Russischer Corona-Impfstoff: Als Erste auf der Erde

Russland entwickelt einen Impfstoff nach weniger als zwei Monaten Erprobung. Was steckt dahinter? Fragen und Antworten zu „Sputnik V“.

Lachende Männer in Jogginganzügen

Freiwillig Geimpfte verlassen das Burdenko-Militärkrankenhaus außerhalb von Moskau Foto: Russian Defense Ministry/dpa

Ein Impfstoff gilt als Meilenstein im Kampf gegen das Coronavirus. Nun hat Russland Mitte der Woche ein erstes Vakzin gegen Sars-Cov-2 zugelassen – eine Weltpre­miere. Warum meckern trotzdem alle?

Sputnik V (gesprochen: Sputnik Vau), wie die Russen ihren Impfstoff genannt haben in Anspielung auf den ersten Satelliten im All, den die Sowjets 1957 vor den USA starteten, wurde nach weniger als zwei Monaten Erprobung am Menschen zugelassen. Die Ergebnisse großer klinischer Studien lagen zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Ob der Impfstoff also tatsächlich verträglich und sicher ist, ob und welche Nebenwirkungen er hat und vor allem: ob er Menschen überhaupt vor einer Infektion mit dem Virus schützt, all dies ist weder ausreichend noch abschließend erforscht. Die Angaben der russischen Behörden sind für andere Wissenschaftler zudem nicht überprüfbar: Bislang sind nur dürre Studiendaten publiziert. Dieses Vorgehen widerspricht den international üblichen Kriterien für die Entwicklung von Impfstoffen und der Patientensicherheit.

Wer forscht da an einem Impfstoff in Russland, was ist das für ein Institut?

Den russischen Impfstoff Sputnik V hat das staatliche Gamaleja-Forschungsinstitut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt – innerhalb von zwei Wochen, wie einer der Entwickler, Denis Logunow, mehreren russischen Medien sagte. Es sei nur deshalb so schnell gegangen, weil die Forscher bereits seit drei Jahren an einem Impfstoff gegen MERS (ebenfalls ein Coronavirus) arbeiteten und bestehendes Material für den Sars-CoV2-Impfstoff genutzt hätten.

Andere Quellen sprechen von einer Entwicklungszeit von mehreren Wochen – überprüfen kann dies niemand, und in jedem Fall erscheint die Testphase viel zu kurz, als dass sie belastbare Ergebnisse liefern könnte. Das Institut hat eine lange Geschichte, es wurde im 19. Jahrhundert als „Bakteriologisches Kabinett“ des Bakteriologen Philipp Blumenthal gegründet. 1949 wurde das Forschungszentrum nach dem Tuberkuloseforscher Nikolai Gamaleja benannt. Das Hauptfeld der Forschung liegt auf dem Gebiet der Epidemiologie, der medizinischen und molekularen Mikrobiologie und der infektiösen Immunologie.

Wer finanziert die Impfstoff­forschung in Russland?

Finanziert wurde Sputnik V (auch Gam-Covid-Vac genannt) vom staatlichen Fonds für Direktinvestitionen. Dafür sind laut Fonds-Leitung 4 Milliarden Rubel (knapp 46 Millionen Euro) investiert worden. Mehr als 20 Länder hätten bereits Interesse an dem russischen Impfstoff gezeigt, hieß es aus dem Fonds. Bereits im Januar 2021 soll er in Umlauf gebracht werden.

Welche Rolle spielt Wladimir Putin?

Die Entscheidungen während der Coronakrise waren stets politisch bedingt. Sei es die Verschleierung der statistischen Daten, sei es die verschobene Militärparade zum Ende des Zweiten Weltkriegs, sei es die Abstimmung zur Verfassungsänderung, durch die Putin bis 2036 Präsident bleiben könnte. Auch den Wettlauf um den Impfstoff wollte Russland für sich entscheiden und frohlockt nun mit „Wir sind die Ersten“. Als Vertrauensbeweis präsentierte Putin, der um seine Familie sonst ein großes Geheimnis macht, eine seiner Töchter. Sie sei Teil des Experiments und habe sich ebenfalls mit Sputnik V impfen lassen, erklärte er. Fieber, mehr sei ihr nicht passiert. Der Impfstoff sei sicher und gut erprobt worden, erklärte der Präsident im Staatsfernsehen. Viele Russ*innen reagierten skeptisch.

Gibt es für die Impfstoffforschung eine unabhängige Kontrollinstanz?

Kontrolliert wird die Impfstoffforschung von der staatlichen Gesundheitsaufsicht. Sie weist Kritik an Sputnik V aus dem In- und Ausland entschieden zurück.

Eine Wissenschaftlerin in Schutzanzug hält eine Ampulle hoch.

Der Impfstoff im Gamaleja-Forschungsinstitut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau Foto: Russian Direct Investment Fund/ap

Wie viele Probanden gab/gibt es?

Zunächst wurde der Impfstoff an Primaten getestet. Später an zwei Gruppen à 38 Freiwilligen, viele von ihnen Militärangehörige. Auch der Leiter des Gamaleja-Instituts und einige Entwickler des Vakzins haben sich mit Sputnik V impfen lassen. Nebenwirkungen gebe es kaum. Allen sei es dabei gut gegangen.

Ist der Vorwurf, es handele sich um ein Experiment an Menschen, berechtigt?

Es ist zumindest große Skepsis angebracht. Entsprechend harsch fielen die Reaktionen in dieser Woche aus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mahnte, die Forschung solle „gemäß bewährten Prozessen“ erfolgen. Klaus Cichutek, der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), der deutschen Impfzulassungsbörde, bezeichnete die Entscheidung seiner russischen Kollegen als „riskant“. „Es beunruhigt, dass die Russen solche Maßnahmen und Schritte überspringen“, sagte der Impfwissenschaftler Peter Hotez vom Baylor College of Medicine in Houston dem Fachjournal Nature. Als „unethisch“ bezeichnete ein Vertreter des University College London eine Massenimpfung mit einem nicht ausreichend getesteten Impfstoff. Im schlimmsten Fall könne es sein, dass der Impfstoff den Menschen, denen er verabreicht wird, mehr schadet als nutzt.

Wie läuft die Forschung nach Impfstoffen normalerweise ab?

Impfstoffforschung verläuft in mehreren Stadien. Zunächst wird das Virus analysiert und werden geeignete Bestandteile des künftigen Impfstoffs identifiziert. Anschließend wird an Tieren getestet, ob der Impfstoff wirksam und verträglich ist und wie er dosiert werden sollte, um eine Immunantwort auszulösen.

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Erst danach erfolgen klinische Studien an freiwillig teilnehmenden Menschen. Sie erstrecken sich über drei Phasen, unterschiedliche Probandengruppen und mehrere Monate. In Phase I geht es darum, mögliche schwere Nebenwirkungen zu identifizieren. In diese Studienphase werden nur sehr wenige und ausschließlich gesunde Menschen einbezogen, üblicherweise eine Gruppe im zweistelligen Bereich. In Phase II werden meist einige hundert Menschen geimpft, um zu testen, ob der Impfstoff verträglich ist. Am aufwendigsten ist die Phase III. Hier wird an mehreren Tausend Freiwilligen, darunter auch alte Menschen und Angehörige von Risikogruppen, geprüft, ob der Impfstoff im Alltag tatsächlich vor dem Erreger schützt.

Oft werden die Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt, eine geimpfte und eine ungeimpfte, um die Wirkung vergleichen zu können. Erst danach erfolgt die Zulassung, in Europa durch die EMA (European Medicines Agency) mit Sitz in Amsterdam.

Wie viele Impfstoffe gegen Sars-Cov-2 sind in der Entwicklung?

Nach Angaben der WHO werden weltweit 167 Impfstoffkandidaten entwickelt – ein Rekord. 28 von ihnen befinden sich bereits in der klinischen Erprobung am Menschen; sechs haben bereits die entscheidende dritte und letzte Phase erreicht.

Wie wirken Impfungen generell?

Impfungen täuschen den Kontakt mit einem Krankheitserreger vor. Dabei werden Menschen entweder ungefährlich gemachte lebende Erreger, harmlose verwandte Erreger, tote Erreger oder ausgewählte Moleküle der Erreger gespritzt. Das Immunsystem reagiert, wie es auf echte Erreger reagiert: Es vermehrt die Abwehrzellen und bildet Gedächtniszellen. Im Fall einer echten Infektion kann der Körper dann schnell schützende Antikörper produzieren, das Immunsystem rechtzeitig alarmieren und so den Ausbruch der Krankheit unterdrücken.

Wie funktionieren die einzelnen Impfstoffe gegen Sars-Cov-2?

Die meisten Impfstoffe, die derzeit erprobt werden, zielen darauf ab, das Immunsystem darauf zu trainieren, das sogenannte Spike-Protein zu erkennen, das auf der äußeren Oberfläche des Coronavirus sitzt. Der Körper soll so vorbereitet werden, dass er reagiert, wenn er dem echten Virus ausgesetzt ist. Manche Impfstoffkandidaten werden nur mithilfe des genetischen Codes für dieses Protein hergestellt, andere verwenden einen sogenannten Vektor, also ein harmloses Virus, um die proteinproduzierende Information zu liefern. Daneben gibt es Kandidaten, die aus dem toten Virus hergestellt werden.

Auf welcher Basis funktioniert Sputnik V?

Sputnik V ist ein Vektor-zwei-Komponenten-Impfstoff auf Basis von Adenoviren. Dabei wird ein Träger verwendet, der auf einem anderen Virus (Vektor) basiert, um die genetische Information von Sars-CoV-2 an den menschlichen Körper zu liefern. Die zwei Komponenten sind zwei Arzneimittel, basierend auf zwei leicht unterschiedlichen Adenovirusvektoren. Sie werden zwei Mal im Abstand von drei Wochen injiziert und sollen so die Menschen immunisieren. Für wie lange, wissen nicht einmal die Entwickler.

Wann könnte es einen Impfstoff geben, der internationalen Forschungsstandards genügt?

Bislang heißt es seitens der WHO, dies sei frühestens zu Beginn des Jahres 2021 zu erwarten.

W enn ein solcher Impfstoff verfügbar ist – hat sich die Pandemie dann erledigt?

Leider nein, sagt das RKI und warnt: „Es wäre gefährlich, zum jetzigen Zeitpunkt darauf zu vertrauen, dass mit einer Impfung ab dem Herbst 2020 die Pandemie beherrschbar wird.“ Das Virus könne mutieren. Denkbar sei auch, dass die Immunreaktion, die durch die Impfung ausgelöst wird, nur von kurzer Dauer sein werde. Dies könne den Nutzen von Impfungen relativieren.

Wie geht es jetzt in Russland weiter?

Unabhängig von der jetzigen Zulassung soll in Russland offenbar parallel eine dritte Testphase anlaufen. Mit wie vielen Probanden, an welchen Orten und unter wessen Aufsicht – all dies ist unbekannt. Im Oktober sollen Risikogruppen geimpft werden – vor allem medizinisches Personal, Lehrer und ältere Menschen. Es soll freiwillig geschehen. Doch „freiwillig“ ist in Russland Definitionssache.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Ausgabe dieses Textes hieß es, das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin habe am Mittwoch bekanntgegeben habe, dass vorläufige Prognosen die Verfügbarkeit eines Impfstoffs bis Herbst 2020 möglich erscheinen ließen. Das RKI hat diese Mitteilung jedoch wieder zurückgezogen. Das Papier sei nicht mehr auf dem neuesten Stand, teilte das Institut mit. Es sei nur versehentlich aufgrund einer Kommunikationspanne im Internet veröffentlicht worden.

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