Robert Tibbo über „Snowden-Refugees“: „Sie sahen ihn als einen von sich“
Geflüchtete in Hongkong versteckten den Whistleblower Edward Snowden 2013 vor den Geheimdiensten. Bis heute leiden sie darunter, sagt Anwalt Robert Tibbo.
taz: Herr Tibbo, wo befinden Sie sich gerade?
Robert Tibbo: Ich bin im Moment in Südfrankreich, an einem Ort, den ich aus Sicherheitsgründen nicht bekannt geben möchte. Von dort aus kommuniziere ich, nach allem, was mir und meinen Mandanten bislang widerfahren ist, nur noch über verschlüsselte Kanäle.
Auch dieses Interview führen wir über einen verschlüsselten Messengerdienst. Aber lassen Sie uns am Anfang beginnen: am 10. Juni 2013. Damals wurden Sie in Hongkong von dem ehemaligen CIA-Mitarbeiter Edward Snowden kontaktiert. Zu diesem Zeitpunkt war Snowden von den USA nach Hongkong geflohen, hatte von dort aus zunächst über den Guardian-Reporter Glenn Greenwald und die Filmemacherin Laura Poitras vertrauliche Details über US-amerikanische Programme zur Überwachung der weltweiten Telefon- und Internetkommunikation sowie ein noch umfassenderes britisches Überwachungsprogramm enthüllt. Warum wandte sich Snowden damals an Sie? Kannten Sie sich?
Wie der Kontakt zustande kam, kann ich nicht preisgeben. Was ich aber sagen kann, ist: Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zusätzlich zu meiner Arbeit als Strafrechtsanwalt bereits sehr viele Asylsuchende und Geflüchtete in Hongkong vertreten und war deshalb in der Refugee-Community und unter Wissenschaftlern bekannt. Gleichzeitig war ich aber keine öffentlich bekannte Figur. Snowden selbst wurde zum damaligen Zeitpunkt nicht nur von den US-Behörden, sondern auch von Journalisten aus der ganzen Welt gesucht, die mehr über ihn, den Whistleblower, wissen und ihn finden wollten. Selbstverständlich hatten die Journalisten auch renommierte Menschenrechtsanwälte im Blick und warteten darauf, dass Snowden womöglich Kontakt zu diesen aufnehmen würde. Aber da lagen sie falsch.
Mit welchem Auftrag trat Edward Snowden damals an Sie heran?
Mr. Snowdens größte Befürchtung war damals, festgenommen und ausgeliefert zu werden. Zwar waren seine Enthüllungen in Hongkong kein Straftatbestand, aber es gibt ein Auslieferungsabkommen mit den USA. Entscheidend war für uns deshalb ein anderer Aspekt: Mr. Snowdens Strafverfolgung in den USA lässt sich als politisch motiviert auslegen. Auf dieser Basis war klar, dass sich Mr. Snowden sofort nach seiner Ankunft in Hongkong an das UNHCR, also an die UN-Flüchtlingshilfe, wenden musste, um dort einen Flüchtlingsstatus zu erhalten. Selbst wenn Hongkonger Gerichte also beschlossen hätten, Mr. Snowden auszuliefern, wäre immer noch das Asylrechtsverfahren am UNHCR anhängig gewesen, das seine Auslieferung verhindert hätte.
taz-Reporterin Marlene Halser berichtet via Periscope live vom Chaos Communication Congress in Leipzig. Folgen Sie @randbemerkerin auf Twitter oder bei Periscope, wenn Sie ihre Streams nicht verpassen wollen.
Sie haben damals eine folgenschwere Entscheidung getroffen und Edward Snowden bei einigen Ihrer Mandanten in Hongkong versteckt; es handelt sich um drei Flüchtlingsfamilien aus Sri Lanka und den Philippinen. Was haben Sie sich dabei gedacht?
In Hongkong ist es schon häufiger vorgekommen, dass die Behörden nicht eingriffen, wenn Menschen, die im Ausland per Haftbefehl gesucht werden, einfach willkürlich auf der Straße aufgegriffen werden, um sie anschließend auf illegale Weise in ihr Heimatland zu verschleppen. Zum Teil geschah das sogar mit Unterstützung der Hongkonger Behörden. Um so etwas zu verhindern, mussten wir Mr. Snowden als Allererstes so schnell wie möglich unbeobachtet aus seinem Hotel an einen sicheren Ort bringen, an dem es keine Überwachungskameras gab. Also dachte ich: Warte mal. Mr. Snowden ist ein Flüchtling, auch wenn seine Ausgangslage als ehemaliger CIA-Mitarbeiter natürlich eine ganz andere ist. Aber dennoch: Er ist ein Flüchtling. Also warum ihn nicht bei anderen Geflüchteten unterbringen?
