der russische Botschafter ausgewiesen werden?
Das Auswärtige Amt hat den russischen Botschafter gestern einbestellt – in der Sprache der Diplomatie ist das schon ein ziemlich starkes Ausrufezeichen. Wir zeigen Gesprächsbereitschaft und sollten es Putin so schwer wie möglich machen, wieder irgendwelche Lügenmärchen zu erzählen – nach dem Motto, der Westen habe gar kein Interesse an Dialog und Deeskalation. Was mir aber vor allem wichtig ist: Es wäre eine wunderbare Geste der Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern, wenn wir jetzt alle unseren Hintern hochkriegen, auf die Straßen und Plätze gehen und laut rufen: Ihr seid nicht alleine, wir stehen an Eurer Seite.
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