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Rot-Grün in NiedersachsenMit Karacho in die Koalition

In Niedersachsen hat sich Rot-Grün auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Grünen bekommen zwei gewichtige Ministerien.

SPD-Ministerpräsident Stephan Weil und Julia Willie Hamburg (Grüne) haben sich rasch geeinigt Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Hannover taz | Es ging dann doch viel schneller als gedacht. Eigentlich war die Präsentation des Koalitionsvertrages in Hannover für Donnerstag angekündigt, nun fand sie schon Dienstag statt. Überhaupt wurden SPD und Grüne in Niedersachsen nicht müde, ihre großen Gemeinsamkeiten und ihren unbedingten Willen zur raschen Einigung zu preisen.

In den Grundzügen ist man sich ja auch einig: Beide Parteien setzen auf einen starken Staat, der in dieser Krise Härten abfedern und Zukunftsinvestitionen lenken soll – und sei es, indem man die Schuldenbremse mit Sonderfonds und Landesgesellschaften umdribbelt.

Spannend – und ein Novum in Niedersachsen – ist, dass es künftig ein Grüner sein soll, der die Landesfinanzen trotz allem im Griff behalten muss. Gerald Heere soll Finanzminister werden. Der sammelte als Büroleiter des Bremer Finanzsenators schon Erfahrungen auf diesem Feld. Er weiß auch, dass das Ressort heikel ist – eine machtvolle Schlüsselposition, auf der man sich vor allem unbeliebt macht.

Wandel zum „Energieland Nummer eins“

Eine ähnliche Rolle wird die Grüne Spitzenkandidatin und künftige Vize-Ministerpräsidentin Julia Willie Hamburg ausfüllen müssen. Sie soll das Kultusministerium von der SPD erben: Ebenfalls ein wichtiges Ressort, in dem noch nie jemand einen Blumentopf gewonnen hat. Dafür hat es das Potenzial, politische Karrieren zu beenden, wie beispielsweise Sylvia Löhrmann (Grüne) in NRW schmerzhaft erfahren musste. Immerhin hat Rot-Grün schon ein wichtiges Bonbon für die Lehrerschaft angekündigt: Das A13-Einstiegsgehalt für alle Schulformen soll kommen.

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Hamburg war allerdings auch für das Wirtschaftsministerium im Gespräch, doch das wollten die Sozialdemokraten dann lieber nicht aus der Hand geben. Die Transformation der niedersächsischen Wirtschaft und der Wandel zum „Energieland Nummer eins“ (O-Ton Stephan Weil) gehört zu den Herzensthemen des niedersächsischen Ministerpräsidenten.

Es ist außerdem das Wunschressort von Weils Allzweckwaffe Olaf Lies (SPD), der schon im ersten Kabinett Weil Wirtschaftsminister war und in der zweiten Amtszeit Weils eher widerwillig auf den Posten des Umweltministers wechseln musste, um in der jetzt abgelösten rot-schwarzen Koalition der CDU entgegenzukommen.

Der neue, alte Wirtschaftsminister Olaf Lies wird außerdem das Schlüsselthema Bauen aus dem Umweltministerium mitnehmen. Rot-Grün hat sich darauf geeinigt, mit einer Landeswohnungsbaugesellschaft neue Impulse im sozialen Wohnungsbau zu setzen.

SPD setzt auf bewährte Kräfte

Lies wird dann künftig auch für das Thema Verkehr zuständig sein. Das ist eines der Themen, bei denen die traute rot-grüne Einigkeit dann doch schnell aufgebraucht ist, vor allem beim Thema Autobahnausbau. Aber da zeigt man bequemerweise erst einmal auf die Ampel im Bund. Niedersachsen setzt ebenfalls auf das 49-Euro-Ticket und will ein 29-Euro-Ticket für Schüler und Azubis.

Bei den Grünen blieben hingegen das Umweltressort, besetzt mit Co-Spitzenkandidat Christian Meyer, und das Agrarressort, besetzt mit Miriam Staudte. Im Umweltministerium ist immerhin auch das Schlüsselthema Energie beheimatet – und damit die Zuständigkeit für den raschen Ausbau der Erneuerbaren, der für die Grünen ein zentrales Anliegen ist.

