Rundgang durch ein Plattenbauviertel: Meer aus Hochhäusern mit Zukunft
Kurze Wege, Infrastruktur und Grünanlagen: Das DDR-Hochhausquartier im Ortsteil Fennpfuhl erfüllt die Ansprüche an modernen Städtebau.
Das Quartier am Fennpfuhl in Lichtenberg ist vielen (West-)Berliner*innen kein Begriff. Dabei handelt es sich bei dem Ortsteil zwischen dem S-Bahnhof Storkower Straße und dem Jüdischen Friedhof Weißensee um einen der am dichtesten besiedelten Berlins. Das kann man an den Wochenenden sehen, wenn man auf dem Anton-Saefkow-Platz, einem zentralen Ort im Karree, unterwegs ist.
In der gut besuchten Eisdiele gönnen sich Passant*innen ein Softeis, im populären wie alteingesessenen Bäckerei-Café Plötners ein Stück Kuchen. Es gibt ein indisches und ein vietnamesisches Restaurant, kleine und größere Läden, einen Supermarkt, eine Sparkassen-Filiale, die Lichtenberger Stadtbibliothek. Und einen Springbrunnen, in dem sich an heißen Tagen Kinder vergnügen. Der Anton-Saefkow-Platz ist von bis zu 25 Stockwerken hohen Plattenbauten geradezu umzingelt.
Der im Wesentlichen in den 1970er Jahren hochgezogene Wohnkomplex Fennpfuhl war die erste zusammenhängende Plattenbau-Großsiedlung der DDR und Vorläufer der großen Wohngebiete in Marzahn und Hellersdorf. Mit seiner Kombination aus Wohnhäusern, sozialer Infrastruktur und öffentlichem Raum könnte der Fennpfuhl auch ein Beispiel für die städtebaulichen Herausforderungen der Gegenwart sein.
Von 1972 an entstanden hier über 15.000 Wohnungen. Dazu kamen Schulen, Kitas, Gaststätten, eine Poliklinik, zwei Schwimmhallen, ein Kaufhaus – und eine große Parkanlage. Ursprünglich sollten mal 50.000 Menschen hier wohnen. Die Zahl wurde nie erreicht. Heute zählt der Ortsteil rund 35.000 Bewohner:innen.
Auf Rundgang mit Katrin Lompscher & Co
„Man hatte zu DDR-Zeiten alles“, fasst es Stadtplaner Georg Balzer zusammen, der gemeinsam mit der Diplomingenieurin für Städtebau und ehemaligen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) auf Einladung des Bildungsvereins Helle Panke gut 40 Interessierte an einem schwülheißen Samstagnachmittag kenntnisreich durch das Wohnquartier führt.
Das Kaufhaus hieß zu DDR-Zeiten „Konsument Warenhaus“ und überlebte die Wende bis 2008, als die Kaufhof AG das Ring-Center am S-Bahnhof Frankfurter Allee bezog. Nach einem langen Ausverkauf stand der Viergeschosser zwei Jahre leer, bis er zu einem Wohnhaus mit 85 Wohnungen umgebaut wurde: ein durchaus gelungenes Beispiel für die Nachnutzung eines ehemaligen Kaufhauses. Ironie der Geschichte: Derzeit findet der Ausverkauf im Galeria-Kaufhaus im Ring-Center statt, die Filiale wird im August schließen.
Das Besondere an dem Quartier ist die nach innen gerichtete Bauweise. Die einzelnen Wohnviertel wirken wie eine frühe Form heutiger Kiezblocks, zwischen ihnen gibt es nur wenige kleine Durchgangsstraßen, die weitläufigen Innenhöfe sollten den Bewohner*innen vorbehalten bleiben. Tatsächlich sind sie zumindest heute teilweise menschenleer. Abgesehen natürlich von der 40-köpfigen Truppe, die mit praktischen Headsets ausgestattet den Referent*innen hinterherläuft.
Vor der Bebauung in den 1970er Jahren befand sich hier ein Kleingartengebiet, in dem sich der Jude Hans Rosenthal vor den Nazis versteckt hielt. Der junge Rosenthal entkam so dem Holocaust. Heute weist eine ebenfalls versteckte Infotafel auf den späteren Fernsehmoderator und seine drei mutigen Helferinnen hin.
„Fennpfuhl war mein Baby“
Balzer und Lompscher wechseln sich in kurzen Abständen ab, immer öfter melden sich auch Zeitzeugen wie Dieter Rühle zu Wort. „Fennpfuhl war mein Baby“, sagt der Zeitzeuge. Rühle war als verantwortlicher „Komplexarchitekt“ im Volkseigenen Wohnungsbaukombinat Berlin an der Planung und Umsetzung des Wohnkomplexes Fennpfuhl beteiligt.
