Run auf fossile Brennstoffe: Im Loch weiter graben
Das Ende des fossilen Zeitalters wurde oft beschworen – allein es ist nicht in Sicht, auch nicht bei der Klimakonferenz in Dubai. Im Gegenteil.
Mit dem Ende des Erdöls ist es ein bisschen wie mit dem Ende der Welt. Immer wieder soll es passieren – und dann kommt es doch nicht. Der britische Geologe Colin John Campbell berechnete den Peak Oil, den Höhepunkt der weltweiten Ölproduktion, zunächst für 1989, dann für 2003, dann für 2010.
Doch die Welt steht auch heute nicht ohne Öl da. Im Gegenteil: Immer mehr Öl- und Gasfelder werden gefunden. Vor allem durch technische Fortschritte wie das Fracking und die Tiefseeförderung kann Öl heute immer leichter gefördert werden.
Doch angesichts der Klimakrise warnen etwa die Internationale Energieagentur (IEA) und der Forschungsverbund Tyndall Centre der University of Manchester: Kein einziges neues Öl- oder Gasfeld darf mehr erschlossen werden. Denn schon in den Feldern, die aktuelle ausgebeutet werden, liegen mehr Brennstoffe, als verfeuert werden dürften, wenn man die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad noch erreichen möchte.
Die NGO Oilchange International schreibt in einem Report vom September dieses Jahres, dass Regierungen auch bereits produzierende Felder schließen müssten. „Trotz eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse, die uns sagen, was uns jenseits von 1,5 Grad erwartet, planen die sogenannten Klimachefs ein Klimachaos“, sagt Romain Loualalen von Oilchange. „Es ist ganz einfach: Wenn man in einem Loch steckt, ist der erste Schritt, mit dem Graben aufzuhören.“
Immer weiter neue Projekte
Laut dem von über 80 Expert:innen verfassten Bericht von Oilchange International überschreiten die heutigen Pläne der globalen Energieindustrie für die Ölförderung bis zum Jahr 2030 das 1,5-Grad-konforme Restbudget um 29 Prozent, jene für die Gasförderung sogar um 82 Prozent.
Zudem sind Öl- und Gasplattformen immer eine Gefahr für die Ökosysteme, in denen sie stehen. Die Plattformen im Meer verschmutzen das Gewässer mit Chemikalien und Rohöl, immer wieder kommt es zu Chemie- oder Ölunfällen, durchschnittlich einmal am Tag.
Trotzdem werden weiter immer neue Projekte wie das britische Rosebank-Ölfeld genehmigt. Denn Öl und Gas sind noch immer eine gute Einnahmequelle. Nach der Coronapandemie stieg der Preis explosionsartig, von 41 US-Dollar pro Barrel im Jahr 2020 auf 100 US-Dollar in 2022. Viele Ölkonzerne verzeichneten 2023 so ihre höchsten Profite überhaupt.
Shells Gewinn verdoppelte sich gegenüber 2021 auf fast 40 Milliarden US-Dollar – das beste Geschäftsergebnis seiner Geschichte. Auch BP verdoppelte seine Gewinne auf rund 28 Milliarden US-Dollar, jene von Total stiegen um fast 30 Prozent, auf 20,5 Milliarden US-Dollar.
Anstatt auf erneuerbare Energien umzuschwenken, nutzten die Konzerne ihre Rekordgewinne weiter für die Ausbeutung fossiler Brennstoffe, heißt es in dem Report „The Dirty Dozen“ des Hamburger Analystenbüros EnergyComment. Die Mehrheit der europäischen Ölmultis plant demnach, die Ausbeutung der Vorkommen bis 2030 konstant zu halten oder sogar zu steigern. Gleichzeitig sinken ihre Investitionen in saubere Energien, wie etwa bei BP, Equinor, Wintershall Dea und Total.
Die Nachfrage ist weiter da
Denn die Nachfrage nach Öl und Gas ist da – und das Geschäft damit wollen sich die Konzerne nicht entgehen lassen. Während die Preise durch Krisen wie den Ukrainekrieg steigen, bohren die Unternehmen immer tiefer und an neuen Orten.
