Rückstellungen der Atomkonzerne: Entwarnung nach Atom-Stresstest
Das Wirtschaftsministerium beruhigt: Die Konzerne haben genug Geld für die Atom-Folgekosten. Doch es bleiben Fragen.
Am Wochenende wurde das Gutachten veröffentlicht, bewusst zu einem Zeitpunkt, als die Börsen geschlossen hatten. Denn im Wirtschaftsministerium herrscht offenbar große Sorge, dass der Stresstest die Betreiberkonzerne weiter schwächen könnten. Als Mitte September erste Teilergebnisse des Gutachtens in die Öffentlichkeit drangen, brachen die Börsenkurse der Atomfirmen massiv ein.
Nun soll der Stresstest Entwarnung geben. Zum Jahresende 2014 hatten die deutschen Atomkonzerne in der Summe 38,3 Milliarden Euro an entsprechenden Rückstellungen in ihren Bilanzen. Dem stehen nach Einschätzung der Gutachter zu aktuellen Preisen Rückbau- und Entsorgungsverpflichtungen in Höhe von 47,5 Milliarden Euro gegenüber. Diesen Kostenüberhang sehen sie allerdings nicht als Problem, weil das Vermögen der Konzerne hoch genug sei, um auch diese Summe zu zahlen.
Aber es bleiben Unsicherheiten, auf die die Gutachter – im Unterschied zum Ministerium – zum Teil explizit hinweisen. So ist die Kostenschätzung für das Endlager für hochradioaktiven Müll von 8,3 Milliarden Euro nach Ansicht der Gutachter „veraltet“ und daher „unbefriedigend“. Dennoch beruhen die Berechnungen auf diesem Wert.
Sechs verschiedene Szenarien
Außerdem weiß niemand, wie sich Kosten, Zinsen und Vermögenswerte der Unternehmen in Zukunft entwickeln werden. Aus diesem Grund haben die Gutachter sechs verschiedene Szenarien durchgerechnet, die eine gewisse „Bewertungsbandbreite“ ergeben . Im ungünstigsten Szenario errechneten sie Einen Finanzbedarf von 77,4 Milliarden Euro. „Praxisfremd“ nannten die Atomkonzerne dieses Szenario am Samstag in einer gemeinsamen Erklärung.
In diesem Fall wären die Rückstellungen nämlich tatsächlich zu gering. Und dennoch versuchen die Wirtschaftsprüfer und das Ministerium alle Befürchtungen zu zerstreuen, das Geld könnte knapp werden. Sie rechnen vor, dass das Vermögen der Unternehmen, das zur Finanzierung der Entsorgung herangezogen werden könnte, in der Summe bei aktuell 83 Milliarden Euro liegt, und damit höher ist als die Entsorgungskosten selbst im ungünstigsten Szenario.
Diese Aussage ignoriert allerdings, dass die Konzerne dafür fast ihr gesamtes Vermögen aufwenden müssten und damit praktisch keine Mittel mehr für ihren Geschäftsbetrieb übrig blieben. Zum anderen bezieht sich die Angabe auf alle Konzerne zusammen. Offen bleibt damit, ob das Vermögen auch bei jedem einzelnen Betreiber ausreicht, um die maximalen Entsorgungskosten zu decken. Offiziell begründet wird dieses Versäumnis damit, dass das Gutachten keine Geschäftsgeheimnisse veröffentlichen dürfe.
Grüne fordern öffentlich-rechtlichen Fonds
Außerdem werden Szenarien, in denen das gesamte Geschäftsmodell der Konzerne weiter erodiert – in der Vergangenheit hat dieses durch die Kraftwerksüberkapazitäten und den Strompreisverfall schon erheblich gelitten – nicht ausreichend behandelt. Im Gutachten ist lediglich erwähnt, dass zur Bedienung der Entsorgungskosten „der künftige Nettozahlungsstrom aus dem gesamten Vermögen“ der Unternehmen zur Verfügung stehe. Was aber passiert, wenn dieser weiterhin abnimmt? Die Gutachter warnen darum am Schluss ausdrücklich: „Aus diesen Feststellungen kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Finanzierung der künftigen Entsorgungskosten sicher ist.“
Eine erste Reaktion aus der Opposition auf das Gutachten kam von Sylvia Kotting-Uhl, der atompolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag. Sie liest aus dem Gutachten „eine gute und eine schlechte Nachricht“ heraus. Die gute: Noch sei die Situation nicht ausweglos und noch lasse sich die Gefahr abwenden, dass dem Steuerzahler hohe Milliardenkosten der Atombranche aufgehalst werden.
Andererseits zeige der Stresstest aber auch, dass „das bisherige System der Rückstellungen mit großen Unsicherheiten behaftet und schlicht nicht tragfähig ist“. Nötig sei nun „schnellstens ein öffentlich-rechtlicher Fonds, in den die AKW-Betreiber einzahlen müssen – unter Beibehaltung ihrer Finanzierungspflicht.“ Merkel und Gabriel müssten sich jetzt entscheiden ob sie Anwälte der Steuerzahler oder Komplizen der Konzerne sind.
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