Rückführungen in den Iran: Abschiebestopp aufgehoben
Die Menschenrechtslage im Iran bleibt wegen Hinrichtungen, Folter und Willkür katastrophal. Deutschland will dennoch wieder dorthin abschieben.
Für Abschiebungen in den Iran gilt damit von nun an nur noch eine zielstaatsbezogene Sonderreglung: Asylanträge von politisch besonders gefährdeten Menschen gehen in ein beschleunigtes Verfahren. Der Personenkreis ist jedoch stark begrenzt: Die Regelung gilt nur für diejenigen, die unter anderem nachweisen können, „in besonders herausragender und langjähriger Weise in der Menschenrechts- oder Oppositionsarbeit aktiv“ gewesen zu sein, schreibt die Pressestelle des Bundesinnenministeriums (BMI) auf Rückfrage der taz.
Normale Asylverfahren für einen dauerhaften Aufenthaltstitel in Deutschland waren für Iraner*innen zwar nie ausgesetzt, aber sie waren während des generellen Abschiebestopps nicht notwendig, um zumindest vorübergehend einer Abschiebung zu entgehen. Von nun an müssen alle schutzsuchenden Iraner*innen wieder individuell beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihre Asylgründe glaubhaft machen – im Zweifel, und wenn finanziell überhaupt möglich, auf dem Rechtsweg.
Wie schwer das im Einzelfall ist, zeigen aktuelle Grundsatzurteile des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Schleswig. Dem Berufungsantrag eines Mannes aus der im Iran diskriminierten arabischen Minderheit der Ahwazi wurde zwar stattgegeben. Allerdings nur, weil er namentlich als Mitorganisator einer Demonstration auf der Website einer Menschenrechtsorganisation genannt war, die sich für die Belange der Ahwazi einsetzt. Das könne ihm als regimekritisch ausgelegt werden, heißt es in der Pressemitteilung zum Urteil.
Eine Zugehörigkeit zu den Ahwazi allein hätte hingegen nicht für den Erhalt einen Schutzstatus genügt. „Trotz zahlreicher faktischer Diskriminierungen und Einschränkungen“ für die Ahwazi „würden diese eine verfolgungsrelevante Schwelle nicht überschreiten“, heißt es in der Mitteilung weiter.
Westlicher Lebensstil kein Schutzgrund
In einem anderen Urteil lag die Messlatte noch höher. Der Antrag einer Frau wurde abgelehnt: trotz Konversion zum Christentum, trotz Teilnahme an irankritischen Demonstrationen in Deutschland, trotz Arbeitsplatz und der Weigerung, Kopftuch zu tragen. Das Gericht urteilte, „dass der ‚westliche‘ Lebensstil der Klägerin nicht auf einer identitätsprägenden Überzeugung beruhe“ und dass deshalb nicht mit „beachtlicher Wahrscheinlichkeit“ eine Gefahr der Verfolgung für sie ausgehe.
Für die Autorin und Aktivistin Sanaz Azimipour sind Urteile wie dieses „absurd“, sagt sie. Als Teil des Women*-Life-Freedom-Kollektivs Berlin unterstützt Azimipour iranische Aktivist*innen im Exil, organisiert Demonstrationen, macht Bildungs- und Vernetzungsarbeit. „Wer flieht nicht aus politischen Gründen?“, fragt sie und erklärt, die Flucht aus dem Iran sei immer „auch die Flucht vor dem Regime“.
Vor dem iranischen Regime flohen besonders im Jahr 2022 viele Menschen. Laut Statistischem Bundesamt kamen in jenem Jahr genauso viele Menschen (rund 22.000) aus dem Iran nach Deutschland wie in den Jahren 2021 (13.000) und 2020 (9.000) zusammen.
Nach dem Mord an Jina Mahsa Amini im September 2022 durch die iranische Sittenpolizei flammten landesweite Proteste auf, die von den iranischen Sicherheitsbehörden und den iranischen Revolutionsgarden brutal niedergeschlagen wurden. Hunderte Menschen starben, tausende wurden verhaftet, gefoltert und zum Teil hingerichtet.
„Im Gefängnis droht Vergewaltigung, Folter, Willkür“
Der jetzt ausgelaufene Abschiebestopp war eine Reaktion darauf und wurde zunächst von einigen Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Bremen und Thüringen in Eigenregie verhängt. Darüber hinaus hat die IMK im Dezember 2022 erstmals einen bundesweiten Stopp der Abschiebungen in den Iran beschlossen. Im Sommer 2023 verlängerte sie diesen mit Verweis auf die immer noch gravierende Menschenrechtslage. Dennoch wurden Asylanträge vieler Iraner*innen seither abgelehnt.