Warum ausgerechnet dort?
Ich wusste, dass es in der Refugee-Community gang und gäbe ist, dass man Neuankömmlingen hilft; dass man sie ein paar Tage bei sich unterbringt, wo sie sich ausruhen und zu Kräften kommen können, bevor sie beginnen, sich mit den Behörden auseinanderzusetzen. Hinzu kommt, dass die Hongkonger Gesellschaft extrem rassistisch ist und Geflüchtete wegen ihrer dunkleren Hautfarbe und ihrer Nationalität massiv diskriminiert werden. Die allermeisten Asylsuchenden in Hongkong kommen aus Süd- und Südostasien. Ich war sicher, dass innerhalb dieser stark marginalisierten Community niemand nach Mr. Snowden suchen würde.
Jahrgang 1964, Kanadier, ist spezialisiert auf Menschenrechte und Auslieferungsverfahren. Ab 2005 war er als Rechtsanwalt in Hongkong tätig.
Wie haben Sie das Risiko für die Familien damals eingeschätzt?
Nichts von dem, was Mr. Snowden getan hatte, war gemäß der Hongkong Rechtslage strafbar. Insofern war es auch nicht illegal, ihn zu beherbergen. Darüber hinaus hatten wir vereinbart, dass Mr. Snowden mit der Polizei oder anderen ausländischen Sicherheitskräften gehen würde, falls diese kommen und nach ihm suchen würden. Die Familien sollten sich nicht einmischen und ihn gehen lassen, falls es so weit kommt. Und natürlich sollten sie Stillschweigen über die ganze Sache bewahren.
Edward Snowden verließ Hongkong am 23. Juni 2013, also nach nur 13 Tagen, und flog nach Russland, wo er sich seither aufhält. Für die Flüchtlingsfamilien in Hongkong ging zunächst alles weiter wie bisher, bis 2016 ein Film in die Kinos kam: Oliver Stones „Snowden“, der die Geschichte des Whistleblowers nacherzählt und in dem auch die „Snowden-Refugees“ zu sehen sind. Wussten Sie von dem Film?
Ja. Ich traf mich im Mai 2015 mit Oliver Stone in Hongkong und er teilte mir mit, dass er über eine andere Quelle von den Snowden-Refugees erfahren hatte und dass sie in seinem Film eine Rolle spielen sollten. Darüber war ich natürlich nicht sehr glücklich, aber was hätte ich zu dem Zeitpunkt unternehmen sollen? Als Anwalt rechnest du natürlich nicht damit, dass irgendwann ein großer Hollywood-Regisseur beschließt, einen Film über deine Mandanten zu drehen. Das war 2013 einfach nicht abzusehen.
Was unternahmen Sie?
Ich ging zu meinen Mandanten und erklärte ihnen die Lage. Ich warnte sie davor, dass sich sowohl die Behörden als auch die Medien für sie interessieren würden, sobald der Snowden-Film in die Kinos kommen würde, und dass ich nicht mehr in der Lage sein würde, sie zu beschützen, wenn Journalisten, Hongkonger Regierungsbeamte oder Agenten anderer Staaten sie ausfindig machen würden. Ich riet ihnen dazu, proaktiv den Kontakt zu Journalisten zu suchen und selbstbestimmt ihre Geschichte zu erzählen. Mein Gedanke war: Nur wenn die ganze Welt diese Menschen kennt, sinkt das Risiko, dass ihnen womöglich Schlimmes angetan wird, während keiner hinsieht. Womit wir nicht gerechnet haben, war, dass die Hongkonger Regierung, die eigentlich verpflichtet ist, Asylsuchende zu schützen, plötzlich anfangen würde, meine Mandanten und mich gezielt herauszugreifen und zu schikanieren.
Was genau ist passiert?
