Russlands Krieg gegen die Ukraine: Neue Soldaten für Putin
Mit einer Gesetzesänderung können auch 65-Jährige als Soldaten gegen die Ukraine kämpfen. So treibt Moskau eine verdeckte Mobilisierung voran.
Auf diese Weise kann die russische Staatsmacht trotz der massiven Verluste, von denen die Führung in Moskau nicht spricht, den „Plan“ erfüllen, den der russische Präsident Wladimir Putin aufgestellt hat, ohne diesen je genau zu definieren.
Keiner der 417 anwesenden Abgeordneten enthält sich bei der Abstimmung, niemand ist dagegen. „In Zeiten des Krieges müssen wir komplexe Entscheidungen treffen“, sagt Nikolai Kolomeizew, ein Kommunist. Er benutzt das Wort Krieg, auch wenn dieser in Russland offiziell „militärische Spezialoperation“ genannt werden muss. Er spricht auch von „besetzten Territorien“, um sich sogleich selbst zu korrigieren: „Ach ja, befreite.“ Ein Abgeordneter will die 18-Jährigen davor schützen, zu „Kanonenfutter zu werden, weil sie so jung und unerfahren sind“, wie er sagt. Ein anderer nennt alle über 40-Jährigen „unbrauchbar für den Dienst an der Waffe“. Nach knapp 20 Minuten ist das Gesetz in allen drei Lesungen beschlossen.
Zuvor lag die Obergrenze für Rekruten bei 40 Jahren für russische Staatsbürger und bei 30 Jahren für ausländische. In der Begründung für die Änderung hatte es geheißen, für den Einsatz von hoch präzisen Waffen sowie den Betrieb von Waffen und militärischer Ausrüstung würden hoch professionelle Spezialisten benötigt, und „erfahrungsgemäß“ bestünde diese Spezialisierung erst im Alter von 40 bis 45 Jahren. Vor allem in der medizinischen Versorgung, aber auch für die Instandsetzung der Technik sowie für die Aufklärung brauche es diese Änderung, sagte Andrei Krassow, der Mitinitiator des veränderten Gesetzes.
Die Neuerung ist Teil der verdeckten Mobilmachung in Russland. Da die Führung – so sagen es Beobachter*innen im Land – aus Sorge über fallende Zustimmungswerte für die „Spezialoperation“ und damit auch für den Präsidenten keine Generalmobilmachung ausruft, aber dennoch Nachschub an militärischem Personal braucht, setzt sie auf geschickte Mobilisierung mit anderen Mitteln. Das veränderte Gesetz erlaubt es zum einen, dass die bereits als Freiwillige in der Ukraine Kämpfenden legalisiert werden, zum anderen können dadurch mehr Menschen rekrutiert werden.
Verwandte berichten von verschwundenen Männern
Seit Wochen verschicken die russischen Einberufungsämter Vorladungen mit der Aufforderung, sich mit Pass zur Überprüfung von Daten bei den Behörden zu melden. Manche Männer werden offenbar direkt danach in Busse gesetzt, um in Schützengräben in der Ukraine zu landen, so schreiben es einige der Verwandten solcher Verschwundenen in den sozialen Netzwerken. Auf bunten Flyern, die einige Einberufungsämter verschicken, wird die Arbeit als Vertragssoldat mit den Stichworten „Stabilität, breite Entwicklungsmöglichkeiten, würdiger Lebensstandard und hoher sozialer Status“ angepriesen. Einstiegsgehalt: umgerechnet knapp 400 Euro. Vor allem für schwache Regionen ist das viel Geld. Deshalb finden sich unter den russischen Gefallenen besonders viele Soldaten aus den kaukasischen Republiken, aus Burjatien an der mongolischen Grenze, aus industrieschwachen Gegenden am Ural. Für viele junge Männer aus Dörfern fast ohne Jobmöglichkeiten gilt die Armee als sozialer Lift.
Auch Unternehmen fordern ihre Mitarbeiter auf, sich bei den Einberufungsämtern vorzustellen. So sei es ihnen „von oben“ aufgetragen worden, heiße es oft, berichten russische Exilmedien. Bei ehemaligen Soldaten sollen zuweilen auch Militärangehörige vorbeigekommen sein und ihnen erklärt haben, dass ihre Kenntnisse in der Armee äußerst gebraucht würden.
Viele russische Männer im wehrfähigen Alter verstecken sich vor den Behörden, um nicht in die Ukraine geschickt zu werden. Manche Eltern von bald 18-Jährigen bringen ihre Söhne ganz aus dem Land. Andere zeigen ihren Widerstand gegen die Einberufung mit radikalen Mitteln: Seit der russischen Invasion in der Ukraine brennen quer durch Russland immer wieder Einberufungsämter. Die Behörden sprechen von mindestens 13 Einrichtungen, in die Unbekannte Molotowcocktails geworfen haben sollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos