Schulstart trotz Corona in Russland: Unsicherer Start ins Schuljahr

Im September geht auch in Russland der Unterricht wieder los. Doch wie genau der aussehen soll, entscheidet jede Schule in Eigenregie.

Mädchen sucht sich mit der Mutter eine Schuluniform aus

In Jekaterinburg wird wenige Tage vor der Einschulung eine Schuluniform ausgewählt Foto: Donat Sorokin/imago

MOSKAU taz | „Es wäre eine Tragödie für meine Tochter, wenn sie nicht wieder in die Schule gehen könnte“, sagt Maria. Die Moskauerin, die ihren Nachnamen nicht veröffentlicht sehen möchte, hat in den vergangenen Monaten das erlebt, was so viele Familien quer durch die Welt durchmachen mussten: wenn plötzlich die Schulen geschlossen sind und die Büros ihre Angestellten auffordern, von zu Hause aus zu arbeiten, wenn das Internet nicht funktioniert und alle Familienmitglieder gleichzeitig an einer Zoom-Konferenz teilnehmen sollen.

Sie hat erlebt, wie gut die Digitalisierung im Klassenzimmer mittlerweile manchmal klappt und wie schlecht so manche Lehrer*innen ihren Schüler*innen den Stoff zuweilen vermitteln. Corona-Alltag eben. Samt ständigen Fragen: Wann wird’s wieder „normal“? Und was ist „normal“ überhaupt?

Nun dürfte Marias Tochter, 16 und ganz wild aufs Lernen, tatsächlich wieder in ihren Klassenraum im Norden Moskaus zurückkehren. Am 1. September startet russlandweit der reguläre Schulunterricht. Eigentlich. Denn das Bildungsministerium legt zwar die Richtlinien für die Rückkehr fest, wie diese aber umgesetzt werden, entscheidet die jeweilige Schule.

So soll in der Region Tscheljabinsk am Ural möglichst viel draußen unterrichtet werden, in der Region Pskow, im Nordwesten, müssen die Kinder erst einmal einen Eingangstest über das im Fernunterricht Gelernte bestehen.

Corona-Hotspot Moskau

Auch in Moskau, dem Corona-Hotspot des Landes mit immer noch täglich knapp 700 Fällen an Neuinfizierten, öffnen die Schulen. Der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin gab vor einigen Tagen vor, wie das zu geschehen habe: mit einem Schichtbetrieb, täglicher Desinfektion und täglich mehrmaligem Lüften der Klassenräume.

Schule startet: Deutschland hat den Schulstart im Corona-Jahr bereits weitgehend hinter sich. Am oder kurz nach dem 1. September startet nun in vielen Ländern weltweit das Schuljahr. Viele Regierungen zögern jedoch mit einer Rückkehr zum Alltag – niemand möchte die Fehler Israels oder Australiens wiederholen. Dort wurden die Kinder zu früh wieder zusammen in die Schulen gesteckt, eine zweite Coronawelle war die Folge.

Schule startet nicht: Bleiben die Schulen geschlossen, fällt für Millionen Schüler:innen der Unterricht aus. Weil es keine stabile Internetverbindung gibt, weil die Familien keine oder nicht genügend Computer oder Smartphones haben. Ein Drittel aller Schulkinder weltweit, vermeldete Unicef vergangene Woche, blieb im Lockdown von Bildung ausgeschlossen: mehr als 463 Millionen Kinder und Jugendliche.

Das taz-Dossier: Die taz bringt zum globalen Schulstart 2020 Berichte unserer Korresponent:innen aus den USA, Brasilien, Uganda, den Niederlanden, China und weiteren Ländern. Alle Texte gebündelt finden Sie nach und nach hier.

Die Lehrer*innen sollen nur mit einem negativen Coronatest unterrichten, alle, die eine Schule betreten, sollen auf Fieber getestet werden. Masken und Desinfektionsmittel sollen bereitstehen. Nur die traditionellen 1.-September-Feiern mit Aufführungen auf dem Schulhof in feierlicher Uniform, samt Blumen für die Lehrerin, entfallen – wie überall im Land.

Wie diese geforderten „Anti-Covid-Maßnahmen“ umgesetzt werden, entscheidet auch in der Hauptstadt jeweils die Schulleitung. Für Maria und ihren Mann Nikolai ist das, wie für so viele Eltern, ein Problem.

„Wir wissen immer noch nichts, nicht, ob der Unterricht startet, nicht, wann unsere beiden Kinder in der Schule zu erscheinen haben, nicht, ob sie Maske tragen sollen oder ein Teil des Unterrichts doch noch online stattfindet.“ Keine Mail des Direktors, keine Planungssicherheit.

Kinder mit unterschiedlichen Präferenzen

Maria, die Bücher über russische Prominente schreibt, würde beide Modelle bevorzugen: Präsenzunterricht und Schule im Online-Format – „weil meine Kinder so unterschiedlich mit Stoffvermittlung umgehen“.

Für ihren elfjährigen Sohn, der sich mit Stillsitzen im Klassenraum schwertue und nicht gern etwas an der Tafel erkläre, könne sie sich weiterhin „Schule per Zoom“ vorstellen, wie sie sagt. Das lasse ihn entspannter ans Thema Schule herangehen. Die 16-jährige Tochter aber brauche ihre Clique, brauche den unmittelbaren Kontakt zum Lehrer und zur Lehrerin. „Ihr fiel der Fernunterricht unfassbar schwer.“

Kaum war in Moskau Privatunterricht wieder möglich, schrieb die Teenagerin sich für zusätzliche Französischstunden ein. Hauptsache, endlich mal wieder „normal lernen“, erklärte sie ihren verblüfften Eltern.

Sorgen um eine Infektion macht sich die Familie nicht. Sorgen um eine Impfung dagegen schon. Russland hat mit Sputnik V den weltweit ersten Corona-Impfstoff registrieren lassen. Ab Anfang September soll es den Impfstoff in den Moskauer Kliniken geben. „Ich fürchte, der Schaden durch die Impfung könnte größer sein als durch das Virus“, sagt die 45-jährige Maria. „Wir warten. Auf die Schule genauso wie auf einen Impfstoff – aus ausländischer Produktion.“

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