Sechs der sieben Asylgesuche der Snowden-Refugees waren bereits in den Jahren 2011 und 2012 abgelehnt worden. Das ist relativ normal. Die Anerkennungsrate für Geflüchtete in Hongkong liegt bei 0,2 Prozent. Das alleine zeigt schon, wie kaputt dieses System ist. Wir hatten Widerspruch eingelegt, aber die Hongkonger Behörden ignorierten die Fälle meiner Mandanten über fast fünf Jahre. Sobald jedoch der Film herauskam und meine Mandanten begannen, internationalen Medien Interviews zu geben, nahmen die Behörden die Verfahren plötzlich wieder auf. Aber das war noch nicht alles. Die Behörden reaktivierten plötzlich 23 weitere Asylverfahren, die sie zuvor über Jahre liegen gelassen hatten und zwischen denen es keinerlei Verbindung gab, außer dass ich der mit den Fällen betraute Anwalt war. Man teilte mir mit, dass ich vier Wochen Zeit hätte, um all diese Fälle vorzubereiten – ein Ding der Unmöglichkeit. Ich hätte ein Dutzend Mitarbeiter einstellen müssen, um das in der kurzen Zeit zu schaffen.
Die "Snowden-Refugees"
2013 schmuggelt Anwalt Robert Tibbo den gesuchten Whistleblower Edward Snowden aus dem Mira Hotel in Hongkong. Er versteckt ihn bei seinen anderen Mandanten: drei Flüchtlingsfamilien aus Sri Lanka und den Philippinen. Seither werden die „Snowden-Refugees“ von den Behörden drangsaliert. Tibbo hat Hongkong mittlerweile verlassen, weil er sich dort nicht mehr sicher fühlte. Er vertritt nach wie vor Edward Snowden, sowie die sieben „Snowden-Refugees“. Am Freitag gibt Tibbo auf dem Chaos Communication Congress ein Update über deren Situation.
Der Kongress
Der 35. Chaos Communication Congress (35C3) beginnt am Donnerstag in Leipzig. Das Treffen der internationalen Hackerszene wird vom Chaos Computer Club (CCC) ausgerichtet. Der Kongress widmet sich technischen und gesellschaftspolitischen Themen.
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe mich mit den Behörden angelegt, so gut es ging. Ich schrieb Briefe, in denen ich rundheraus sagte, was da in meinen Augen gerade vor sich geht, nämlich dass mich die Behörden mit dieser Aktion dazu bringen wollen, Fehler zu machen, um die Asylgesuche meiner Mandanten aufgrund von Verfahrensfehlern ablehnen zu können, ohne die Fälle prüfen zu müssen. Zwischenzeitlich wandten sich die Behörden auch an den Duty Laywer Service in Hongkong, also eine Organisation, die Pflichtverteidiger an Geflüchtete vermittelt, mit der expliziten Bitte, mich von den Fällen der Snowden-Refugees abzuziehen. Dieser Bitte kam der Duty Lawyer Service glücklicherweise damals nicht nach. So konnte ich zwischen Dezember 2016 und Dezember 2017 fast alle Fälle bearbeiten, aber es war ein bürokratischer Albtraum.
Hatten Sie den Familien vorab erklärt, welche Risiken ihre Hilfsbereitschaft womöglich für sie birgt?
Eine der insgesamt sieben Personen, die an der Aktion beteiligt waren, wusste bereits alles über Mr. Snowden. Den anderen haben wir erklärt, wer Mr. Snowden ist. Wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie das nicht machen müssen, wenn sie nicht wollen. Aber sie sahen ihn als einen von sich, konnten seine Situation nachvollziehen und wollten helfen.
Seit 2016 sind Sie weltweit unterwegs, um auf das Schicksal Ihrer Mandanten aufmerksam zu machen. Warum?
Zum einen, weil die Sache einfach kein Ende nimmt und sowohl ich als auch meine Mandanten immer weiter von den Behörden bedrängt und schikaniert werden. Zum anderen, weil öffentliche Aufmerksamkeit das einzige Mittel ist, um meine Mandanten vor Gewalt und Willkür zu bewahren. Und schließlich, weil all das mit hohen Kosten verbunden ist und wir nur durch Öffentlichkeit in der Lage sind, genügend Geld zu akquirieren, um weitermachen zu können.
Was meinen Sie damit?
Seit die Geschichte der Snowden-Refugees bekannt wurde, sind ziemlich viele Dinge gleichzeitig passiert. Im Dezember 2016 – fast zeitgleich zu meinem ersten Vortrag beim CCC-Kongress, damals noch in Hamburg – tauchten in Hongkong plötzlich zwei Beamte der sri-lankischen Kriminalpolizei auf, die nach meinen Mandanten suchten. Das hat die sri-lankische Regierung mittlerweile gegenüber BBC-Reportern zugegeben. Glücklicherweise wurden meine Mandanten damals rechtzeitig von anderen Geflüchteten vor den sri-lankischen Polizisten gewarnt und wurden nicht gefasst. Wir beschlossen daraufhin, die Familien an sicheren Orten unterzubringen. Die Behörden in Hongkong hätten eigentlich die Pflicht gehabt, die Einreise der sri-lankischen Polizei zu verhindern. Stattdessen weigern sie sich bis heute, diesen unrechtmäßigen Vorfall zu untersuchen oder uns darüber Auskunft zu geben. Im Gegenteil: Als ich mit meinen Mandanten zur Polizei ging, um Anzeige zu erstatten, versuchten sie, meine Mandanten stattdessen über Mr. Snowden auszufragen.
