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Rücktritt von Joe ChialoEinzig richtige Konsequenz

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Der Berliner Kultursenator ist mit Vorschusslorbeeren gestartet – und hat so ziemlich alles versenkt, was man in der Berliner Politik versenken kann.

Schluss mit lustig: Joe Chialo ist als Berliner Kultursenator zurückgetreten Foto: Fabrizio Bensch/Reuters

W er aus dem Ausland einst nach Berlin kam, tat das vor allem aus zwei entscheidenden Gründen: preisgünstige Mieten und ein grandioses Kulturangebot. Das mit dem Billig-Wohnen ist in der Hauptstadt schon länger vorbei – das mit der Kultur könnte bald auch so sein. Denn Joe Chialo hat sich, seit er vor zwei Jahren Kultursenator wurde, von der Finanzbehörde eine Kürzungsorgie für die gesamte Kulturbranche diktieren lassen: Theater, Opern, Kinos, Musik- und Tanzeinrichtungen, alle müssen sparen. Die Berliner Kunst- und Kulturszene muss 2026 mit weniger als 149 Millionen Euro auskommen und 2027 noch einmal mit 164 Millionen Euro.

Das sind fette Brocken – und das ist eine Fehlinterpretation der Aufgabe eines Kultursenators. Der hat Kunst und Kultur nicht nur zu schützen, sondern weiter auszubauen und bestenfalls für internationale Aufmerksamkeit zu sorgen. Aber Chialo machte genau das Gegenteil davon, er verteidigte das Sparen. Das ist so, als würde eine Bauministerin den Abriss von Wohnungen beklatschen, obwohl allerorten Wohnungen fehlen.

Dass Chia­lo nun zurückgetreten ist, ist die einzig richtige Konsequenz. Dabei bietet Berlin – Sparmaßnahmen hin oder her – so ziemlich alle Möglichkeiten, als Kultursenator zu brillieren. Chialos Startbedingungen waren auch nicht schlecht, zumindest hatte er als Musikmanager einige Vorschusslorbeeren.

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Zudem sind Quereinsteiger in der Politik offenbar gerade willkommen. Aber es reicht eben nicht, wenn man in einem Bereich zwar Expertise mitbringt, aber das politische Geschäft nicht beherrscht – und zudem beratungsresistent ist und nicht kommunizieren kann (oder will). Wer sich so leicht über den Tisch ziehen lässt wie Chialo und es sich offenbar mit nahezu allen Verbündeten verscherzt, kann keine so wichtige Behörde leiten. Vor allem nicht in einer Zeit, in der Kunst und Kultur zum politischen Kulturkampf umgedeutet werden. Der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer dürfte jedenfalls neue, unangenehme Maßstäbe setzen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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17 Kommentare

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  • Cialo sieht die Notwenigkeit Schulden abzubauen. Prima, das sollten mehr Politiker in dieser Stadt kapieren, die mit 66,8 Milliarden Euro verschuldet ist. Wow, wie haben die das denn hingekriegt, 1100 Prozent mal mehr Schulden als die Sachsen bei ähnlicher Einwohnerzahl?

    Na ja, das Problem mit Chialo ist, dass er antisemitischen Akteuren im Kulturbetrieb keine Förderung zukommen lassen wollte.

    Böse, böse, ein Anti-Antisemit im Berliner Kulturbetrieb. Das geht gar nicht. Prompt folgten Drohungen und Attacken auf Cialo und seine Familie. Wie das halt so ist in Deutschland, wenn man eine gewisse Szene gegen sich hat. Violence is the answer. Wie so einige andere, die es wagen den Mund aufzumachen, stehen Chialo und seine Familie jetzt unter permanentem Polizeischutz.

    Chialo hätte gut in den Job als Kulturstaatsminister gepasst. Da sind wir dann doch ein wenig enttäuscht von Merz.

    www.zdf.de/nachric...-konflikt-100.html

  • "Das ist so, als würde eine Bauministerin den Abriss von Wohnungen beklatschen, obwohl allerorten Wohnungen fehlen."

    Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich: Es ist ja nicht so, dass es in B zuwenig kulturelle Angebote gäbe.

  • Der CDU ist eben der Weiterbau der A100 oder der TVO wichtiger als der Erhalt von Kulturstätten oder von Brücken. Für beide gilt: Sparen muss als politisches Ziel machbar sein, aber in angemessenem Zeitrahmen.



    Bei Kultur: Nicht innerhalb eines Programmjahrs.



    Bei Brücken: Rechtzeitige Sanierungsausgaben (und Verzicht auf Streusalz oder zu schwere LKW!) erspart kostspielige Neubauten.

    • @meerwind7:

      Zum letzten Punkt: Seit wann ist die CDU in der Regierung?

  • Naja, der Vergleich mit der Bauministerin und den Wohnungen hinkt doch arg, mangelt es doch sehr an Wohnungen, aber nicht so sehr an subventionierter Kunst (oder was sich dafür hält)

    • @Samvim:

      Ho, ho, ho. Mit solchen Sätzen können Sie sich als Kultursenator bei der CDU bewerben!



      Dann habe ich noch einen anderen für Sie:



      Ist das auch politisch neutral oder kann das weg? ...

  • Minus 1,6Mrd liest sich erstmal viel, die Kürzung wäre dann bei 3,7Mio Einwohnern ca. 430€ pro Einwohner verteilt auf zwei Jahre. Wenn man jetzt mal Zahlen hätte, wie hoch der Etat denn vor Kürzung war und wie hoch er im Vergleich zu anderen Groß- und Landeshauptstädten ist.



    So weiß man ja nicht, ob nur auf höchstem Niveau gejammert wird oder ob es für die Kultur wirklich bedrohlich ist.

  • "Das mit dem Billig-Wohnen ist in der Hauptstadt schon länger vorbei"



    Das ist Ansichtssache. Richtig ist, dass Mieten in Berlin extrem angezogen haben und das bei Neuvermietungen in Berlin kein Schnäppchen mehr zu holen ist - bei Bestandsmieten ist Berlin aber oft immer noch unverhältnismäßig günstig🤷‍♂️



    Im innerdeutschen Vergleich rangiert Berlin sowieso noch hinter Frankfurt, Hamburg, Stuttgart und natürlich München...



    Und wenn man europäische Hauptstädte vergleicht, dann lohnt es sich einen Blick nach Amsterdam, Rom, London, etc zu werfen, bevor man in Hysterie verfällt - Berlin ist immer noch ein ziemlich billiges Pflaster verglichen mit dem kulturellen und öffentlichen Angebot das es für seine Bewohner bereithält.

    • @Farang:

      Sie hätten sich wenigstens die Mühe machen können kurz zu den Mieten zu recherchieren. Berlin hat zb Hamburg längst abgehängt

      de.statista.com/st...dten-deutschlands/

      • @Usch Bert:

        Das sind Mietpreise für Neubaumieten. Die Durchschnittsmiete ist in Berlin bei Berücksichtigung von Altverträgen viel niedriger als in Hamburg.

        • @Šarru-kīnu:

          Kurz gesagt: eine Stadt, die nur Alteingesessenen diesen Vorteil der günstigen Mieten bietet. Neue müssen blechen. :P

      • @Usch Bert:

        Bitte machen Sie sich doch wenigstens die Mühe und lesen eine Statistik durch bevor Sie sie verlinken...



        Es geht bei Ihrer Statistik um das "Mietpreis-Ranking" bei Neubauten.



        Steht unten im hellgrau gedruckten.



        Das deckt sich genau mit meiner Aussage das "bei Neuvermietungen in Berlin kein Schnäppchen mehr zu holen ist", gibt aber null Auskunft in Bezug auf Bestandsmieten, die laut mir in Berlin "oft immer noch unverhältnismäßig günstig" sind.



        Ich habe genügend Freunde die mit alten Mietverträgen immer noch für 6 bis 8 Euro in Friedrichshain-Kreuzberg wohnen.

        • @Farang:

          Ihren Freunden seien die alten Mietverträge gegönnt. Nur helfen niedrige Bestandsmieten niemandem, der in Berlin eine Wohnung sucht, keinen WBS hat und dann mit Quadratmetermieten von 15 bis 25 € konfrontiert wird. (Wenn man "WBS erforderlich" ausklammert, ist das nämlich ungefähr das, wass Immoscout anbietet.)

          • @Django:

            Das sind nunmal die Realen Kosten für Neubau. Unter 18 Euro können selbst Genossenschaften nicht vermieten weil:

            Bauland ist teuer



            Baumaterial ist teuer



            Handwerker sind teuer und schwer zu bekommen



            Vortschriften sind in den letzten 30 Jahren wie Unkraut gewuchtert.

            Die Zeiten des günstigen Wohnens sind dauerhaft vorbei und kommen nie wieder. Ein Single in der Innenstadt der auf 50qm lebt und normal verdient was global eine Anomalie ist wird es auch in Deutschland.

          • @Django:

            Sanierte Wohnungen 15-20€ der qm und Neubauten 20-25€ der qm werden zu diesen Preisen angeboten, weil billiger nicht mehr zu bauen ist🤷‍♂️



            Extrem gestiegene Rohstoffpreise, deutlich gestiegene Lohnkosten und eine uferlose Bürokratie gepaart mit teils aberwitzigen Klimaschutzauflagen sind die maßgeblichen Gründe hierfür.



            Das können Sie daran abprüfen, dass auch außerhalb den Städten mit akutem Wohnungsmangel Vermietungen in Neubauten kaum günstiger angeboten werden...



            Der Gierfaktor ist tatsächlich eine eher kleinere Größe in diesem Potpourri.



            Natürlich wollen Vermieter und Wohnungsbaugesellschaften Gewinn erwirtschaften und natürlich schlagen sie in umkämpften Städten gerne auch den ein oder anderen Euro drauf - aber die größten Anteile an den explodierenden Mietkosten haben die von mir oben genannten Faktoren.

    • @Farang:

      Jetzt kommen sie den Leuten nicht mit Fakten.

      • @Machiavelli:

        Tschuldigung, kommt nicht mehr vor 🫣😇