Ruprecht Polenz zur CDU nach Thüringen: „Meine CDU lebt von der Kritik“

Der einstige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz fordert die Parteiführung auf, die Werteunion aufzulösen. Diese sei eine „Partei in der Partei“.

fredrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer

Zwei, die finden, bei ihnen sei die CDU in guten Händen: Merz (l.) und Kramp-Karrenbauer Foto: Wolfgang Kumm/dpa

taz: Herr Polenz, was bedeuten die Vorgänge in Erfurt für die Große Koalition in Berlin?

Ruprecht Polenz: Ich finde es gut, dass der Koalitionsausschuss über die Vorkommnisse in Thüringen sprechen wird. Es wird deutlich werden, dass nicht nur die Bundespartei, sondern auch alle anderen Landesverbände der CDU das Vorgehen der CDU Thüringen nicht gutheißen. Das sollte ausreichen, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der SPD fortzusetzen.

Dass die Thüringer CDU gemeinsam mit der AfD den Fünf-Prozent-Kandidaten der FDP ins Amt wählen würde, war seit Tagen ein denkbares Szenario. Warum hat die Bundes-CDU das nicht kommen sehen und das verhindert? Fehlt da der Draht in die Landesverbände?

Die CDU-Landesverbände sind sehr autark und entscheiden selbst. Sowohl über Koalitionen als auch über Wahlkämpfe und Personal. Die Bundespartei hat da nur indirekten Einfluss. Den hat sie versucht zu nutzen, wie wir von Frau Kramp-Karrenbauer gehört haben. Aber den Ratschlägen, Bitten und Wünschen der Vorsitzenden ist die Thüringer CDU nicht gefolgt. Anordnen, befehlen konnte die Bundes-CDU nichts. Sie hat aber jetzt die Möglichkeit, Druck auszuüben, damit der Schaden begrenzt wird. Auch die Thüringer Freunde sehen ja, welches Echo ihr Verhalten gefunden hat, zu recht wie ich finde. Sie haben sich verrannt.

Welche Möglichkeiten haben denn Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr Generalsekretär Paul Ziemiak?

Die öffentliche Meinung ist ja eindeutig, auch die Rückmeldungen aus den anderen CDU-Landesverbänden sind das. Das wird seine Wirkung nicht verfehlen. Falls doch, wird sich das CDU-Präsidium weitergehende Maßnahmen überlegen müssen. Am Ende – aber soweit wird es nicht kommen müssen – könnte die Suspendierung der Mitgliedschaft eines ganzen Landesverbandes stehen.

Selbst wenn die CDU-Führung die Thüringer wieder einfängt, steht doch eine Radikalisierung des Landesverbandes zu befürchten. Wie kann das verhindert werden?

Ruprecht Polenz, 73, war von 2005 bis 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und von April bis November 2000 Generalsekretär der CDU.

Meine gesamte Partei muss jetzt ein paar Fragen grundsätzlich klären. Und ja, das kann dazu führen, dass einige unsere Partei verlassen. Das würde ich nicht ausschließen. Aber wenn die CDU nicht dramatisch in der Mitte Wähler verlieren will, muss sie das Vertrauen aller Wählerinnen und Wähler wiedergewinnen. Die müssen ausschließen können, in irgendeiner Weise die AfD zu befördern, wenn sie uns ihre Stimme geben. Das ist die große, die wichtigste Aufgabe, vor der meine Partei jetzt steht.

Annegret Kramp-Karrenbauer gilt als angeschlagen. Nun hat Friedrich Merz erklärt: „Ich werde mich in den nächsten Wochen und Monaten noch stärker für dieses Land engagieren.“ Ist das der lange erwartete Angriff auf die Parteivorsitzende?

Das hoffe ich nicht. Ich denke, er will seine Kompetenzen einbringen…

…das will er aber schon ziemlich lange.

Ja, aber ich finde es immer in Ordnung, wenn sich jemand in der Partei engagieren möchte. Wichtig ist, dass Friedrich Merz das als Teamplayer macht. Da muss er jetzt schauen, welchen Platz in der Partei er findet. Er sollte auch aus den kritischen Kommentaren, die ihn im letzten Jahr begleitet haben, lernen und vermeiden, dass sein Engagement als Angriff auf die gewählte Parteiführung wahrgenommen wird.

Erst das Land, dann die Partei, dann die Person – ist dieses Prinzip der Bescheidenheit mit Erfurt obsolet?

Nein, das gilt nach wie vor. Es gibt da gar keinen Widerspruch, wenn man die Interessen der jeweiligen Ebene richtig definiert. Allen gemeinsam ist doch, dass wir den Einfluss einer faschistischen Partei zurückdrängen müssen, und zwar für das Land, für unsere Partei und auch für uns alle als Bürger.

Die Werteunion freut sich über die Vorgänge in Thüringen und twittert: „Herzlichen Glückwunsch, Thüringen!“ Ist da eine Tea-Party-Bewegung innerhalb Ihrer Partei entstanden?

Die Kanzlerin, unsere Parteivorsitzende, Bayerns Ministerpräsident Söder – alle haben von einem schlechten Tag für Deutschland und für Thüringen gesprochen. Mit Recht. Aber was da passiert ist, ist genau das, was die Werteunion seit Wochen als ihr Ziel propagiert hat. Deshalb freut sie sich jetzt über das eingetretene Desaster. Das muss die CDU jetzt ernster nehmen als bisher. Bisher war man ja der Meinung, das sind nur ein paar wenige, die so denken, das könne man so laufen lassen. Inzwischen ist die Werteunion als Partei in der Partei organisiert – mit Ortsverbänden, Landesverbänden und einem Bundesvorstand. Das zerstört den Charakter der CDU als Volkspartei.

Warum? Ist die CDU zu schwach für innerparteiliche Kritiker?

Nein, natürlich nicht. Eine lebendige Partei lebt auch von Kritik. Es geht um etwas anderes. In allen Vereinigungen – Junge Union, Senioren Union, Frauen Union – sind immer alle politischen Strömungen der CDU gemeinsam vertreten. Sonst könnten wir sie nicht integrieren. Es gibt da immer eine Mischung aus sozial, liberal und konservativ gesonnenen CDU-Mitgliedern, und die verständigen sich auf einen gemeinsamen Kurs. Wenn wir uns jetzt aber entlang einzelner politischer Strömungen organisieren, zerreißt es uns als CDU. Das müssen wir endlich erkennen und entsprechend handeln. Die Bundespartei hat ja schon einmal die Werteunion und die Union der Mitte aufgefordert, ihre Aktivitäten einzustellen. Die Union der Mitte ist dieser Bitte nachgekommen, die Werte Union hat gesagt: Juckt uns überhaupt nicht, was die gewählte CDU-Führung sagt. Es ist jetzt Zeit, dass die Parteiführung dieser Aufforderung nach Auflösung der Werte Union Nachdruck verleiht.

Herr Polenz, Sie werden gerne von Kritikern als nicht mehr sprechfähig für die CDU Deutschlands gesehen. Was antworten Sie darauf?

Ich kann natürlich nicht für „die CDU“ sprechen, das kann nur die Bundesvorsitzende. Ich spreche als Person, die nahezu fünfzig Jahre CDU-Mitglied ist und für diese Partei Mandate wahrgenommen hat und die sich um diese Partei gelegentlich Sorgen macht. Dass meine Äußerungen Resonanz finden, mag daran liegen, dass sich viele innerhalb und außerhalb der Partei in dem wiederfinden, was ich sage. Und das freut mich natürlich.

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