Das klingt wie ein Agenten-Thriller, wie Fiktion.
Ist es aber nicht. Es wird noch besser. Kurz darauf bekamen plötzlich Familienangehörige meiner Mandanten in Sri Lanka Besuch von Polizisten und Militärs, die sie bedrohten und wissen wollten, wo ihre Verwandten in Hongkong zu finden seien. Mehr oder weniger zeitgleich stellte die staatlich finanzierte Abteilung für Rechtshilfe in Hongkong ihre Zahlungen an mich ein. Dasselbe war zuvor auch schon meinen Mandanten passiert. Als sie wie jeden Monat ihre staatlichen Unterhaltszahlungen abholen wollten, begann man ihnen plötzlich Fragen zu ihrer Verbindung zu Mr. Snowden zu stellen. Die Zahlungen wurden eingestellt oder stark gekürzt, weil sie nicht bereit waren, auf die Fragen zu antworten.
Können die Snowden-Refugees in keinem anderen Land Asyl beantragen?
Das wird derzeit noch geprüft. Ich hatte im September 2016 Kontakt zu anderen Anwälten in Montréal, Québec, Kanada aufgenommen. Im Januar 2017 wandten wir uns im Namen der Snowden-Refugees an die kanadische Einwanderungsbehörde, um dort Asyl zu beantragen. Dann geschah wieder etwas Seltsames. Zunächst sagte man uns, dass man den Ernst der Lage und die Dringlichkeit dieser Fälle sehe und dass die Fälle zügig bearbeitet würden. Zwei Monate später sagte man uns dann plötzlich, dass alle Fälle chronologisch bearbeitet würden und dass die Wartedauer für meine Mandanten bei 52 Monaten liege, also bei etwa vier Jahren. Da haben wir begriffen, dass wohl ein enormer politischer Druck auf die kanadische Regierung ausgeübt worden sein muss. Seither warten wir auf die Bearbeitung der Fälle in Kanada.
Druck von wem?
Das weiß ich nicht. Aber ich kann es mir nicht anders erklären. An Zufälle glaube ich längst nicht mehr. Kanada ist Teil der so genannten Five-Eyes-Gruppe, einem geheimdienstlichen Zusammenschluss, dem Australien, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und die USA angehören und der von den USA geleitet wird.
Mittlerweile haben Sie Hongkong und damit auch Ihre Mandanten verlassen. Warum?
Das ging nicht anders. Bereits im Mai 2017 hatte ich plötzlich ein ziemlich schlechtes Gefühl. Ich dachte: Okay, die Regierung kommt nicht gegen dich an, die Einwanderungsbehörde kann nichts gegen dich ausrichten. Das werden die sich nicht gefallen lassen. Ich hatte Angst, dass ich selbst aus irgendeinem Grund festgenommen werden würde. Also verließ ich mein Haus, änderte meinen Wohnort und riet meiner Frau, Hongkong zu verlassen und zurück nach Kanada zu gehen, was sie tat. Als ich dann im August 2017 gerade in Montréal war, bekam ich um vier Uhr morgens einen Anruf. Man sagte mir, dass die Hongkonger Polizei einige meiner Mandanten festgenommen habe, die Zeugen für die Snowden-Refugees sind. Man verweigerte ihnen, einen Anwalt zu kontaktieren. Und die Hongkonger Polizei bedrohte sie und versuchte sie dazu zu nötigen, falsch gegen mich auszusagen.
Was sollten sie sagen?