Azimipour vermutet, dass Deutschland wohl „auch im Fall von Jina gesagt hätten, es sei für sie nicht gefährlich zurückzugehen“. Besonders vor dem Hintergrund fehlender Rechtsstaatlichkeit im Iran sei die Bedeutung einer Abschiebung dorthin jedoch nicht zu unterschätzen, erklärt sie. „Es ist nicht so, dass du in den Iran abgeschoben wirst und wieder zu deinem normalen Leben übergehst.“
Bereits die Ausreise aus der Islamischen Republik sei illegalisiert und ein Haftgrund, sagt Azimipour. So würden selbst Menschen, die freiwillig zurückgehen, weil ihnen hier die Perspektive fehlt, bei ihrer Rückkehr zum Teil verhaftet. Besonders gefährdet seien auch Menschen, die hier in Deutschland in den letzte Monaten und Jahren auf Solidaritätsdemos mit den Protesten im Iran waren. „Denen drohen im Gefängnis Vergewaltigung, Folter und Willkür“, so Azimipour.
Menschenrechtslage im Iran verschlechtert sich
Wie katastrophal die Menschenrechtssituation für Regimekritiker*innen und gesellschaftliche Minderheiten im Iran aktuell ist, unterstreichen aktuelle Zahlen: Bis Oktober 2023 gab es mehr als 600 Hinrichtungen, viele in Verbindung mit den zurückliegenden Protesten. Erst letzte Woche wurden wieder mehrere Oppositionelle hingerichtet.
Auch Azimipour bewertet die Menschenrechtslage als hochgefährlich: „Nach dem Urteil gegen Hamid Nouri in Schweden sind Vergeltungen absehbar – besonders gegen Menschen, die irgendwie einen Europabezug haben.“ Bedroht sind laut Azimipour etwa Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft oder solche, die hierher geflüchtet sind.
Auch das Auswärtige Amt, dessen jährliche Lageberichte maßgeblich für die Asylentscheidungen des BAMF sind, sieht diese Gefahren. Die Pressestelle erklärt auf taz-Anfrage, die „Menschenrechtssituation im Iran war schon vor den Protesten im Herbst 2022 desolat und hat sich seitdem weiter verschlechtert.“ Besonders betroffen seien Frauen, LGBTIQs sowie Oppositionelle. Ihnen drohe staatliche Unterdrückung und Alltagsdiskriminierung.
Nach der Niederschlagung der Proteste im Herbst 2022 durch „massive Repression gegen die Zivilgesellschaft“ würden nun „zahlreiche Protestteilnehmende zu hohen Haftstrafen verurteilt“ sowie „Todesurteile verhängt und vollstreckt“, so das Auswärtige Amt weiter. Die Bundesrepublik habe deshalb die diplomatischen Beziehungen heruntergefahren und sich „für weitreichende EU-Sanktionen gegen die Verantwortlichen eingesetzt“.
Bundesländer können sich nicht einigen
Warum wurde der Stopp der Abschiebungen in den Iran dennoch nicht verlängert? Für die Verlängerung hätte es Einstimmigkeit unter den Ländern und die Zustimmung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der letzten IMK im Dezember 2023 gebraucht. Es kam jedoch nicht einmal zur Debatte, da das Thema auf der Vorkonferenz im November keine Mehrheit fand.
Auf taz-Anfrage haben sich nur wenige Länder dazu positioniert, wie sie einem verlängerten Abschiebestopp gegenüberstehen. Einige Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, sprachen sich dafür aus, dass aufgrund der Menschenrechtslage auch weiter nicht in den Iran abgeschoben werden dürfe.
Das Staatsministerium Bayern hingegen teilte mit, dass es „tendenziell zurückhaltend“ gegenüber Abschiebestopps sei und die Einschätzungen des BAMF für „hinreichend und passgenau halte“. Das Innenministerium Sachsen-Anhalt meldete zurück, dass ein Abschiebestopp aufgrund der niedrigen Annahmequote von Asylanträgen iranischer Staatsangehöriger nicht „zwingend“ sei.
„Keine langfristige Perspektive“
Für Azimipour zeigt das Auslaufen des Abschiebestopps „die deutsche Scheinsolidarität“: „Trotz vieler Solidaritätsbekundungen aus der Politik bekommen die meisten Iraner*innen hier keine langfristige Perspektive. Wie kann es sein, dass über 50 Prozent, die es hierher geschafft haben, wieder abgelehnt werden?“, fragt sie.
Ein verlängerter Abschiebestopp ginge aus ihrer Sicht nicht weit genug. „Ein Abschiebestopp heißt nichts für dein soziales Leben. Als abgelehnte, geduldete Person ist dein Status scheiße. Du hast kein Recht auf Arbeit oder Bildung“, sagt Azimipour. Was es aus ihrer Sicht stattdessen bräuchte, sind humanitäre Visa und aufenthaltsrechtliche Erleichterungen in der Asylpolitik – „die Verwaltung könnte sich, wie gegenüber den Ukrainer*innen ebenso gruppenbezogen ausrichten“.
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