Ein Umbau des Agrarlandes Niedersachsen hin zu mehr Ökolandbau, mehr Tier- und Klimaschutz gehört ebenfalls zu den grünen Lieblingsthemen. Die Gelegenheit scheint günstig, weil es die scheidende Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) immerhin geschafft hat, bisher völlig verfeindete Frak­tio­nen aus den Bauern- und Umweltverbänden an einen Tisch zu bringen. Außerdem ist der ökonomische Druck vor allem für die tierhaltenden Betriebe so hoch, dass sie für Umbauprämien empfänglich sind.

Bei den Großressorts Soziales und Innenpolitik setzt die SPD auf bewährte Kräfte – Daniela Behrens und Boris Pistorius sollen im Amt bleiben. Justiz, Wissenschaft und das Ressort Regio­nales und Europa werden mit den vergleichsweise jungen Newcomern Kathrin Wahlmann, Falko Mohrs und Wiebke Osigus besetzt. Am Wochenende sollen außerordentliche Landesparteitage von SPD und Grünem das Vertragswerk abnicken. Kommenden Dienstag könnte Stephan Weil dann bei der konstituierenden Sitzung des Landtages zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt werden.

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5 Kommentare

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  • Ich finde es bemerkenswert, lustig und erfreulich zugleich, dass die AfD eine braune Farbe in den Diagrammen erhalten hat.

  • Hmm... so richtig verstehe ich das nicht.

    Die Beiden haben jetzt zusammen 47,9 % der Stimmen. Das ist nicht die Mehrheit, oder ?

    Aber die haben zusammen 55,48 % der Sitze (81 Sitze von 146). Das ist die Mehrheit. Versteh ich nicht ...



    47,9 % von 146 Sitzen sind doch nur 70 Sitze ...

    Und die Mehrheit liegt bei 74 Sitzen.

    Also wenn ich das richtig sehe werden die Niedersachsen von einem Rundungsfehler regiert ...

    Es wird wohl mal Zeit ein Verfassungsgericht dahingehend anzurufen ob durch das Auszählungsverfahren (Hier: d’Hondt - Verfahren) eine signifikante Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse eintreten darf.

    Ich meine d’Hondt hin oder her ... Fermat, Newton, Euler, Einstein ... die haben sich auch alle mehr als einmal geirrt ...

    • @Bolzkopf:

      SPD und Grüne haben 47,9% der Gesamtstimmen. Nun ist es aber so, dass nicht alle Parteien die 5% Hürde geschaffft haben. Die Parteien die es nicht geschafft haben sind natürlich nicht im Landtag vertreten, und werden daher bei den Sitzen auch nicht berücksichtigt. SPG Grüne haben also sehr wohl die Mehrheit der Sitze im Landtag.

      • @Arthur Helwich:

        Ohhh ... facepalm. Die 5%-Hürde hab ich echt vergessen.

        Aber krass welche Differenz da rauskommt !

        Also dass durch geringeWahlbeteiligung Parteien, die von weniger als der Hälfte der Bevölkerung gewählt sind, eine Mehrheit bekommen ist man ja "selbst Schuld". - es könnten ja mehr Menschen an die Urnen gehen.

        Aber dass die 5%-Hürde so zuschlägt. Boarr!



        Nun - das sind ja immerhin 13% der abgegebenen Stimmen.

        Also rund 22 % der Wahlberechtigten.



        Hui ui ui ..

  • Hier geht es schliesslich um gute Gehälter, fette Dienstwagen und unzählige Privilegien. Na klar, dass man sich da schnell einig ist. Politische Prinzipien und rote Linien? Die sind doch längst komplett entsorgt von der ehemaligen Anti-AKW, Friedenspartei entsorgt. Ich sag mal so: Die eigene KArriere ist nun mal wichtiger und dafür geht man in jede Koalition und trägt jeden Klimmakliller mit.