Länder wie Südafrika, Namibia oder Mosambik, wo bisher kaum gefördert wurde, geraten ins Visier der Ölmultis. „Anstatt ihnen die Chance zu geben, eine Energiezukunft auf Basis von erneuerbaren Energien auszubauen, treiben die Öl- und Gaskonzerne diese Länder in die langfristige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen“, schreibt die NGO Urgewald.
Für die Entdeckung neuer Reserven investierten laut der Global Oil & Gas Exit List (Gogel) 384 Unternehmen zwischen 2021 und 2023 durchschnittlich mindestens 10 Millionen US-Dollar pro Jahr. Unter den sieben größten Explorationsunternehmen sind gleich drei chinesische Firmen, auch ein europäischer Ölmulti ist dabei: Shell. Der Konzern mit Sitz in London gab in den vergangenen zwei Jahren jeweils rund 2 Milliarden US-Dollar für die Suche nach neuen Öl- und Gasfeldern aus.
Auf den ersten Plätzen: USA, Kanada, Russland
230 Milliarden Barrel Öläquivalent, die Maßeinheit für die in Heizstoffen vorhandene Energie, wollen die Unternehmen laut Gogel aus bisher unerschlossenen Feldern fördern. Zum Vergleich: 2022 wurden weltweit insgesamt rund 33 Milliarden Barrel Öl gefördert. Laut der Internationalen Energieagentur liegen die weltweiten Reserven 2021 bei rund 1,9 Billionen Barrel. Mit dem neuen Öl und Gas soll die weltweite Gaskraftwerkskapazität um 30 Prozent wachsen, die LNG-Exportkapazität sogar um 162 Prozent.
Die NGO Oilchange International hat ausgerechnet, dass von 2022 bis 2025 allein durch die geplante Förderung von neuem Öl und Gas etwa 70 Gigatonnen CO2 freigesetzt werden könnten. Das ist fast so viel, wie der Energiesektor in fast zwei Jahren ausstößt. Diese Menge würde etwa 17 Prozent des verbleibenden globalen Kohlenstoffbudgets für das 1,5-Grad-Ziel verbrauchen.
Die größten Expansionspläne haben laut Gogel unter anderem Gazprom, TotalEnergies und ExxonMobil. An fünfter Stelle steht die Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc), deren Vorstandsvorsitzender Sultan al-Jaber die diesjährige Klimakonferenz in Dubai leitet. Und das, obwohl Abu Dhabi seine COP-Präsidentschaft in Dubai nutzen wolle, um „1,5 Grad in Reichweite zu halten“, wie al-Jaber schreibt.
Gegen die Konzerne sind wegen der Gefährdung des 1,5-Grad-Ziels viele Klagen anhängig. Neu hinzu kam in diesem Jahr eine Klage des US-Bundestaats Kalifornien gegen fünf Öl- und Gaskonzerne, darunter Shell und BP. Kalifornien macht geltend, dass diese maßgeblich zum Klimawandel beitragen und die Öffentlichkeit über Risiken getäuscht hätten. So trügen die Ölmultis eine Mitschuld an der Verstärkung von Extremwetterereignissen wie Dürren oder Waldbränden.
Hoffnung auf Gerichte
Ein bekanntes Beispiel für Klagen gegen neue Fossilprojekte aus Deutschland ist die des Naturschutzbundes (Nabu) gegen das LNG-Terminal vor Rügen. Der Nabu ist der Meinung, dass die mit dem Bau verbundenen Umweltzerstörungen in keinem Verhältnis zum Nutzen für die Allgemeinheit stehen. Den Eilantrag zum sofortigen Baustopp hatte das Bundesverwaltungsgericht abgelehnt, doch hält der Nabu an der Klage fest. Der Ausgang des Rechtsstreits ist offen.
Die Klage zeigt, dass auch die Regierungen bei der Ressourcenausbeutung eine wichtige Rolle spielen, auch, weil sie über Steuereinnahmen vom Fossil-Business profitieren. Die USA sind dabei Spitzenreiter. Sie sind für mehr als ein Drittel der bis 2050 geplanten Öl- und Gasförderungen verantwortlich, so Oilchange International.
