Russische Reaktionen auf Verhandlungen: „Frieden versprechen und schießen“

Die russische Öffentlichkeit ist über die Verhandlungen in Istanbul gespalten. Alle Seiten relativieren die Ansage einer militärischen Beruhigung.

Russischer Verhandler Medinski mit ukrainischem Verhandler Arakhamia in Istanbul Foto: Handout/Ukrainian Foreign Ministry Press Service/AP

MOSKAU taz | In den Hauptnachrichten des russischen Staatssenders Erster Kanal lächelt die Moderatorin nahezu triumphierend, als sie die Meldungen des Tages verliest. Die russisch-ukrainischen Verhandlungen in Istanbul nennt sie einen Durchbruch. Ein wichtiger Kompromiss sei gefunden worden. Endlich habe die Ukraine Dokumente mit klaren Formulierungen vorgelegt: die Neutralität der Ukraine, die Abwendung Kiews von einem Nato-Beitritt. Gegen einen EU-Beitritt der Ukraine, so heißt es wiederum, habe Russland nichts einzuwenden.

Mehrere Minuten widmet die Sendung den „Verhandlungen in der Sonne vom Bosporus“. Der russische Verhandlungsführer Wladimir Medinski spricht dabei von der „Verringerung der Aktivitäten der russischen Armee bei Kiew und Tschernihiw“ und beeilt sich sogleich zu sagen, dass es sich dabei keineswegs um einen Waffenstillstand handele. Der Stalin-Verehrer erklärt vor der Kamera den vermeintlichen Durchbruch. „Wir verstehen nun, wie wir uns zu einem Kompromiss hin bewegen können. Die weiteren Schritte liegen an Kiew.“ Das klingt nicht nach dem Erfolg, den das Staatsfernsehen zu verkaufen versucht.

Der Kremlsprecher Dmitri Peskow widerspricht dann auch am Tag darauf diesen Durchbruchszenarien. Die Position Russlands sei „allseits bekannt und logisch“, sagt er. Geändert habe sich daran nichts. „Wir fahren mit der Arbeit fort, Emotionen überlassen wir unseren Widersachern.“ Die Position Russlands sei die „Denazifizierung“ und die „Demilitarisierung“ des Nachbarlandes. So hatte es Putin in seiner hasserfüllten Rede am 24. Februar formuliert, mit der er den Marschbefehl für die sogenannte „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine gab. Medinski hatte das Wort „Denazifizierung“ vor den Kameras in Istanbul nicht mehr in den Mund genommen. Zuvor hatte er sich mehrfach beklagt, dass Kiew nicht darüber verhandeln wolle.

Indem Russland stets betont, nicht von seinen Zielen abzurücken – und die Ziele sind nach wie vor „die Befreiung des Donbass“, auch wenn die russischen Truppen die gesamte Ukraine bombardieren – wirft die angebliche Annäherung von Istanbul viele Fragen auf. Zumal es sich dabei lediglich um ukrainische Vorschläge handelt, auf die Moskau noch nicht offiziell reagiert hat. Es bleibt unklar, wie die von Kiew geforderten Sicherheitsgarantien anzuwenden wären. Die Staaten, von denen eine solche Sicherheitsgarantie abhinge (unter anderem Großbritannien, die Türkei, Frankreich), würden ähnliche Risiken tragen wie bei einem Nato-Beitritt der Ukraine.

Pawel Lusin, Militärexperte aus Russland

„Eine Zermürbungs­taktik: Sie versprechen Frieden und schießen weiter“

Auch fordert Kiew, dass die russischen Truppen sich auf die Stellungen von vor dem 24. Februar zurückziehen. Was genau das für den Donbass, aber auch für Gebiete wie Cherson oder Mariupol hieße, ist aus russischer wie auch aus ukrainischer Sicht völlig unklar. Die Krim solle zunächst ausgespart werden, sagt Kiew. Moskau hält die Krim für „nicht verhandelbar“, weil es „russisches Territorium“ sei.

Der russische Militärexperte Pawel Lusin hält den russischen Auftritt in Istanbul für ein Ablenkungsmanöver Moskaus. „Es kann eine Zermürbungstaktik sein“, sagte er dem in Russland blockierten russischen Online-Medium The Insider. „Sie versprechen Frieden und schießen weiter. Solange Russland seine Truppen nicht abzieht und die Bombardierungen nicht einstellt, darf man an keine Aussagen aus Russland glauben.“

Die kriegsbefürwortenden „Patriot*innen“ in Russland relativieren Medinskis Aussagen ebenfalls, nur aus einer anderen Warte. Der „verrückt gewordene“ Verhandlungsführer sei nicht ernst zu nehmen. „Verräter! Bescheuerter Demokrat! Zum Teufel mit ihm!“, kommentieren Nut­ze­r*in­nen im Staatssender RT den „Durchbruch“ von Istanbul.

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