Der DDR-Jargon zieht sich auch durch die gesamte Führung, die einer Zeitreise gleicht. Balzer, Lompscher und Rühle fachsimpeln über Plattenbauten vom Typ WBS 70, Kinderkombinationen und Betonformsteine. Die Versorgung mit Kindereinrichtungen „war üppig bei uns“, sagt Rühle nostalgisch. Kinder konnten zu Fuß in die Kita gehen, ohne große Straßen überqueren zu müssen. Alles sollte in 15 Minuten zu Fuß erreichbar sein.
Der Fennpfuhlpark ist das Herzstück des Viertels. 1.200 Bäume stehen hier, die DDR hat damals zudem 2,5 Millionen Mark in Kunst im öffentlichen Raum investiert. Ob diese immer gelungen ist, darüber lässt sich streiten. Der Park inklusive eines prägnanten überdimensionalen Kunstwerks ist ein Handlungsort in der TV-Serie „Nackt über Berlin“ von 2023, eine Coming-out-Geschichte von Axel Ranisch, der in Lichtenberg in einem Plattenbau groß wurde.
Die Grünanlage mit See und großer Wasserfontäne – hier werden im Winter, wenn es denn möglich ist, Eishockey gespielt oder Pirouetten gedreht – ist ein beliebtes Naherholungsgebiet, auch für Flaneur*innen aus dem benachbarten Friedrichshain. Parkranger*innen sind so gut wie immer im Park unterwegs. Und handzahme Eichhörnchen lassen sich mit Nüssen füttern, ein Spaß für Jung und Alt.
„Vollkomfortwohnung“ statt „Bretterbuden“
Zu Beginn der Bebauung seien die Leute froh gewesen, aus den „Bretterbuden“ in eine „Vollkomfortwohnung“ zu kommen, sagt Balzer. „Kontingentträger“ hätten die Wohnungen an verschiedene Bevölkerungsgruppen vergeben und nicht etwa nur an Funktionär*innen, dadurch habe es eine soziale Durchmischung gegeben. Andere Zeitzeug*innen wissen sich gleichwohl zu erinnern, dass der Anteil von Mitarbeiter*innen der „Organe“ – Volkspolizei, NVA, Ministerium des Innern und Ministerium für Staatssicherheit – in der Nachbarschaft exorbitant hoch war. Aber gut, Erinnerungen.
Ein Nachteil war die lange Bauzeit, was hauptsächlich am morastigen Baugrund lag. Rund 90 Prozent der Wohnungen wurden zwar bis Ende der 1970er Jahre bezogen, das Zentrum am Anton-Saefkow-Platz mit Kaufhaus, Kaufhalle & Co konnte aber erst Mitte der 1980er Jahre fertiggestellt werden.
Zum Ende der Führung beginnt es zu regnen. „Der Fennpfuhl ist ein innenstadtnahes, hervorragendes Wohngebiet“, sagt Lompscher zum Abschluss, es gebe mehr Grün und mehr Kunst als in anderen Ostberliner Vierteln. Das wünscht sich Lompscher auch für die Zukunft, denn „Berlin trägt 15 Stadtquartiere vor sich her“. Jedes geplante Quartier bräuchte eine eigene Taskforce, findet Lompscher, die projektbezogen und fachübergreifend arbeitet und die wichtigsten Schritte priorisiert, von der Verkehrsplanung über Infrastruktur und Begrünung bis zum Wohnungsbau.
Katrin Lompscher, Linke, Ex-Stadtentwicklungssenatorin
Apropos Verkehrsplanung: Ursprünglich sollte das Wohngebiet am nördlichen und östlichen Rand mit einer Stadtautobahn beglückt werden. Weiter südlich wäre die sogenannte C-Tangente direkt am Ministerium für Staatssicherheit vorbeigeführt worden. Ein No-Go für Erich Mielke. Der Stasi-Minister persönlich soll interveniert haben. Teile der freigehaltenen Trasse wurden dann mit Wohnblöcken bebaut. Das hält Lompscher auch für eine gute Idee mit Blick auf die Fläche, auf der eigentlich die A100 verlängert werden soll. Der 17. Bauabschnitt der A100 soll übrigens ausgerechnet in Fennpfuhl enden, die Storkower Straße würde dann zur Schnellstraße werden.
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