Dass ich ein Betrüger sei und dass ich auf konspirative Weise Verfahren behindere und so weiter. Hinzu kam zu dem Zeitpunkt aber, dass die Hongkonger Bar Association …
… ein unabhängiger Anwaltsverband, finanziert über Mitgliedsbeiträge – er wacht über die Einhaltung der Regeln in der Rechtsprechung …
… mir plötzlich mit mehreren anonymen Beschwerden einer „großen Gruppe verärgerter Mitglieder“ zu Leibe rückte. Darin wurde mir vorgeworfen, ich hätte mit der Unterstützung meines Mandanten Mr. Snowden und durch die Tatsache, dass die Snowden-Refugees und ich an die Öffentlichkeit gegangen waren, meine anderen Mandanten und deren Asylverfahren in Gefahr gebracht. Plötzlich sollte ich auch dort alle möglichen Fragen zu Mr. Snowden beantworten – ohne dass man mir sagen wollte, wer die Beschwerden gegen mich eingereicht hatte. Ein Vorgehen, das nicht nur von mir, sondern auch von anderen Juristen – zum Beispiel von meinem Anwalt Geoffrey Robertson, der auch Julian Assange vertritt – als einzigartig und unrechtmäßig eingestuft wird. Als die Hongkonger Polizei dann wieder einen meiner Mandanten festnahm und mir ein guter Freund steckte, dass vor meinem alten Wohnhaus sieben Polizisten aufgetaucht waren, die nach mir suchten, wusste ich, dass ich aus Hongkong verschwinden musste.
Ging das so einfach?
Zu den genauen Umständen kann ich nichts sagen. Nur so viel: Ich wandte mich an die kanadische Sektion von Anwälte ohne Grenzen. Und ich erhielt Unterstützung und Beratung von der kanadischen Regierung, so dass ich am 30. November 2017 ein Flugzeug nach Vancouver besteigen konnte.
Machen Sie sich Vorwürfe, die Snowden-Refugees in diese Lage gebracht zu haben?
Gegenfrage: Wessen Schuld ist das alles? Ich habe nur meinen Job gemacht und im Interesse meiner Mandanten gehandelt. Ich habe nie aufgegeben und ich werde nicht aufgeben. Es war die Hongkonger Regierung, die meinen Mandanten die Zahlungen für Miete und Essen strich, die versuchte, ihre Verfahren schnell durchzudrücken, um sie so schnell wie möglich abzuschieben; die versucht, mich mit allen Mitteln als deren Anwalt abzuziehen, sogar mithilfe polizeilicher Ermittlungen. Die Hongkonger Polizei hat versucht, einen Fall gegen mich zu konstruieren, mich zu verhaften und ins Gefängnis zu stecken. Wessen Schuld ist das alles?
Warum glauben Sie, passiert das alles?
Niemand weiß, was in den Köpfen derer vorgeht, die in Sri Lanka oder in Hongkong regieren. Alles was wir wissen ist, dass sie versuchen, an Informationen über Mr. Snowden zu kommen. Vielleicht glauben sie, dass die Snowden-Refugees über Informationen verfügen, die sonst niemand kennt. Zum Beispiel, wo Mr. Snowden seine Daten versteckt hat. Vielleicht glauben sie, dass die Snowden-Refugees eine Kopie dieser Daten haben oder wissen, wer über eine solche Kopie verfügt.
Und?
Die Snowden-Refugees wissen gar nichts. Ich habe dafür gesorgt, dass sie mit all dem, was Mr. Snowden in Hongkong tat oder nicht tat, nichts zu tun hatten.
Warum dann all das?
Mr. Snowden wird als Whistleblower von der US-Regierung als Verräter gesehen, obwohl man ihn lediglich wegen Diebstahls belangen kann. So sehen das auch viele andere, vor allem autoritäre Regime, wie das in China, zu dem Hongkong ja trotz aller noch verbliebenen Autonomie gehört. Die Botschaft, die hier gesendet wird, ist ganz klar: Wenn du es als Bürger wagst, einem Whistleblower zu helfen oder ihn beschützt, dann werden wir dich bestrafen, als wärst du selbst einer. Wir werden dir das Leben zur Hölle machen. Wir werden dafür sorgen, dass du leidest und dass du keine Rechte mehr hast. Und wenn du ein Whistleblower bist: Glaub bloß nicht, dass dir jemand helfen wird. Und wenn doch, wird das für diese Person schwerwiegende Konsequenzen haben, die du mit deiner Tat zu verantworten hast.
Wie geht es Ihren Mandanten jetzt?
Nicht so gut. Sie versuchen klarzukommen, aber sie haben Angst, dass sie abgeschoben werden. Im Moment gehört es zu ihren Auflagen, sich einmal im Monat bei den Behörden zu melden. Sie rechnen jedes Mal damit, dass man sie nicht mehr gehen lässt. Wenn man sie verhaftet, werden sie von ihren Kindern getrennt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!