Erst im März 2023 genehmigte die US-Regierung die Ausbeutung des umstrittenen Willow-Ölfeldes in Alaska. Auf veröffentlichten Bildern ist bereits die Plattform zur Untersuchung der Ölvorkommen zu sehen. Inmitten von schier endlosem Eis und Schnee sieht sie fast verloren aus – einige kleinere Gebäude bilden ein Rechteck, in der Mitte ragt ein Turm in die Höhe. In den nächsten 30 Jahren sollen dort rund 600 Millionen Barrel Öl aus der Erde gepumpt werden. Das ist etwas weniger als die Menge, die Deutschland in einem Jahr an Erdöl verbraucht.
Auch im Süden der USA boomt die Förderung von Erdöl und Erdgas. In Texas gibt es Ölförderregionen, die immer wieder für tot erklärt wurden. Zurzeit läuft es dort aber so gut wie schon lange nicht mehr. Besonders das Gas wird massenweise aus der riesigen, flachen braunen Landschaft geholt.
Hinter den USA dürfte – laut Oilchange International – Kanada auf Platz zwei landen. Das nordamerikanische Land könnte bald für 10 Prozent der geplanten Expansionen weltweit verantwortlich sein. Unter Premierminister Justin Trudeau genehmigte oder subventionierte die Regierung große neue Pipelines, LNG-Exportprojekte sowie neue Öl- und Gasfelder wie das Bay-du-Nord-Projekt. An dritter Stelle folgt Russland.
Die Reichen zuerst
Das Tyndall Centre der University of Manchester hat Vorschläge für einen gerechten globalen Ausstieg aus Öl und Gas entwickelt. Demnach müssten die reichen Länder mit dem Ausstieg beginnen. Sie hätten genug Geld, um einen gerechten Übergang für betroffene Arbeitnehmende und Gemeinden zu finanzieren. Bereits 2034 sollten sie aus der Öl- und Gasproduktion aussteigen, fordert der Bericht. So bliebe den ärmsten Ländern für den Ausstieg noch Zeit bis 2050.
Und schon jetzt müssten die reichen Länder ihre Produktion aber bis 2030 um 74 Prozent reduzieren. „Die wohlhabenden Länder haben die Mittel, um den Übergang schnellstmöglich zu vollziehen, und sie haben die moralische Pflicht, dies zu tun“, sagt dazu der Abgeordnete Saber Hossain Chowdhury aus Bangladesch. Das Land ist vom Klimawandel besonders schwer getroffen. „Gleichzeitig sind sie verpflichtet, die Länder des Globalen Südens mit Finanzmitteln und Technologien zu unterstützen.“
Doch danach sieht es nicht aus. Die Länder mit den größten Expansionsplänen sind alle wohlhabend – USA, Kanada, Australien, Norwegen und das Vereinigte Königreich.
„Wir rasen mit weit aufgerissenen Augen auf eine Katastrophe zu. Es ist an der Zeit, aufzuwachen und aufzustehen“, warnte UN-Generalsekretär António Guterres im Juni. Um eine Klimakatastrophe abzuwenden, müssten die Länder aus fossilen Brennstoffen aussteigen.
Um einen geregelten Ausstieg aus der Öl- und Gasförderung zu schaffen, wurde bei der COP26 in Glasgow im Jahr 2021 die Beyond Oil and Gas Alliance (Boga) gegründet. Doch ihr haben sich bisher nur 13 Länder oder Teilstaaten angeschlossen: Costa Rica, Dänemark, Frankreich, Portugal, Grönland, Quebec, Schweden, Irland, Tuvalu, Vanuatu, Wales, die Marshall-Inseln und Washington State. Was all die Mitglieder gemeinsam haben: Sie haben nur eine kleine Öl- und Gasindustrie. Länder, die viel Öl und Gas produzieren, bleiben dabei, die Ressource auch zu fördern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin