Repressionen gegen Krimtataren: Langjährige Haftstrafen
Ein russisches Gericht spricht drei Angeklagte der Gründung einer terroristischen Vereinigung schuldig. Beobachter ziehen Parallelen zur Stalin-Zeit.
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Bis zu ihrer Festnahme am 10. Juni 2019 hätten sie, so die Anklage, „Ideen der terroristischen Organisation verbreitet und gleichzeitig unter Bewohnern der Krim Werbung für eine Mitgliedschaft in dieser Gruppierung geworben“. Zudem hätten sie den Boden für eine gewaltsame Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung der Russischen Föderation vorbereiten wollen, so die Anklage.
Während der Gerichtsverhandlung protestierten 50 Krimtataren vor dem Gerichtsgebäude. Tags zuvor hatten russische Polizisten 30 weitere Krimtataren auf der Krim-Brücke zwischen den Städten Kertsch und Taman vorübergehend festgenommen und die ganze Nacht in Gewahrsam gehalten. In der Folge hatten sie das Gerichtsgebäude von Rostow-am-Don nicht mehr rechtzeitig erreichen können.
Enwer Omerow wurde zu 18 Jahren, Ajder Dschepparow zu 17 Jahren und Risa Omerow zu 13 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Alle drei wiesen die Vorwürfe zurück. Ihre Anwälte kündigten Berufung an. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hat die Verurteilten zu politischen Gefangenen erklärt und ihre Freilassung gefordert.
Erinnerung an 1944
In seinem Schlusswort hatte der Angeklagte Enwer Omerow erklärt, dass er und seine Mitgefangenen niemals Überlegungen zu Terroranschlägen angestellt hätten. „Laut Statistik begehen auch christliche Organisationen Terroranschläge. Trotzdem spricht niemand von einem christlichen Terrorismus. Das ist richtig so. Und genauso ist es gegenüber unserer Religion nicht akzeptabel von einem ‚islamischen Terrorismus‘ oder einer ‚kriegerischen Ideologie‘ zu sprechen. Terrorismus hat keine Religion. Der Islam verbietet derartige verbrecherische Handlungen und betrachtet sie als schwere Sünde.“ Omerow sieht die aktuellen Verfolgungen der Krimtataren in einer Tradition der Deportation der Krimtataren durch Stalin 1944.
Auch Boris Sacharow von der „Menschenrechtsgruppe Charkiw“ sieht in dem jüngsten Urteil Parallelen zum Vorgehen gegen Andersdenkende in der Sowjetunion. „Doch die aktuellen Verfolgungen der Krimtataren gehen noch über die Repressionen der Sowjetzeit hinaus“, so Sacharow gegenüber der taz. „Inzwischen ist in Putins Russland Folter in der Haft an der Tagesordnung.“ Verurteilungen zu Haftstrafen von 17 und 18 Jahren habe es auch in der Sowjetunion nach Stalin gegen Andersdenkende nicht gegeben.
Sacharow beschreibt Hizb ut-Tahrir als eine friedliche islamische Partei. „Als Jude trage ich den Schmerz des Holocaust in mir. Aber ein Staat hat nicht das Recht, Meinungen in Friedenszeiten einzuschränken oder Menschen wegen ihrer Meinung zu verfolgen“, so Sacharow.
Laut Maria Tomak von der ukrainischen „Medieninitiative für Menschenrechte“ seien derzeit 103 BewohnerInnen der Krim politische Gefangene in Russland, davon 76 Krimtataren.
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